BFH I. Senat
GG Art 103 Abs 1, FGO § 133a, FGO § 115, FGO § 116
vorgehend BFH , 14. Februar 2012, Az: I B 97/11
Leitsätze
1. NV: Es bleibt offen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision auf den Gesichtspunkt einer Überraschungsentscheidung gestützt werden kann.
2. NV: An Letzterem fehlt es jedenfalls, wenn der Beschwerdebeschluss die aufgeworfene Rechtsfrage mit Rücksicht auf die bereits vorliegende Rechtsprechung als nicht klärungsfähig angesehen hat.
Tatbestand
Die wegen Nichtzulassung der Revision erhobene Beschwerde der Klägerin, Beschwerdeführerin und Rügeführerin (Klägerin), einer GmbH, hat der Senat mit Beschluss vom 15. Februar 2012 I B 97/11 (BFH/NV 2012, 882, BFHE 236, 458) als unbegründet zurückgewiesen. Nach dem Beschluss kommt der Frage, ob Zinsen auf erstattete Körperschaftsteuerzahlungen (sog. Erstattungszinsen) das Einkommen der Kapitalgesellschaften erhöhen, keine grundsätzliche Bedeutung zu.
Hiergegen hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 19. März 2012 die Anhörungsrüge nach § 133a der Finanzgerichtsordnung (FGO) erhoben und hierbei vor allem geltend gemacht, dass der Senatsbeschluss in BFH/NV 2012, 882 deshalb ihren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ‑‑GG‑‑) verletze, weil sie im Beschwerdeverfahren lediglich zu den Gründen für die Zulassung der Revision vorgetragen, der Senat hingegen ‑‑weiter gehend‑‑ materiell-rechtlich zu der Frage der Steuerbarkeit von Erstattungszinsen Stellung genommen habe. Da die Klägerin hiermit nicht habe rechnen können, sei sie durch die Beschwerdeentscheidung nicht nur überrascht worden; vielmehr hätte der Senat zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG die Klägerin darauf hinweisen müssen, dass es für seine Entscheidung ‑‑abweichend von § 115 FGO‑‑ auf die materielle Rechtslage ankomme.
Entscheidungsgründe
Die Rüge ist nicht in zulässiger Form erhoben und deshalb zu verwerfen (§ 133a Abs. 4 Satz 1 FGO).
Nach § 133a Abs. 2 Satz 5 FGO muss die Rüge die in Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Vorschrift genannten Voraussetzungen und damit darlegen, dass der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt worden ist. Letzteres betrifft vor allem die Rüge, dass in der Entscheidung über die Nichtzulassungsbeschwerde entscheidungserhebliches Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen worden ist (vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 28. November 2011 III S 9/11, BFH/NV 2012, 433). Ob und unter welchen Voraussetzungen die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör in einem Beschwerdeverfahren wegen Nichtzulassung der Revision auch auf den Gesichtspunkt der Überraschungsentscheidung gestützt werden kann (vgl. ‑‑zurückhaltend‑‑ BFH-Beschluss vom 19. Juli 2011 III S 41/10 BFH/NV 2011, 1902), bedarf vorliegend keiner Entscheidung, da die Klägerin es jedenfalls versäumt hat, einen solchen Rechtsverstoß schlüssig darzulegen (s. dazu Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 133a Rz 12, m.w.N.).
Kennzeichen einer verfassungswidrigen Überraschungsentscheidung ist, dass das Gericht seine Entscheidung auf Gesichtspunkte stützt, mit denen ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens ohne vorherigen gerichtlichen Hinweis nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1902, m.w.N.). Soweit die Klägerin geltend macht, sie habe nicht damit rechnen können, dass der Senat eine materielle Entscheidung zur Steuerbarkeit der Erstattungszinsen treffen und deshalb die Nichtzulassungsbeschwerde zurückweisen werde, ist dieser Vortrag erkennbar nicht geeignet, eine Überraschungsentscheidung im vorbezeichneten Sinne darzulegen. Die Klägerin hat insoweit außer Acht gelassen, dass einer Rechtssache u.a. dann ‑‑mangels Klärungsfähigkeit‑‑ keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zukommt, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage eindeutig in dem von der Vorinstanz vertretenen Sinne zu beantworten ist oder die Rechtsfrage durch die Rechtsprechung geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Befassung des Revisionsgerichts mit der Frage erfordern (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, mit umfangreichen Nachweisen). Demgemäß hätte auch die Klägerin bereits im Rahmen ihres Beschwerdevortrags damit rechnen müssen, dass der beschließende Senat ‑‑wie geschehen‑‑ von seiner bisherigen Auffassung, nach der Erstattungszinsen das Einkommen von Kapitalgesellschaften erhöhen, ausgeht und ‑‑wie gleichfalls geschehen‑‑ die hiergegen aus dem BFH-Urteil vom 15. Juni 2010 VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503 betreffend die einkommensteuerliche Behandlung von Erstattungszinsen) abgeleiteten Einwände einschließlich der hiermit verbundenen verfassungsrechtlichen Aspekte zumindest anhand der vorliegenden Rechtsprechung einer materiellen Prüfung unterzieht. Hiernach hätte es, was die Klägerin ebenfalls nicht hinreichend beachtet hat, zudem der substantiierten Darlegung bedurft, in welchem Umfang die angegriffene Beschwerdeentscheidung auf neuen, die Klägerin überraschenden, rechtlichen Gesichtspunkten beruht.
Die Kostenpflicht für das Rügeverfahren ergibt sich aus Nr. 6400 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz ‑‑GKG‑‑ (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG i.d.F. des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ‑‑Anhörungsrügegesetz‑‑ vom 9. Dezember 2004, BGBl I 2004, 3220). Es fällt eine Festgebühr von 50 € an.