BFH VIII. Senat
EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr 6b S 2
vorgehend FG Köln, 09. Dezember 2008, Az: 7 K 97/07
Tatbestand
I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger und Revisionskläger (Kläger) Aufwendungen für sein häusliches Arbeitszimmer in den Streitjahren 2004 und 2005 unbegrenzt als Betriebsausgaben abziehen kann.
Der seit 1977 als Rechtsbeistand zugelassene Kläger wurde in den Streitjahren zusammen mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt und erzielte neben Versorgungsbezügen als pensionierter Beamter unter anderem Einkünfte aus selbständiger Arbeit als Dozent sowie aus einer schriftstellerischen und beratenden Tätigkeit.
Der Kläger betrieb seine Kanzlei (als Rechtsbeistand) in seinem häuslichen Arbeitszimmer, in dem er auch seine schriftstellerische und beratende Tätigkeit ausübte, sich auf Lehr- und Vortragsveranstaltungen vorbereitete sowie darauf bezogene Lehrgangs- und Unterrichtsmaterialien erstellte und aktualisierte. Darüber hinaus nutzte er das Arbeitszimmer nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) zur Fortbildung durch Lektüre abonnierter Fachzeitschriften, zur Aktualisierung von Loseblattsammlungen sowie zur Aufbewahrung und Verwaltung seiner Akten.
Seine freiberufliche Tätigkeit umfasste steuerjuristische Vorträge, Lehrveranstaltungen und Seminare, Erstellung steuerjuristischer Fachgutachten, Fachaufsätze sowie die Kommentierung von Steuergesetzen. Darüber hinaus erstellte er Unterrichtsmaterialien für einen Fernlehrgang und war zudem als deutscher Korrespondent für eine Zeitschrift tätig, für die er unentgeltlich etwa zwei Zeitschriftenbeiträge pro Jahr verfasste. Die daraus im Wesentlichen erzielten Gesamteinnahmen (im Jahr 2004 35.368 € und im Jahr 2005 58.158 €) entfielen 2004 zu 85 % sowie 2005 zu 99 % auf die Seminar- und Vortragstätigkeit des Klägers und im Übrigen auf die Autoren- und (nur 2004 ausgeübte) Rechtsberatungstätigkeit.
Mit den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre machte der Kläger unter anderem als Betriebsausgaben Aufwendungen für sein häusliches Arbeitszimmer in Höhe von 1.610,07 € für 2004 sowie von 1.602,47 € für 2005 geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) nur in Höhe von jeweils 1.250 € berücksichtigte. Die dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das FG mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 649 veröffentlichten Urteil ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3, 2. Halbsatz des Einkommensteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (EStG). Die Voraussetzungen für die Beschränkung des Betriebsausgabenabzugs auf jeweils 1.250 € lägen nicht vor, weil das Büro den Mittelpunkt seiner gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bilde. Dort verfasse er Aufsätze und Kommentarbeiträge, plane Seminare und erstelle Seminarunterlagen. Demgegenüber trete die außerhalb des Büros stattfindende Leitung von Seminaren deutlich zurück, zumal er in den meisten der von ihm konzipierten und vorbereiteten Lehrveranstaltungen keine eigenen Referate halte, sondern diese durch von ihm engagierte und eingeführte Dozenten vorgetragen würden.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide in Gestalt der Einspruchsentscheidung in der Weise zu ändern, dass weitere Betriebsausgaben für 2004 von 361 € und für 2005 von 353 € bei der Ermittlung der Einkünfte aus selbständiger Arbeit abgezogen werden.
Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet; die Entscheidung des FG, das Arbeitszimmer des Klägers bilde nicht den Mittelpunkt seiner gesamten beruflichen und betrieblichen Tätigkeit i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
1. Nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3, 2. Halbsatz EStG kann ein Steuerpflichtiger die Aufwendungen für sein häusliches Arbeitszimmer nur dann uneingeschränkt als Betriebsausgaben geltend machen, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Dabei darf dem Steuerpflichtigen für seine betriebliche oder berufliche Tätigkeit kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stehen (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 2 EStG).
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist der "Mittelpunkt" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Satz 3, 2. Halbsatz EStG ‑‑für alle Berufsgruppen gleichermaßen (BFH-Beschlüsse vom 27. März 2009 VIII B 184/08, BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850; vom 14. Juli 2010 VI B 43/10, BFH/NV 2010, 2053)‑‑ nach dem inhaltlichen (qualitativen) Schwerpunkt der betrieblichen und beruflichen Betätigung eines Steuerpflichtigen zu bestimmen (vgl. BFH-Urteile vom 13. November 2002 VI R 28/02, BFHE 201, 106, BStBl II 2004, 59; vom 15. März 2007 VI R 65/05, BFH/NV 2007, 1133, m.w.N; BFH-Beschluss vom 22. Oktober 2007 XI B 12/07, BFH/NV 2008, 47, m.w.N.).
Beurteilungsgrundlage ist dabei die gesamte der Erzielung von Einkünften dienende Tätigkeit des Steuerpflichtigen (BFH-Beschluss in BFHE 224, 458, BStBl II 2009, 850). Deren Schwerpunkt ist im Rahmen einer umfassenden Wertung der Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen festzustellen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1133, m.w.N.). Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob die Tätigkeit im Arbeitszimmer für das Berufsbild prägend ist (vgl. BFH-Urteile vom 29. April 2003 VI R 34/01, BFH/NV 2004, 319, und in BFH/NV 2007, 1133).
Dem zeitlichen (quantitativen) Umfang der Nutzung des häuslichen Arbeitszimmers kann in diesem Zusammenhang lediglich eine indizielle Bedeutung beigemessen werden, so dass das häusliche Arbeitszimmer selbst dann (noch) den Mittelpunkt einer beruflichen Betätigung bilden kann, wenn die außerhäuslichen Tätigkeiten zeitlich überwiegen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2007, 1133, m.w.N.). Den außerhäuslichen Tätigkeiten darf dabei im Verhältnis zu den im Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten allerdings nur eine untergeordnete Bedeutung zukommen. Die im Arbeitszimmer verrichteten Tätigkeiten müssen für den ausgeübten Beruf so maßgeblich sein, dass sie diesen prägen (vgl. etwa BFH-Urteile vom 28. August 2003 IV R 34/02, BFHE 203, 157, BStBl II 2004, 53, und vom 23. März 2005 III R 17/03, BFH/NV 2005, 1537).
Allein der Umstand, dass die Tätigkeiten im Arbeitszimmer zur Erfüllung der außerhäuslichen Tätigkeit ‑‑etwa vor- oder nachbereitend‑‑ erforderlich sind, genügt für eine prägende Bedeutung der häuslichen Tätigkeit nicht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 201, 106, BStBl II 2004, 59). Dies gilt auch dann, wenn sich die vorbereitenden Tätigkeiten auf Seminare beziehen, in denen sich die Mitwirkung des Steuerpflichtigen entsprechend dem Vortrag des Klägers im Revisionsverfahren auf eine nur organisatorische und ‑‑in der unmittelbaren Durchführung der Seminare‑‑ auf eine (die jeweiligen Referenten) einführende Tätigkeit beschränkt.
b) Übt der Steuerpflichtige wie im Streitfall mehrere unterschiedliche Tätigkeiten aus, ist zwar nicht erforderlich, dass das Arbeitszimmer den Mittelpunkt "jedweder" oder "einer jeden einzelnen betrieblichen und beruflichen Tätigkeit" bilden muss. Gleichwohl bedarf es zunächst der Bestimmung des jeweiligen Betätigungsmittelpunktes der einzelnen betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen, um sodann auf dieser Grundlage den qualitativen Schwerpunkt der Gesamttätigkeit zu ermitteln (vgl. zur Begründung im Einzelnen sowie zu den gebildeten Fallgruppen BFH-Urteil vom 13. Oktober 2003 VI R 27/02, BFHE 204, 88, BStBl II 2004, 771).
In diesem Zusammenhang ist sodann nach der BFH-Rechtsprechung der Mittelpunkt der Gesamttätigkeit nach dem Mittelpunkt der Haupttätigkeit zu bestimmen (vgl. BFH-Urteil vom 16. Dezember 2004 IV R 19/03, BFHE 208, 263, BStBl II 2005, 212). Fehlt für die Feststellung einer solchen Haupttätigkeit eine insoweit indizielle nichtselbständige Vollzeitbeschäftigung auf Grund privat- oder öffentlich-rechtlicher Arbeits- oder Dienstverhältnisse, so ist in Zweifelsfällen zur Feststellung der Haupttätigkeit auf die Höhe der jeweils erzielten Einnahmen, das den einzelnen Tätigkeiten nach der Verkehrsauffassung zukommende Gewicht und den auf die jeweilige Tätigkeit insgesamt entfallenden Zeitaufwand abzustellen.
Die Gewichtung dieser einzelnen Indizien ist nach den Umständen des Einzelfalls zu bestimmen und obliegt grundsätzlich dem FG als Tatsachengericht (BFH-Urteil in BFHE 208, 263, BStBl II 2005, 212).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Entscheidung des FG, das Arbeitszimmer sei im Streitzeitraum nicht der Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Tätigkeit des Klägers gewesen, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
a) Zu Recht sind die Beteiligten und auch das FG davon ausgegangen, dass es sich bei dem streitigen Arbeitszimmer um ein häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG handelt.
Dabei ist es insbesondere hinsichtlich der Nutzung des Arbeitszimmers für Zwecke der (nur) im Jahre 2004 ausgeübten Rechtsberatung nach der ständigen Rechtsprechung für die Qualifizierung als "häusliches Arbeitszimmer" i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ohne Bedeutung, ob der Raum eine Betriebsstätte i.S. des § 12 der Abgabenordnung ist (BFH-Urteile vom 16. Oktober 2002 XI R 89/00, BFHE 201, 27, BStBl II 2003, 185; in BFHE 208, 263, BStBl II 2005, 212, und vom 20. November 2003 IV R 30/03, BFHE 204, 176, BStBl II 2004, 775).
b) Auch im Übrigen ist die vom FG unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die unter II.1. dargestellte BFH-Rechtsprechung vorgenommene tatsächliche Würdigung, der Mittelpunkt der Gesamttätigkeit des Klägers liege auf seiner Seminar- und Vortragstätigkeit und damit außerhalb seines Arbeitszimmers, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
aa) Der Einwand des Klägers, der hohe zeitliche Aufwand in seinem Arbeitszimmer für die Planung und Vorbereitung der Seminare und Vorträge präge zusammen mit den reinen Autorentätigkeiten seine Gesamttätigkeit, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Er lässt schon außer Acht, dass der Mittelpunkt von Vortrags- und Lehrtätigkeiten, wie sie der Kläger nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG in erheblichem Umfang ausgeübt hat, nach ständiger Rechtsprechung an den jeweiligen Veranstaltungsorten und nicht in den jeweiligen häuslichen Arbeitszimmern der Vortragenden oder Lehrenden gesehen wird, selbst wenn dort ein erheblicher Teil der Vorbereitungsarbeiten zu leisten ist (vgl. zu Hochschullehrern BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2008, 47; vom 14. Juli 2010 VIII B 54/10, BFH/NV 2010, 2253; vom 26. November 2008 VIII B 7/07, juris; zu Lehrern BFH-Urteil vom 21. November 1997 VI R 4/97, BFHE 184, 532, BStBl II 1998, 351; BFH-Beschluss vom 17. Dezember 2008 VI B 43/08, BFH/NV 2009, 585; zu Vortragstätigkeiten, Workshopmoderationen etc. BFH-Urteil vom 24. Februar 2005 IV R 29/03, BFH/NV 2005, 1271). Das gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige anlässlich von Seminaren im Wesentlichen organisatorische und moderierende Funktionen ausübt.
bb) Die außerhalb dieser Vortrags- und Seminarvorbereitungen im Arbeitszimmer ausgeübten sonstigen Autorentätigkeiten (Aufsätze und Kommentarbeiträge) sind schon nach ihrem Anteil von nicht mehr als 15 % an den Gesamteinnahmen im Jahr 2004 und nicht mehr als 1 % im Jahr 2005 vom FG zu Recht als nicht geeignet angesehen worden, gegenüber den Vortrags- und Seminartätigkeiten mit einem Anteil von 85 % (2004) bzw. 99 % (2005) an den Gesamteinnahmen den Schwerpunkt der Gesamttätigkeit des Klägers bilden zu können.
Nach der dargestellten BFH-Rechtsprechung ist das Verhältnis der Einnahmen aus unterschiedlichen Tätigkeiten ein zulässiges Indiz für die Bestimmung der Haupttätigkeit und damit des Mittelpunktes der gesamten Tätigkeit (BFH-Urteil in BFHE 208, 263, BStBl II 2005, 212). Die daran anknüpfende Gesamtwürdigung des FG, angesichts der erheblichen Differenz zwischen den Einnahmen aus Lehr- und Seminartätigkeit (2004: 30.027 €, 2005: 57.564 €) und denen aus Autoren- und Rechtsberatungstätigkeit (2004: 5.341 €, 2005: 594 €) könne der Schwerpunkt der Gesamttätigkeit nur wegen eines denkbaren höheren Zeitaufwands für die Autoren- und Rechtsberatungstätigkeit bei der Nutzung des Arbeitszimmers nicht in dieser Tätigkeit gesehen werden, ist möglich und damit für den Senat nach § 118 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bindend.