BFH V. Senat
FGO § 82, FGO § 155, ZPO § 227 Abs 1, ZPO § 418 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2
vorgehend FG Köln, 02. August 2011, Az: 4 K 150/08
Leitsätze
1. NV: Die Postzustellungsurkunde erbringt vollen Beweis für die von ihr bezeugten Tatsachen, auch den Beweis darüber, dass die gesetzlichen Zustellungsvorschriften beachtet worden sind. Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden.
2. NV: Ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung wird nur dann ausreichend dargelegt, wenn das Urlaubsziel so präzise genannt wird, dass das Gericht beurteilen kann, ob eine Wahrnehmung des Termins wegen des Urlaubs unzumutbar ist.
Tatbestand
I. Im Anschluss an eine Fahndungsprüfung bei der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erließ der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) geänderte Umsatzsteuerbescheide für 2003 und 2004. Der hiergegen erhobene Einspruch blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer Klage vor dem Finanzgericht (FG) verfolgte die Klägerin ihr Anliegen weiter. Nachdem der zuständige Senat des FG den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen hatte, bestimmte dieser den Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 3. August 2011. Die Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde laut Postzustellungsurkunde am Samstag, den 16. Juli 2011, im Wege der Ersatzzustellung durch Niederlegung im zur Wohnung gehörenden Briefkasten bewirkt.
Mit nicht unterschriebenem, per Fax eingereichten Schriftsatz vom 2. August 2011 beantragte die Klägerin die Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung. Als Begründung führte sie aus, dass sie die Ladung per Postnachsendeauftrag erhalten habe. Da sie sich bis Anfang September 2011 im Ausland befinde, sei sie nicht in Deutschland. Ihr Anwalt sei ebenfalls nicht erreichbar, da er sich 14 Tage im Urlaub befinde.
Nach mehreren vergeblichen Versuchen, mit der Klägerin unter der auf dem Schriftsatz vom 2. August 2011 angegebenen Fax-Nummer Kontakt aufzunehmen, hat das FG in Abwesenheit der Klägerin mündlich verhandelt und die Klage durch Urteil als unbegründet abgewiesen. Für eine Verlegung des Termins seien keine "erheblichen Gründe" dargelegt und glaubhaft gemacht worden.
Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin die Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. § 96 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), einen Verstoß gegen die Sachaufklärungspflicht des Gerichts gemäß § 76 Abs. 1 FGO und eine unzutreffende Beweiswürdigung als Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) geltend.
Das FA ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die Entscheidung des FG verletzt nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 96 Abs. 2 FGO und begründet daher keinen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO.
a) Die Klägerin war ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen. Nach der bei den Akten befindlichen Postzustellungsurkunde ist die Ladung der Klägerin gemäß § 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 180 der Zivilprozessordnung (ZPO) durch Niederlegung im zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt worden. Die Postzustellungsurkunde erbringt gemäß § 82 FGO i.V.m. § 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis für die von ihr bezeugten Tatsachen, auch den Beweis darüber, dass die gesetzlichen Zustellungsvorschriften beachtet worden sind (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 5. Februar 2002 VIII R 2/01, BFH/NV 2002, 792). Ein Gegenbeweis kann nur durch den Beweis der Unrichtigkeit der in der Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen geführt werden (vgl. BFH-Urteil vom 2. Juni 1987 VII R 36/84, BFH/NV 1988, 170, m.w.N.). Die bloße Behauptung, die Ladung aufgrund eines der Deutschen Post AG erteilten Nachsendeauftrags erst später erhalten zu haben, genügt hierfür nicht.
b) Das FG war nicht verpflichtet, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen, da die Klägerin keinen erheblichen Grund zur Terminsänderung i.S. von § 227 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 115 FGO dargelegt hat.
aa) Zwar kann ein geplanter Urlaub ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung sein. Er muss aber in seiner Planung so ausgestaltet sein, dass die Wahrnehmung des gerichtlichen Termins während dieser Zeit nicht zumutbar ist. Ein erheblicher Grund ist deshalb nur dann ausreichend dargelegt, wenn nicht nur vorgetragen wird, dass es sich um einen Urlaub handelt, der im Zeitpunkt der Zustellung der Ladung bereits verbindlich geplant war, sondern auch das Urlaubsziel so präzise genannt wird, dass das Gericht beurteilen kann, ob eine Wahrnehmung des Termins wegen des Urlaubs unzumutbar ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. vom 23. Februar 2011 V B 85/10, BFH/NV 2011, 1365, m.w.N.). Der pauschale Hinweis der Klägerin auf einen ‑‑eigenen‑‑ Auslandsaufenthalt und den Urlaub eines ‑‑im Verfahren nicht als Bevollmächtigter aufgetretenen und im Übrigen namentlich nicht genannten‑‑ Anwalts genügt diesen Anforderungen nicht.
bb) Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründungsschrift erstmals vorträgt, bereits zum Zeitpunkt der Zustellung der Ladung im Staat X bei ihrer pflegebedürftigen Mutter gewesen zu sein, kann dies im Nichtzulassungsbeschwerde-Verfahren nicht berücksichtigt werden. Ob im Einzelfall Gründe für eine Terminsverlegung gegeben sind, beurteilt das FG anhand der ihm bekannten Umstände. Die Voraussetzungen durch Vortrag entsprechender Tatsachen zu schaffen, ist Aufgabe desjenigen, der die Verlegung beantragt (BFH-Beschluss vom 4. Mai 2011 IX S 1/11 (PKH), BFH/NV 2011, 1381, m.w.N.). Das gilt insbesondere dann, wenn der Antrag ‑‑wie hier‑‑ erst kurz vor der mündlichen Verhandlung gestellt wird (BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1381).
2. Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) rügt, hat sie den damit behaupteten Verfahrensmangel nicht in einer den gesetzlichen Anforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) entsprechenden Weise dargelegt. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, welche Tatsachen aufgeklärt oder welche Beweise hätten erhoben werden müssen, aus welchen Gründen sich die Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei weiterer Aufklärung oder Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sich daraus auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des Gerichts eine andere Entscheidung hätte ergeben können (BFH-Beschlüsse vom 26. Juni 2003 IV B 195/01, BFH/NV 2003, 1437; vom 29. Mai 2006 V B 159/05, BFH/NV 2006, 1892).
3. Mit der Rüge, das Urteil des FG beruhe auf einer unzutreffenden Beweiswürdigung, macht die Klägerin einen materiell-rechtlichen Fehler geltend. Ein Fehler bei der Rechtsanwendung kann nur ausnahmsweise nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zur Zulassung der Revision führen, wenn es sich um einen schwerwiegenden Rechtsanwendungsfehler handelt, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen. Ein derartiger Fehler liegt jedoch nur dann vor, wenn die angefochtene FG-Entscheidung objektiv willkürlich und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt rechtlich vertretbar ist (z.B. BFH-Beschluss vom 25. März 2010 X B 176/08, BFH/NV 2010, 1455, m.w.N.). Einen solchen qualifizierten Rechtsanwendungsfehler des FG hat die Klägerin nicht dargelegt.