BFH VIII. Senat
FGO § 76 Abs 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3
vorgehend FG Münster, 14. Mai 2009, Az: 14 K 6738/02 E
Leitsätze
1. NV: Weicht der Senat im Urteil von einer vorläufigen Einschätzung des Berichterstatters ab, die dieser den Beteiligten schriftlich mitgeteilt hatte, begründet dies grundsätzlich weder eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht noch ein Verstoß gegen das Gebot eines fairen Verfahrens.
2. NV: Verneint das Finanzgericht mit gut vertretbaren Gründen das Vorliegen eines steuerlichen Beweisverwertungsverbots, liegt darin, auch wenn der Schluss unzutreffend sein sollte, keine Rechtsverletzung von solcher Schwere, dass ausnahmsweise die Zulassung der Revision erforderlich wäre.
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) überwies am 4. Oktober 1991 von seinem Konto bei der X-Bank 180.000 DM auf ein Festgeldkonto bei der Y-Bank in Luxemburg. Das Geld stammte aus der Veräußerung einer Eigentumswohnung. Am 9. Dezember 1991 überwies die Y-Bank das Kapital nebst Zinsen in Höhe von 2.518,75 DM auf das Konto des Klägers zurück.
Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen Mitarbeiter der X-Bank fand das Finanzamt für Strafsachen und Steuerfahndung (FA für Strafsachen) im Jahr 1999 den SWIFT-Beleg zu der Überweisung vom 4. Oktober 1991 und fertigte darüber eine Kontrollmitteilung. Der Abgleich ergab, dass der Kläger die Zinsen aus der Festgeldanlage in seiner Einkommensteuererklärung nicht angegeben hatte. Aufgrund dieser Feststellung führte das FA für Strafsachen gegen die Kläger weitere Vorermittlungen durch. Dabei ergaben sich u.a. Anhaltspunkte für einen gewerblichen Grundstückshandel und die Verschiebung von Vermögenswerten auf nahe Angehörige. Ein am 3. April 2001 gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft am 9. Mai 2001 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung eingestellt.
Ungeachtet dessen ermittelte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) gegen den Kläger weiter. Die Ermittlungen ergaben, dass die Mutter des Klägers und der Sohn verdächtig seien, Einkommensteuer hinterzogen zu haben. Das FA für Strafsachen leitete deshalb gegen die Mutter des Klägers und den Sohn des Klägers Strafverfahren ein und erwirkte einen Durchsuchungsbeschluss. Am 25. September 2001 wurde die Wohnung der zu diesem Zeitpunkt 89-jährigen Mutter des Klägers durchsucht. Diese gab an, weitere Unterlagen befänden sich im Gewahrsam ihres Sohnes. Daraufhin setzte das FA für Strafsachen die Durchsuchung ‑‑wegen Gefahr im Verzug‑‑ bei dem Kläger fort. Die Durchsuchungen führten zur Beschlagnahme von Unterlagen. Das zuständige Landgericht (LG) hat die Beschlagnahmeanordnungen gebilligt. Die Anordnung der Durchsuchung beim Kläger sei aber mangels Bestimmtheit rechtswidrig gewesen.
Wegen des Ergebnisses der weiteren Ermittlungen wird auf den vorläufigen Bericht der Steuerfahndungsstelle vom 4. März 2002 verwiesen. Das FA erließ geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1990 bis 1999. Die dagegen gerichteten Einsprüche waren teilweise erfolgreich (Einspruchsentscheidung vom 25. November 2002).
Dagegen richtet sich die Klage, mit der die Kläger u.a. geltend machen, das FA sei aufgrund eines umfassenden Verwertungsverbots gehindert, die Erkenntnisse über die Kapitalanlage in Luxemburg sowie die im Rahmen der nachfolgenden Durchsuchungen gewonnenen Erkenntnisse der Besteuerung zugrunde zu legen. Die Kontrollmitteilung über die Überweisung nach Luxemburg hätte weder gefertigt noch weitergegeben werden dürfen (Verstoß gegen § 30a Abs. 3 der Abgabenordnung). Die Ermittlungen gegen die Mutter und den Sohn des Klägers seien greifbar gesetzwidrig. Sie hätten von vornherein nur dazu gedient, Material zu suchen, das den Kläger belasten könnte. Die Durchsuchung bei der Mutter des Klägers sei ‑‑entgegen der Ansicht des LG‑‑ auch unverhältnismäßig gewesen. Eine Steuerhinterziehung durch die Mutter sei zu keinem Zeitpunkt in Betracht gekommen.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage teilweise stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Insbesondere bestehe kein steuerliches Beweisverwertungsverbot. Das Fertigen einer Kontrollmitteilung über den SWIFT-Beleg sei rechtmäßig gewesen. Dafür habe ein hinreichender Anlass bestanden. Auch die bei den Durchsuchungen aufgefundenen und beschlagnahmten Unterlagen dürften im Besteuerungsverfahren verwertet werden. Das zuständige LG habe die Rechtmäßigkeit der Beschlagnahmen bindend festgestellt (Tatbestandswirkung). Die Entscheidungen des LG seien nicht deshalb unbeachtlich, weil es sich um nichtige Entscheidungen, Nichtentscheidungen oder um greifbar gesetzwidrige Entscheidungen gehandelt habe. Das FG hat die Revision nicht zugelassen.
Dagegen wenden sich die Kläger mit der Beschwerde.
Soweit das FG einen hinreichenden Anlass für das Ausstellen einer Kontrollmitteilung bejaht habe, sei die Entscheidung mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) unvereinbar. Im Streitfall habe es sich um einen nicht verschleierten Zahlungsvorgang von einem legitimationsgeprüften Konto gehandelt. Allein die Höhe des überwiesenen Betrags und das Zielland (Luxemburg) seien nicht geeignet, einen Generalverdacht auszulösen. Weitere Umstände habe das FG nicht festgestellt. Das FG sei daher seiner Verpflichtung, die gesamten Umstände aufzuklären und zu würdigen, nicht nachgekommen. Zu berücksichtigen sei auch, dass die Berichterstatterin des Senats in einem Hinweisbeschluss erkennbar Zweifel an der Zulässigkeit der Kontrollmitteilung geäußert habe und dass der Vorgang strafrechtlich verjährt gewesen sei. Sie, die Kläger, hätten darauf vertraut, dass der Senat sich der Ansicht der Berichterstatterin anschließen und ebenso entscheiden würde, zumal sie auf Gegenteiliges vor der mündlichen Verhandlung nicht hingewiesen worden seien. Deshalb sei auch ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens zu rügen.
Mit seiner Beurteilung der Durchsuchung und Beschlagnahme bei der Mutter des Klägers weiche das FG von dem BFH-Urteil vom 4. Oktober 2006 VIII R 53/04 (BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227) ab. Bei greifbaren Gesetzesverstößen, insbesondere bei qualifizierten Grundrechtsverstößen oder bei auf strafbare Weise erlangten Erkenntnissen bestehe ein steuerliches Beweisverwertungsverbot. Dafür lägen zahlreiche Hinweise vor (wird ausgeführt). Das FG habe diese Hinweise zwar erwogen, sei ihnen aber nicht ausreichend nachgegangen. Ohne eigene umfassende Sachverhaltsermittlungen hätte der Senat von der Ansicht der Berichterstatterin nicht abweichen dürfen. Insofern liege ebenfalls ein Verfahrensmangel vor. Das gelte auch, soweit der Senat die Tatbestandswirkung des Beschlusses bejaht habe, mit dem das LG die Durchsuchung und Beschlagnahme für rechtmäßig erklärt hat.
Ein materielles Verwertungsverbot bestehe auch hinsichtlich der beim Kläger beschlagnahmten Unterlagen. Aus den Akten ergäben sich zahlreiche Hinweise, dass die Beschlagnahme aus denselben Gründen rechtswidrig gewesen sei wie die Durchsuchung beim Kläger. Im Zeitpunkt der Durchsuchung habe ein konkreter Verdacht nicht bestanden und nicht bezeichnet werden können. Auch insofern hätte der Senat eigene weitere Ermittlungen durchführen müssen, um ohne Verfahrensverstoß entscheiden zu können. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Beschwerdebegründung vom 20. August 2009 und die ergänzenden Ausführungen vom 7. Dezember 2009 Bezug genommen.
Die ursprünglich beim VIII. Senat (VIII B 185/09) anhängige Beschwerde ist zunächst zuständigkeitshalber insgesamt an den X. Senat des BFH abgegeben worden. Der X. Senat hat unter Abtrennung des Verfahrens im Übrigen über die Beschwerde nur entschieden, soweit sie das Streitjahr 1998 betrifft. Er hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen (BFH-Beschluss vom 20. Juni 2011 X B 152/09, BFH/NV 2011, 1890). Im Übrigen hat der X. Senat die Beschwerde, soweit sie die abgetrennten Streitgegenstände betrifft, wieder an den VIII. Senat abgegeben. Danach ist die Beschwerde bei dem beschließenden Senat nur noch anhängig, soweit sie die Streitjahre 1990 bis 1997 und 1999 betrifft.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) liegen nicht vor.
1. Die von den Klägern geltend gemachten Aufklärungsmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
a) Nach § 76 Abs. 1 FGO hat das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Es muss zur Herbeiführung der Spruchreife alles aufklären, was aus seiner Sicht entscheidungserheblich ist (BFH-Beschluss vom 4. Dezember 2008 IX B 155/08, BFH/NV 2009, 412; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 76 Rz 14, m.w.N.). Dabei muss das Gericht alle verfügbaren Beweismittel ausnutzen und Beweismittel, die sich aufdrängen, beiziehen, beispielsweise entscheidungserhebliche Akten des FA oder eines anderen Gerichtsverfahrens (vgl. BFH-Beschluss vom 12. November 2003 VII B 347/02, BFH/NV 2004, 511, unter II.1.).
b) Dieser Pflicht hat das FG im Streitfall genügt. Es hat, wie bereits die umfassende Darstellung des Tatbestands in dem angefochtenen Urteil zeigt, sowohl das Vorbringen der Kläger als auch den Inhalt der beigezogenen Strafakten umfassend zur Kenntnis genommen und erwogen. Weiterer Maßnahmen zur Aufklärung des Sachverhalts bedurfte es nicht. Die Kläger haben insbesondere nicht ausreichend dargelegt, welche zusätzlichen Erkenntnisse die von ihnen für notwendig gehaltenen und in der mündlichen Verhandlung angeregten Zeugenvernehmungen hätten erbringen sollen. Das FG hat deshalb die Beweisanträge im Urteil (Seiten 62, 63) zu Recht abgelehnt. Weiterer Ermittlungen von Amts wegen bedurfte es entgegen der Ansicht der Kläger auch nicht deshalb, weil sich der Senat des FG die vorläufig geäußerten Zweifel der Berichterstatterin in ihrem Hinweisbeschluss vom 28. Januar 2005 nicht zu eigen gemacht hat. Die Berichterstatterin hat in ihrem Hinweisbeschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie sich "ohne Vorgriff auf eine abschließende Entscheidung des Senats" äußere. Insoweit unterscheidet sich der Streitfall von dem Sachverhalt, der dem BFH-Urteil vom 11. November 2008 IX R 14/07 (BFHE 223, 308, BStBl II 2009, 309) zugrunde lag. Der Senat des FG konnte daher von der Ansicht der Berichterstatterin abweichen, indem er die bekannten Umstände anders würdigte. Eigene weitere Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht waren nicht erforderlich.
Der beschließende Senat kann sich in diesem Zusammenhang aus demselben Grund auch nicht der Ansicht der Kläger anschließen, dass das FG gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen hat, indem es ohne vorherigen Hinweis von der geäußerten Ansicht der Berichterstatterin abgewichen ist.
Im Kern rügen die Kläger nicht die mangelnde Sachaufklärung durch das Gericht, sondern eine ‑‑aus ihrer Sicht‑‑ unzutreffende Beweiswürdigung (vgl. bereits BFH-Beschluss in BFH/NV 2011, 1890). Damit können sie jedoch im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht durchdringen. Denn grundsätzlich führen Fehler bei der Anwendung des Rechts nicht zur Zulassung der Revision. Anhaltspunkte für einen sog. qualifizierten Rechtsanwendungsfehler, der ausnahmsweise zur Zulassung der Revision führen könnte, liegen nicht vor. Der beschließende Senat hält insbesondere die tatsächlichen Würdigungen des FG für vertretbar. Daran wäre er auch im Rahmen einer Revision gebunden (§ 118 Abs. 2 FGO). Das FG hat seinerseits auch keine Grundrechte des Klägers verletzt. Verneint das FG ‑‑wie im Streitfall‑‑ mit gut vertretbaren Gründen die Annahme eines materiellen Verwertungsverbots, liegt darin keine Rechtsverletzung von solcher Schwere, dass ausnahmsweise die Zulassung der Revision geboten wäre.
2. Für die von den Klägern gerügte Abweichung des FG-Urteils von dem BFH-Urteil in BFHE 215, 12, BStBl II 2007, 227 liegen keine Anhaltspunkte vor. Es ist nicht ersichtlich, dass das FG einen von dem genannten BFH-Urteil abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hätte.