BFH VI. Senat
FGO § 69 Abs 3, EStG § 77, RVG § 14 Abs 1, RVG § 14 Abs 2, RVG-VV Nr 2300, BRAGebO § 12 Abs 2
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 03. April 2011, Az: 1 K 8/10
Leitsätze
1. NV: Mit Einwänden gegen die Richtigkeit der Kostenfestsetzung (hier: fehlerhafte Bemessung der Geschäftsgebühr durch das FG) kann die Zulassung der Revision nicht erstritten werden.
2. NV: Das FG kann über die Frage der Unbilligkeit der Geschäftsgebühr selbst entscheiden. Es ist insbesondere nicht verpflichtet, nach § 14 Abs. 2 Satz 1 RVG ein Gutachten der Rechtsanwaltskammer zur Höhe der Gebühr einzuholen. Diese Vorschrift gilt nur für Rechtsstreite zwischen dem Rechtsanwalt und seinen Auftraggebern, nicht aber zwischen Gebührenschuldnern und einem ersatzpflichtigen Dritten (hier: der Familienkasse).
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die Höhe von Rechtsanwaltsgebühren, welche der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) von der Beklagten und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) für die Wahrnehmung seiner Interessen im Einspruchsverfahren fordert.
Die Familienkasse forderte den Kläger mit Abrechnungsbescheid zur Rückerstattung unrechtmäßig empfangenen Kindergeldes auf. Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und beantragte zugleich Aussetzung der Vollziehung (AdV). Nachdem die Familienkasse die AdV abgelehnt hatte, beantragte der Kläger vorläufigen Rechtsschutz durch das Finanzgericht (FG) gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), den das FG gewährte. Daraufhin nahm die Familienkasse den angefochtenen Abrechnungsbescheid zurück und erklärte das Einspruchsverfahren für erledigt. Der Kläger beantragte sodann Kostenfestsetzung auf der Grundlage einer 1,8fachen Geschäftsgebühr, "weil die Tätigkeit nicht nur umfangreich, sondern auch schwierig war". Die Familienkasse anerkannte hingegen lediglich eine Mittelgebühr (Nr. 2300 Vergütungsverzeichnis ‑‑VV‑‑ zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz ‑‑RVG‑‑) in Höhe der 1,3fachen Geschäftsgebühr und setzte die erstattungsfähigen Kosten entsprechend fest. Hiergegen erhob der Kläger Einspruch und beantragte nunmehr eine 2,0fache Geschäftsgebühr. Zur Begründung führte er aus, geführte Vergleichsgespräche seien bislang unberücksichtigt geblieben. Die Familienkasse wies den Einspruch mit der Maßgabe zurück, dass die Geschäftsgebühr auf den 1,5fachen Satz festzusetzen ist und berechnete die erstattungsfähigen Kosten demgemäß.
Die gegen den Kostenerstattungsbescheid erhobene Klage wies das FG ab. Denn der Ansatz einer 1,5fachen Geschäftsgebühr sei unter den vorliegenden Bedingungen nicht zu beanstanden. Nach Nr. 2300 VV RVG stehe dem Anwalt des Klägers für die Vertretung im Einspruchsverfahren für alle mit der außergerichtlichen Rechtsbesorgung in dieser Angelegenheit anfallenden Tätigkeiten eine Geschäftsgebühr in Form einer Rahmengebühr von 0,5 bis 2,5 zu. Gemäß § 14 Abs. 1 RVG bestimme der Rechtsanwalt bei Rahmengebühren die Gebühr im Einzelfall grundsätzlich unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit für den Auftraggeber sowie seiner Einkommens- und Vermögensverhältnisse und auch des anwaltlichen Haftungsrisikos nach billigem Ermessen. Für die Bemessung der Geschäftsgebühr sei zusätzlich die Erläuterung zu Nr. 2300 VV RVG zu berücksichtigen, in der zur konkreten Bemessung der Geschäftsgebühr ergänzend ausgeführt werde, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur verlangt werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen sei. Dies sei zur Überzeugung des Gerichts vorliegend jedenfalls nicht in einem Umfang der Fall gewesen, welcher den Ansatz einer den Faktor 1,5 übersteigenden Gebühr rechtfertigen könne.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, mit welcher er die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung, der Fortbildung des Rechts, der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung begehrt und einen Verfahrensfehler rügt.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision zum Teil nicht hinreichend dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, und zum Teil nicht vorliegen.
1. Der Kläger hat nicht hinreichend dargetan, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) habe.
Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache verlangt substantiierte Ausführungen zur Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall klärbar, d.h. entscheidungserheblich ist. Zur schlüssigen Darstellung der Klärungsbedürftigkeit dieser Rechtsfrage ist auszuführen, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen ihre Beantwortung zweifelhaft und umstritten ist; hierzu muss sich der Beschwerdeführer mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) und den Äußerungen im Schrifttum auseinandersetzen (so z.B. Senatsbeschluss vom 4. März 2009 VI B 105/08, BFH/NV 2009, 1140).
Die Beschwerdebegründung entspricht diesen Anforderungen nicht. Denn der Kläger hat keine klärungsbedürftige Rechtsfrage aufgeworfen. Er hat lediglich ausgeführt, dass es im Streitfall "um die Anwendung von Gebührenrecht nach der Rechtsanwaltsvergütungsordnung und im Besonderen um § 14 Abs. 1 RVG im Einspruchsverfahren einer Kindergeldsache" geht und hierzu eine Entscheidung des BFH nicht vorliege. Überdies richtet sich sein Vorbringen im Wesentlichen gegen die Richtigkeit des finanzgerichtlichen Urteils. Denn der Kläger rügt, das FG habe bei der Bemessung der Geschäftsgebühr lediglich den für das Einspruchsverfahren zugrundeliegenden Sachverhalt herangezogen. Es habe nicht auf den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und dessen Schwierigkeit im Streitfall, sondern allein auf die einfache Rechtslage bei paralleler Zahlung von Kindergeld durch zwei Familienkassen abgestellt, und damit gegen § 14 Abs. 1 RVG verstoßen. Damit trägt er jedoch keine klärungsbedürftige Rechtsfrage vor, sondern wendet sich gegen die materielle Richtigkeit der Kostenfestsetzung. Solche Einwände, die nur im Rahmen einer Revisionsbegründung erheblich sein können, sind für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision jedoch unbeachtlich. Die Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht dazu, allgemein die Richtigkeit finanzgerichtlicher Urteile zu gewährleisten (BFH-Beschlüsse vom 7. Dezember 2007 VIII B 68/07, BFH/NV 2008, 590; vom 20. Februar 2008 VIII B 103/07, BFH/NV 2008, 980). Dass insoweit ein zur Revision führender besonders schwerer materiell-rechtlicher Fehler vorliege, hat der Kläger ebenfalls nicht dargelegt.
2. Auch soweit der Kläger eine höchstrichterliche Entscheidung zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) für erforderlich hält, entspricht die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen. Eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts ist insbesondere in Fällen erforderlich, in denen über bisher ungeklärte Rechtsfragen zu entscheiden ist, so beispielsweise, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Grundsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder des Verfahrensrechts aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch auszufüllen. Erforderlich ist eine Entscheidung des BFH nur dann, wenn die Rechtsfortbildung über den Einzelfall hinaus im allgemeinen Interesse liegt und wenn die Frage nach dem "Ob" und ggf. "Wie" der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig ist. Es gelten insoweit die zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO höchstrichterlich entwickelten strengen Darlegungsanforderungen (z.B. BFH-Beschluss vom 13. Juli 2011 VI B 20/11, BFH/NV 2011, 1863). Der Kläger legt indes im Kern lediglich seine Rechtsauffassung dar, dass die Geschäftsgebühr fehlerhaft bemessen worden sei und genügt damit den Darlegungsanforderungen nicht.
3. Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist ebenfalls nicht hinreichend dargelegt. Dieser Zulassungsgrund erfasst zunächst die Fälle der sog. Divergenzrevision und erfordert darüber hinaus auch dann eine Entscheidung des BFH, wenn die einheitliche Beantwortung einer Rechtsfrage nur durch eine Entscheidung des BFH gesichert werden kann. Hierzu ist der schlüssige Vortrag erforderlich, dass die angestrebte BFH-Entscheidung geeignet und notwendig ist, künftige unterschiedliche gerichtliche Entscheidungen über die betreffende Rechtsfrage zu verhindern (vgl. BFH-Beschluss vom 5. Juli 2002 XI B 136/01, BFH/NV 2002, 1479, m.w.N.). Auch zur Darlegung dieser Voraussetzungen ist es aber mindestens erforderlich, dass das Urteil, von dem die Vorinstanz abgewichen ist, und der Rechtssatz, den sie falsch angewandt oder ausgelegt hat, bezeichnet werden (BFH-Beschluss vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837). Hieran fehlt es im Streitfall.
4. Schließlich ist dem FG ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht dadurch unterlaufen, dass es kein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer nach § 14 Abs. 2 Satz 1 RVG eingeholt hat. Denn das FG war im Streitfall nicht verpflichtet ein solches Gutachten einzuholen. Der BFH hat zur entsprechenden Vorgängervorschrift des § 12 Abs. 2 Satz 1 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung bereits klargestellt, dass diese Vorschrift nur für Rechtsstreite zwischen dem Rechtsanwalt und seinen Auftraggebern gilt (Beschluss vom 19. Oktober 2004 VII B 1/04, BFH/NV 2005, 561, m.w.N.; vgl. auch Beschluss des FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 12. Juli 2011 2 KO 225/11, Steuer-Eildienst 2011, 665). Vorliegend handelt es sich jedoch nicht um einen Honorarprozess, sondern um einen Rechtsstreit zwischen dem Kläger und einem Dritten, der nach § 77 des Einkommensteuergesetzes erstattungspflichtigen Familienkasse.
5. Von einer weiteren Begründung wird nach § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.