BFH I. Senat
AO § 165 Abs 2 S 1, AO § 173 Abs 1 Nr 2, AO § 175 Abs 1 S 1 Nr 1, EStG § 51a Abs 2, KiStG NW § 4 Abs 2, KiStG NW § 9, KiStG NW § 14 Abs 1, KiStG NW § 14 Abs 2
vorgehend FG Münster, 10. September 2007, Az: 14 K 5023/06 E
Leitsätze
NV: Für Änderungen bestandskräftiger Kirchensteuerfestsetzungen in Nordrhein-Westfalen sind die Finanzämter und nicht die kirchlichen Stellen zuständig. Die Finanzämter sind auch zuständig für die Entscheidung über Einsprüche gegen die Ablehnung von Änderungsanträgen des Steuerpflichtigen und sind passiv prozessführungsbefugt in nachfolgenden Klageverfahren.
Tatbestand
I. Streitpunkt ist eine von den Klägern und Revisionsklägern (Kläger) begehrte Änderung der Kirchensteuerfestsetzungen für die Streitjahre (2003 und 2004).
Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren der evangelischen Kirche angehörten und die für diese Jahre zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Ihr älteres Kind, geboren im Jahr 1981, absolvierte bis August 2004 eine Berufsausbildung; ihr jüngeres Kind, geboren im Jahr 1983, befand sich während des Streitzeitraums in Ausbildung. Die Kläger bezogen in den Streitjahren zunächst kein Kindergeld.
Mit der Einkommensteuererklärung 2003 reichten die Kläger u.a. zwei Anlagen "Kind" beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) ein. Die Einkünfte und Bezüge der Kinder gaben sie dabei mit 8.541 € und 7.737 € an. Die Einkommensteuererklärung 2004 enthielt keine Anlage "Kind". Bei der Festsetzung der Einkommensteuern, der Kirchensteuern und der Solidaritätszuschläge für 2003 und 2004 mit Bescheiden vom 2. April 2004 und vom 15. April 2005 berücksichtigte das FA keine Kinderfreibeträge. Die vorstehend genannten Bescheide wurden nicht angefochten.
Im November 2005 setzte die Familienkasse Kindergeld für das jüngere Kind für den gesamten Streitzeitraum und im Januar 2006 für das ältere Kind bis einschließlich August 2004 fest. Unter Hinweis auf die nachträgliche Festsetzung von Kindergeld beantragten die Kläger daraufhin, die Steuerfestsetzungen 2003 und 2004 zu ändern und Kinderfreibeträge zu berücksichtigen. Diesen Antrag lehnte das FA ab. Die deswegen erhobene Klage blieb ohne Erfolg; das Finanzgericht (FG) Münster hat sie mit Urteil vom 11. September 2007 14 K 5023/06 E (abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1926) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage gegen die Einkommensteuerbescheide 2003 und 2004 sei zulässig. Zwar könnten die Kläger keine Herabsetzung der Einkommensteuer erreichen, weil das Kindergeld ‑‑nach den probeweisen Berechnungen des FA‑‑ in beiden Streitjahren günstiger als die Freibeträge gewesen wäre. Die von den Klägern begehrte Änderung (Herabsetzung) der Bemessungsgrundlagen für die Kirchensteuer und den ‑‑in diesem Revisionsverfahren nicht streitgegenständlichen‑‑ Solidaritätszuschlag sei aber nur durch eine Änderung des Einkommensteuerbescheids zu erreichen. Die Klage sei jedoch unbegründet, weil es an einer Rechtsgrundlage für die begehrte Änderung fehle.
Gegen das FG-Urteil richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts und die Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend machen.
Das Rechtsmittel war zunächst einheitlich beim III. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) anhängig. Dieser hat das Klagebegehren dahin verstanden, dass es sich auf eine abweichende Berechnung der modifizierten Einkommensteuer einerseits ‑‑betreffend den Solidaritätszuschlag‑‑ nach § 3 Abs. 2 des Solidaritätszuschlaggesetzes (SolZG 1995) und andererseits ‑‑betreffend die Kirchensteuern‑‑ nach § 51a Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 2002) richtet. Daraus hat der III. Senat gefolgert, dass Verfahrensgegenstand des Änderungsbegehrens der Kläger nicht ‑‑wie vom FG angenommen‑‑ die Festsetzung der Einkommensteuer, sondern die Festsetzungen von Solidaritätszuschlag und Kirchensteuern sind. Im Hinblick auf die Festsetzung des Solidaritätszuschlags hat er die Revision als unbegründet zurückgewiesen (BFH-Urteil vom 27. Januar 2011 III R 90/07, BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543). Hinsichtlich der Festsetzung der Kirchensteuern hat er das Verfahren abgetrennt und zuständigkeitshalber an den erkennenden Senat abgegeben. Über diesen Teil des Rechtsmittels ist nunmehr zu befinden.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das FG-Urteil und die angefochtenen Bescheide aufzuheben und das FA zu verpflichten, die Festsetzungen der Kirchensteuern für 2003 und 2004 dergestalt zu ändern, dass jeweils die für Kinder zu gewährenden Freibeträge berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und deshalb gemäß § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
1. Der Senat legt das Klagebegehren in Übereinstimmung mit dem III. Senat des BFH dahin aus, dass sich die angestrebte Änderung auf die Kirchensteuerfestsetzung und nicht auf die Festsetzung der Einkommensteuer als Maßstabsteuer bezieht. Es wird insoweit auf die Ausführungen im BFH-Urteil in BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543 (Rz 13 f.) verwiesen, wonach eine geänderte Berechnung der modifizierten Einkommensteuer nach § 3 Abs. 2 SolZG 1995 im Verfahren betreffend die Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags und nicht im Verfahren betreffend die Änderung der Einkommensteuerfestsetzung geltend zu machen ist. Entsprechendes gilt für das Verfahren der Änderung der Kirchensteuerfestsetzung, soweit ‑‑wie im Streitfall‑‑ die Berechnung der "fiktiven" Einkommensteuer nach § 51a Abs. 2 EStG 2002 (i.V.m. § 4 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuern im Land Nordrhein-Westfalen in der in den Streitjahren geltenden Fassung des Gesetzes vom 6. März 2001 [Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 2001, 103] ‑‑KiStG NW‑‑) als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Kirchensteuer betroffen ist (vgl. auch den Senatsbeschluss vom 28. November 2007 I R 99/06, BFHE 221, 288, BStBl II 2011, 40).
2. Die so verstandene Revision ist nicht bereits aufgrund formeller Erwägungen zurückzuweisen.
a) Das FA ist die für die begehrten Änderungen der Kirchensteuerfestsetzungen zuständige Stelle. Die Festsetzung der evangelischen Kirchensteuern gehört zu den im Rahmen des § 9 KiStG NW den Finanzämtern übertragenen Aufgaben. Die Entscheidung über die von den Klägern angestrebten Änderungen der in Bestandskraft erwachsenen Kirchensteuerfestsetzungen nach § 165 Abs. 2 Satz 1 bzw. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) gehört zum Festsetzungsverfahren. Es handelt sich bei den diesbezüglichen Anträgen der Kläger nicht um Einsprüche gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer i.S. von § 14 Abs. 1 KiStG NW, für die gemäß § 14 Abs. 2 KiStG NW die in der Steuerordnung der jeweiligen Kirche bestimmte Stelle zuständig ist, auch soweit es um Einwendungen gegen die Berechnung der für die Kirchensteuer maßgeblichen "fiktiven" Einkommensteuer nach § 51a Abs. 2 EStG 2002 geht (dazu Senatsbeschluss in BFHE 221, 288, BStBl II 2011, 40).
b) Ist das FA mithin zur Entscheidung über die Änderungsanträge der Kläger befugt, ist es ‑‑entgegen der von ihm im Revisionsverfahren vertretenen Auffassung‑‑ auch diejenige Stelle, die über die Einsprüche der Kläger gegen die Ablehnung der Änderungen zu entscheiden hat; auch insoweit handelt es sich nicht um Einsprüche gegen die Heranziehung zur Kirchensteuer i.S. von § 14 Abs. 1 KiStG NW. Folglich ist das FA "richtiger" Beklagter der streitgegenständlichen Verpflichtungsklage und fehlt es ihm nicht an der passiven Prozessführungsbefugnis.
3. In der Sache muss die Revision jedoch abschlägig beschieden werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die begehrten Änderungen der bestandskräftigen Kirchensteuerfestsetzungen nach § 165 Abs. 2 Satz 1, § 173 Abs. 1 Nr. 2 sowie § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. Nr. 2 AO ‑‑jeweils i.V.m. § 8 Abs. 1 KiStG NW‑‑ liegen nicht vor. Der Senat nimmt insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug auf die Erwägungen, mit denen der III. Senat des BFH in dem Urteil in BFHE 232, 485, BStBl II 2011, 543 (Rz 15 ff.) die Zurückweisung der Revision der Kläger bezüglich der abgelehnten Änderung der Festsetzung des Solidaritätszuschlags begründet hat. Diese Erwägungen ‑‑denen sich der erkennende Senat in der Sache anschließt‑‑ treffen in gleicher Weise auf die erstrebten Änderungen der Kirchensteuerfestsetzungen zu. Entsprechendes gilt für die Ausführungen im Urteil des III. Senats zur Unbegründetheit der von den Klägern erhobenen Rügen betreffend die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Rz 32 ff.).