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Urteil vom 24. November 2011, V R 20/10

Wirkung des Tabelleneintrags im Insolvenzverfahren

BFH V. Senat

AO § 130 Abs 1, AO § 251 Abs 3, InsO § 178

vorgehend FG Düsseldorf, 20. April 2010, Az: 5 K 4305/07 U

Leitsätze

NV: § 178 Abs. 3 InsO ist dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Eintragung zur Insolvenztabelle bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dieselbe Wirkung wie der beim Bestreiten vorzunehmenden Feststellung gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zukommt und kann daher wie diese unter den Voraussetzungen des § 130 AO geändert werden.

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH.

  2. Mit Schreiben vom 22. Februar 2006 meldete der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) Abgabenforderungen in Höhe von insgesamt 34.851,99 € zur Tabelle an. Darin war Umsatzsteuer 2006 in Höhe von 27.650 € enthalten. Grundlage war eine Steuerberechnung vom 9. März 2006. Am 17. Mai 2006 wurde der angemeldete Betrag von 34.851,99 € in voller Höhe festgestellt. Am 27. Juli 2006 ging eine Umsatzsteuererklärung für 2006 beim FA ein. Die Erklärung wies eine Umsatzsteuerschuld von 3.064,47 € aus. Mit Schreiben vom 31. Juli 2006 lehnte das FA eine Änderung der Umsatzsteuer 2006 unter Hinweis auf die Feststellung der Forderung zur Tabelle und die Wirkung der Eintragung in die Tabelle wie ein rechtskräftiges Urteil (§ 178 Abs. 3 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑) ab. Mit Schreiben vom 6. März 2007 beantragte der Kläger nochmals den Erlass eines ändernden Feststellungsbescheides hinsichtlich der angemeldeten Umsatzsteuer 2006. Diesen Antrag lehnte das FA mit Schreiben vom 21. März 2007 ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Mit Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2007 wies das FA den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies das FA auf § 178 Abs. 3 InsO und führte weiter aus, dass die unbestrittene Eintragung in die Tabelle bei Steuerforderungen wie ein bestandskräftiger Verwaltungsakt (Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) gelte und die Funktion einer Steuerfestsetzung übernehme. Die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 130 Abs. 1 AO lägen nicht vor. Der Umstand, dass es der Kläger pflichtwidrig versäumt habe, Widerspruch zu erheben, rechtfertige keine Korrektur nach § 130 AO.

  3. Auch die Klage zum Finanzgericht (FG) blieb erfolglos. Nach dem Urteil des FG hat die Eintragung der festgestellten Forderungen nach dem eindeutigen Wortlaut des § 178 Abs. 3 InsO nicht nur die Wirkung eines bestandskräftigen Feststellungsbescheides oder eines bestandskräftigen Steuerbescheides, sondern die eines rechtskräftigen Urteils. Es bestehe keine Regelungslücke, die durch eine analoge Anwendung abgabenrechtlicher Verfahrensvorschriften zu schließen sei. Hierfür spreche auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger. Im Übrigen sei die Ermessensausübung durch das FA nicht zu beanstanden.

  4. Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Die unbestrittene Eintragung einer Steuerforderung in die Insolvenztabelle führe nicht dazu, dass der Steueranspruch nur noch unter den Voraussetzungen des § 178 Abs. 3 InsO geändert werden könne. Es entstehe sonst ein materiell-rechtlich nicht geschuldeter Umsatzsteueranspruch. Nicht vereinnahmte Entgelte verminderten nach § 17 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) die Umsatzsteuer. Es führe zu einer Missachtung des § 17 UStG, den Steueranspruch entgegen der geltenden Steuerrechtsregelung umzugestalten. Der Tabelleneintrag einer nicht bestrittenen Forderung trete im Hinblick auf das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung an die Stelle der Steuerfestsetzung. Die Steuerfestsetzung diene der Erhebung des Steueranspruchs. Die nicht bestrittene Eintragung sei nur einer Steuerfestsetzung gleichzusetzen. Die Auffassung des FG führe zu einer Pflicht zum vorsorglichen Bestreiten, selbst wenn hierfür keine Veranlassung bestehe.

  5. Der Kläger beantragt,

    das Urteil des FG sowie die Umsatzsteuerfestsetzung 2006 gemäß Steuerberechnung vom 9. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 18. Oktober 2007 aufzuheben.

  6. Das FA beantragt,

    die Revision zurückzuweisen.

  7. Für eine einengende Auslegung des § 178 Abs. 3 InsO bestehe kein Bedürfnis.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das FA nicht verpflichtet war, den beantragten Feststellungsbescheid zu erlassen.

  2. 1. Wie der Senat mit Urteil vom 24. November 2011 V R 13/11 (BFHE 235, 137, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2011, 2818, unter II.4.) entschieden hat, ist § 178 Abs. 3 InsO dahingehend einschränkend auszulegen, dass der Eintragung zur Insolvenztabelle bei Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis dieselbe Wirkung wie der beim Bestreiten vorzunehmenden Feststellung gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zukommt und wie diese unter den Voraussetzungen des § 130 AO geändert werden kann. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen hierauf Bezug.

  3. 2. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass das FA zum Erlass des beantragten Verwaltungsakts nicht verpflichtet war.

  4. a) Mit Urteil in BFHE 235, 137 hat der erkennende Senat entschieden, dass der Eintragung in die Insolvenztabelle nach § 178 Abs. 3 InsO die Wirkung einer behördlichen Feststellung nach Bestreiten gemäß § 185 InsO i.V.m. § 251 Abs. 3 AO zukommt und wie diese unter den Voraussetzungen des § 130 AO geändert werden kann. Bei der nach Maßgabe des § 130 Abs. 1 AO zu treffenden Ermessensentscheidung, ob einem Begehren auf ganze oder teilweise Rücknahme eines unanfechtbaren Verwaltungsakts und damit auf Einschränkung des Tabelleneintrags zu entsprechen ist, hat das FA im konkreten Fall abzuwägen, ob dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Gerechtigkeit im Einzelfall oder dem Interesse der Allgemeinheit am Eintritt von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit der Vorzug zu geben ist. Dabei übt das FA sein Ermessen in der Regel ermessensfehlerfrei aus, wenn der Adressat die Gründe, die seiner Auffassung nach eine Rücknahme rechtfertigen, mit einem fristgerecht eingelegten Einspruch gegen den Bescheid hätte vorbringen können und keine besonderen Umstände vorliegen, nach denen vom Adressaten die Rechtsverfolgung im Einspruchsverfahren unter Berücksichtigung aller Umstände billigerweise nicht erwartet werden konnte.

  5. b) Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Änderung der dem Tabelleneintrag zukommenden Feststellungswirkung gemäß § 110 Abs. 2 FGO i.V.m. § 130 Abs. 1 AO nicht vor.

  6. Das FG hat sein Urteil im Rahmen der nach § 102 FGO vorzunehmenden Prüfung zu Recht darauf gestützt, dass das FA bei seiner Ermessensausübung in der Einspruchsentscheidung zutreffend berücksichtigt hat, dass für den Kläger die Möglichkeit bestand, durch Bestreiten gemäß § 178 Abs. 1 InsO den Eintritt der Urteilswirkung zu verhindern. Dies führt entgegen der Auffassung des Klägers nicht dazu, dass Insolvenzverwalter gezwungen werden, Forderungen auf Verdacht zu bestreiten. Diese haben vielmehr ebenso wie bei Forderungen, die der Feststellung im ordentlichen Verfahren unterliegen, ihre Verpflichtung zur Prüfung und Abwehr zu Unrecht geltend gemachter Insolvenzforderungen zu erfüllen.

  7. Weiter war zu berücksichtigen, dass das FA entsprechend den Grundsätzen des Senatsurteils in BFHE 235, 137, unter II.2. die Forderungsanmeldung auf Grundlage einer Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG für den Zeitraum vom Beginn des Kalenderjahres bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat. Wie der Senat in diesem Urteil unter II.2. weiter entschieden hat, unterliegt diese Steuerberechnung nicht den Beschränkungen des insolvenzrechtlichen Aufrechnungs- und Anfechtungsrechts, die ‑‑in anderen Fällen als der Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG‑‑ bei einer "Verrechnung" mehrerer Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis nach dem Urteil des VII. Senats des BFH vom 2. November 2010 VII R 6/10 (BFHE 231, 488, BStBl II 2011, 374, Leitsatz) zu beachten wären.

  8. Liegt der Forderungsanmeldung zur Insolvenztabelle eine derartige Steuerberechnung zugrunde, hat der Insolvenzverwalter die angemeldete Forderung zu überprüfen und Fehler durch Widerspruch (§ 178 Abs. 1 InsO) geltend zu machen. Dies ist im Streitfall unterblieben. Der Kläger kann daher nicht mehr nachträglich die Fehlerhaftigkeit der der Forderungsanmeldung zugrunde liegenden Steuerberechnung wie z.B. die fehlerhafte Anwendung des § 17 UStG geltend machen.

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