BFH I. Senat
EStG § 50d Abs 1 S 2
vorgehend FG Köln, 22. Juni 2010, Az: 2 K 1274/06
Leitsätze
NV: Der Anspruch des Vergütungsgläubigers auf Erstattung von "einbehaltener und abgeführter" Abzugsteuer (§ 50d Abs. 1 Satz 2 EStG) setzt nach Wortlaut, Regelungszweck und Sachzusammenhang eine (vorhergehende) Abführung der Abzugsteuer voraus.
Tatbestand
I. Streitig ist, in welcher Höhe ein Anspruch auf Erstattung von Einkommensteuer nach § 50d Abs. 1 i.V.m. § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG 1990/2002) besteht.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine nach österreichischem Recht gegründete und in Österreich ansässige GmbH, war im Streitjahr 1994 als Produktionsfirma insbesondere im Bereich der Vermarktung der Musikergruppe A tätig. Am 1. September 2003 beantragte sie beim Beklagten und Revisionsbeklagten, dem Bundesamt für Finanzen (BfF), nunmehr: Bundeszentralamt für Steuern (BZSt), die Erteilung einer Freistellungsbescheinigung und die Erstattung von Steuerabzugsbeträgen i.S. des § 50a EStG 1990/2002 in Höhe von 9.736,40 DM (= 4.978,14 €) für Vergütungen, die sie von B als inländischem Veranstalter (Vergütungsschuldner) für ein Konzert der A erhalten hatte. Dem Antrag war eine durch den Vergütungsschuldner ausgefüllte Steuerbescheinigung vom 25. März 2002 beigefügt, der einen entsprechenden Steuerabzugsbetrag auswies. Den im II. Quartal 1994 angemeldeten Betrag hatte der Vergütungsschuldner an das zuständige Finanzamt (FA) jedoch nur in Höhe von 8.282,22 DM (= 4.234,63 €) abgeführt. Der Differenzbetrag in Höhe von 1.454,18 DM (= 743,51 €) war gemäß § 261 der Abgabenordnung (AO) vom FA verwaltungsintern niedergeschlagen worden, da eine Vollstreckung in das Vermögen des Vergütungsschuldners seinerzeit keinen Erfolg versprach.
Seinem anschließenden Freistellungsbescheid hatte das BfF eine Erstattungsmitteilung mit einem Erstattungsbetrag von 8.282,22 DM beigefügt: Nur diejenigen Steuerabzugsbeträge könnten erstattet werden, die auch beim FA angemeldet und abgeführt worden seien. Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos (Finanzgericht ‑‑FG‑‑ Köln, Urteil vom 23. Juni 2010 2 K 1274/06, Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2011, 334).
Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts und beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 20. Februar 2006 das FA zu verpflichten, den Erstattungsbetrag auf 4.978,15 € festzusetzen sowie an die Klägerin Zinsen nach § 233a AO auf den weiteren Erstattungsbetrag ab dem Zeitpunkt des Steuereinbehalts und ohne Abrundung auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag zu zahlen.
Das BZSt beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Das FG hat das Begehren der Klägerin auf Verzinsung der Abzugsbeträge ohne Rechtsfehler als unzulässig abgewiesen.
a) Soweit die Klägerin einen Verzinsungsanspruch auf § 233a AO stützt, sind die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen der §§ 44 bis 46 FGO (behördliches Verwaltungsverfahren, behördliches Rechtsbehelfsverfahren bzw. Zustimmung zu einer Sprungklage, Untätigkeitsklage) für eine unmittelbare Geltendmachung eines solchen Anspruchs im Finanzprozess nicht erfüllt. Auch wenn, wie die Klägerin ausführt, zu erwarten ist, dass das BZSt ihren Antrag auf Zinszahlung ablehnt, suspendiert dies nicht von der Erforderlichkeit des behördlichen Vorverfahrens.
b) Auch § 100 Abs. 4 FGO bietet entgegen der Ansicht der Revision keine eigenständige Anspruchsgrundlage für eine Verzinsung einer gerichtlich zugesprochenen Leistung. Diese Regelung räumt vielmehr nur aus prozessökonomischen Gründen die Möglichkeit ein, im Anfechtungs- oder Verpflichtungsprozess zugleich mit dem zusprechenden Urteil einen gerichtlichen Ausspruch z.B. zu Prozesszinsen zu erlangen.
2. Das FG hat auch das (weitere) Erstattungsbegehren der Klägerin (in Höhe von 1.454,18 DM = 743,51 €) ohne Rechtsfehler zurückgewiesen.
a) Auf Einkünfte, die dem Steuerabzug auf Grund des § 50a EStG (1990 ff.) ‑‑im Streitfall des § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 1990‑‑ unterliegen, sind nach § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG (1990 ff.) in der nach § 52 Abs. 59a Satz 4 EStG 2002 i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003 ‑‑StÄndG 2003‑‑) ab dem 1. Januar 2002 anzuwendenden Fassung des Steueränderungsgesetzes 2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) die Vorschriften über die Einbehaltung, Abführung und Anmeldung der Steuer ‑‑im Streitfall nach § 50a Abs. 5 Satz 1 bis 3 EStG 1990‑‑ durch den Schuldner der Vergütungen i.S. des § 50a EStG (1990 ff.) auch dann anzuwenden, wenn sie nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ‑‑im Streitfall dem DBA-Österreich 1954‑‑ nicht besteuert werden können. Unberührt davon bleibt nach § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG (1990 ff.) der Anspruch des Gläubigers der Vergütungen auf völlige Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer.
Der Gesetzeswortlaut belässt sonach keinen Zweifel daran, dass die Erstattung nicht nur erfordert, dass die Abzugsteuer einbehalten, sondern dass sie auch tatsächlich an das Finanzamt abgeführt worden sein muss. Dies allein korrespondiert mit dem in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG (1990 ff.) angelegten Zweck der Abzugsteuer, das inländische Besteuerungssubstrat (vorerst) zu sichern und die (nachfolgende) Erstattung von einer näheren Prüfung der Erstattungsvoraussetzungen abhängig zu machen. Dies allein steht überdies in Einklang mit den weiteren Regelungen des § 50d Abs. 1 EStG 2002 in der nach § 52 Abs. 59a Satz 4 EStG 2002 i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (Steueränderungsgesetz 2003 ‑‑StÄndG 2003‑‑) ab dem 1. Januar 2002 anzuwendenden Fassung des Steueränderungsgesetzes 2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710): Nach dessen Satz 5 kann die Auszahlung des Erstattungsanspruchs an einen Erstattungsgläubiger, der seinerseits Steuern nach § 50a Abs. 5 EStG (1990 ff.) einzubehalten hat, davon abhängig gemacht werden, dass er der eigenen Verpflichtung nachkommt. Und auch § 50d Abs. 1 Satz 7 EStG 2002 in der vorgenannten Fassung, der eine Ablaufhemmung für die Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs enthält, bezieht sich erklärtermaßen auf die "Entrichtung" der Steuer. Wortlaut, Regelungszweck und Sachzusammenhang der Vorschrift sind sonach eindeutig: ohne eine vorhergehende Abführung der Abzugsteuer kann eine Erstattung nicht erfolgen (einhellige Meinung, vgl. z.B. Frotscher, EStG, § 50d Rz 31; Gosch in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 50d Rz 9; Grützner in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Anhang Teil 5 Rz 347; Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 50d Rz B 63b; Loschelder in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 50d Rz 36; Nieland in Lademann, EStG, § 50d Rz 117; Ramackers in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, § 50d EStG Rz 40 f.; Wagner in Blümich, EStG/KStG/ GewStG, § 50d EStG Rz 28; Werning in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rz 46; Bundesministerium der Finanzen, Schreiben vom 7. Mai 2002, BStBl I 2002, 521 Tz. 2.1).
b) Dem wird allerdings entgegengehalten, es sei "interessengerecht", das Risiko nicht abgeführter Steuerbeträge nicht dem Vergütungsgläubiger, sondern dem Fiskus zuzuweisen. Denn letzterer bediene sich des Vergütungsschuldners als "Inkassostelle", der Vergütungsgläubiger müsse den Steuerabzug dulden und könne keinen Einfluss auf die ordnungsgemäße Abführung der einbehaltenen Steuer nehmen (so ‑‑unter Hinweis auf das zur Kapitalertragsteuer ergangene Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 23. April 1996 VIII R 30/93, BFHE 181, 7‑‑ M. Klein/ Hagena in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 50d Rz 17; Grams, Betriebs-Berater ‑‑BB‑‑ 1997, 70, 76). Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auch auf die nur eingeschränkte Möglichkeit, den Steuerschuldner bei fehlender Steuerentrichtung durch den Vergütungsschuldner selbst auf Zahlung in Anspruch zu nehmen (vgl. dazu § 50a Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 EStG 1990 ff.); der Gesetzgeber sei mithin in anderen Fällen von einem Erlöschen des Steuerschuldverhältnisses ausgegangen, was die Erstattung auch ohne ausreichende Abführung der Abzugsteuer ermögliche (so Grams, BB 1997, 70, 76).
Solche Überlegungen sind angesichts des eindeutigen Regelungswortlauts indes sämtlich nicht tragfähig. Sie sind entweder ‑‑was die "interessengerechte" Risikoverteilung anbelangt‑‑ rechtspolitischer Natur oder verfehlen ‑‑bezogen auf § 50a Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 EStG (1990 ff.)‑‑ die Regelungszusammenhänge: § 50a Abs. 5 Satz 6 Nr. 2 EStG (1990 ff.) will allein dem Umstand Rechnung tragen, dass der Vergütungsgläubiger sowohl den Steuereinbehalt erdulden muss als auch bei einer uneingeschränkten eigenständigen Zahlungsverpflichtung in der Sache "zweimal" bezahlen müsste (Ramackers in Littmann/Bitz/ Pust, a.a.O., § 50d Rz 41); eine solche "Gefahrenlage" besteht bei einer Erstattungsvoraussetzung der tatsächlich geleisteten Zahlung aber nicht. Schließlich kann auch das in einem anderen Regelungszusammenhang (zutreffend Hahn-Joecks in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 50d Rz B 63b) und zu einem abweichend formulierten Tatbestandsmerkmal ("erhoben") ergangene BFH-Urteil in BFHE 181, 7 nicht zu einer anderen Lösung führen. Nicht zuletzt hat der Senat die dort gezogene Schlussfolgerung, dass eine Anrechnung auch dann erfolgen kann, wenn die Kapitalertragsteuer nicht abgeführt wurde, in seinem Urteil vom 20. Oktober 2010 I R 54/09 (BFH/NV 2011, 641) insoweit modifiziert, als die Anrechnung dann gehindert ist, wenn der Anrechnungsberechtigte die einbehaltene Steuer von dem Abzugsverpflichteten bereits erhalten hat.
3. Der Senat sieht keinen Anlass, das Verfahren auszusetzen und eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) einzuholen. Die Auslegung der Dienstleistungsfreiheit und der sonstigen unionsrechtlichen Bestimmungen ist hinsichtlich der streitentscheidenden Vorschriften (§ 50a EStG 2002; § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG 2002; § 233a AO) in Anbetracht der bereits vorliegenden gefestigten Spruchpraxis des EuGH nicht zweifelhaft, so dass die Voraussetzungen für eine Vorlage des Streitfalls nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht erfüllt sind (vgl. zur fehlenden Vorlageverpflichtung bei offenkundiger Rechtslage EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415). Zur Frage der Verzinsung verweist der Senat ergänzend auf seinen Beschluss vom 18. September 2007 I R 15/05 (BFHE 219, 1, BStBl II 2008, 332), der zur (Nicht-)Verzinsung der Erstattung von Abzugsteuern nach § 50a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG 1997 ergangen ist (die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht ‑‑BVerfG‑‑ nicht zur Entscheidung angenommen, s. BVerfG-Beschluss vom 3. September 2009 1 BvR 1098/08, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2010, 66; s.a. Frotscher, a.a.O., § 50d Rz 41) und auf sein Urteil vom 17. November 2010 I R 68/10 (BFH/NV 2011, 737).