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Beschluss vom 21. Dezember 2011, VIII B 110/11

Überraschungsentscheidung, Anwendung von § 4 Abs. 4a EStG

BFH VIII. Senat

FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, EStG § 4 Abs 4a

vorgehend FG Münster, 04. Mai 2011, Az: 3 K 2981/08 E

Leitsätze

1. NV: Eine Überraschungsentscheidung ist nicht gegeben, wenn eine streitige Frage zwischen den Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich kontrovers erörtert worden ist und sowohl im Erörterungstermin als auch in der mündlichen Verhandlung zwischen dem Gericht und den Beteiligten zur Sprache gekommen ist .

2. NV: Die Frage, "ob Teile des gem. § 4 Abs. 4a EStG zu nicht abzugsfähigem Aufwand umqualifizierten Zinsaufwands Werbungskosten in anderen Einkunftsarten darstellen", hat keine grundsätzliche Bedeutung. Denn die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG setzt die betriebliche Veranlassung der geltend gemachten Schuldzinsen voraus; erst nach Feststellung der betrieblichen Veranlassung ist auf einer 2. Stufe zu prüfen, ob die als Betriebsausgaben angesetzten Schuldzinsen auf Überentnahmen beruhen und demgemäß nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbar sind .

3. NV: Der wirtschaftliche Zusammenhang betrieblich veranlasster Schuldzinsen mit der betrieblichen Tätigkeit kann nicht davon abhängen, ob der Gesetzgeber die Betriebsausgaben zum Abzug zulässt oder dies versagt .

Gründe

  1. 1. Die Beschwerde ist unbegründet. Die angefochtene Entscheidung des Finanzgerichts (FG) beruht weder auf einem Verfahrensmangel im Sinne einer Überraschungsentscheidung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), noch haben die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).

  2. a) Eine Überraschungsentscheidung ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) anzunehmen, wenn das Gericht seine Entscheidung auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt gestützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht rechnen musste (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Mai 1991  1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188; BFH-Urteil vom 17. Februar 1998 VIII R 28/95, BFHE 186, 29, BStBl II 1998, 505; vom 23. Februar 2000 VIII R 80/98, BFH/NV 2000, 978; BFH-Beschlüsse vom 1. Juli 1998 IV B 152/97, BFH/NV 1998, 1511; vom 14. Juni 1999 I B 127/98, BFH/NV 1999, 1609). Dies ist hier nicht der Fall. Denn eine Überraschungsentscheidung ist bereits deshalb zu verneinen, weil die rechtliche Bewertung der von der Mieterin entrichteten 5.000 € zwischen den Beteiligten im finanzgerichtlichen Verfahren schriftsätzlich kontrovers erörtert worden ist und ausweislich der betreffenden Sitzungsniederschriften sowohl im Erörterungstermin vom 8. Februar 2011 als auch in der Sitzung vom 5. Mai 2011 zwischen dem Gericht und den Beteiligten zur Sprache gekommen ist.

  3. Im Ergebnis erheben die Kläger die Rüge falscher materieller Rechtsanwendung, die nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289; vom 27. März 2007 VIII B 152/05, BFH/NV 2007, 1335, m.w.N.). Denn die Sachverhalts- und Beweiswürdigung sind revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen (vgl. BFH-Beschluss vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874).

  4. b) Mit der Frage, ob Teile des gemäß § 4 Abs. 4a des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu nicht abzugsfähigem Aufwand umqualifizierten Zinsaufwands Werbungskosten in anderen Einkunftsarten darstellen, haben die Kläger auch keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aufgeworfen. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung zu § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO a.F., vgl. die Nachweise bei Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 23 ff., m.w.N.; BFH-Beschluss vom 31. Mai 2000 IV B 55/99, juris). Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Hat sich der BFH mit einer bestimmten Rechtsfrage bisher nicht befasst, ist diese mangels Klärungsbedürftigkeit nicht von grundsätzlicher Bedeutung, wenn sie ohne Weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes zu beantworten ist, oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu entscheiden ist, wie es das FG getan hat (vgl. Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 28, m.w.N.). Die Kläger lassen in diesem Zusammenhang unter Verkennung des Urteils des FG Köln vom 10. Februar 2009  8 K 4048/06 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 398) außer Acht, dass die Anwendung des § 4 Abs. 4a EStG nach ständiger Rechtsprechung die betriebliche Veranlassung der geltend gemachten Schuldzinsen voraussetzt; erst nach Feststellung der betrieblichen Veranlassung ist dann auf einer zweiten Stufe zu prüfen, ob die als Betriebsausgaben angesetzten Schuldzinsen auf Überentnahmen beruhen und demgemäß nach § 4 Abs. 4a EStG nicht abziehbar sind (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BFH-Urteile vom 21. September 2005 X R 40/02, BFH/NV 2006, 512, m.w.N.; vom 17. August 2010 VIII R 42/07, BFHE 230, 424, BStBl II 2010, 1041; vom 3. März 2011 IV R 53/07, BFHE 233, 127, BStBl II 2011, 688). Der wirtschaftliche Zusammenhang betrieblich veranlasster Schuldzinsen mit der betrieblichen Tätigkeit kann indes nicht davon abhängen, ob der Gesetzgeber die Betriebsausgaben zum Abzug zulässt oder dies versagt (ähnlich auch Schallmoser in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 1053).

  5. Im Streitfall ist das FG, das § 4 Abs. 4a EStG angewendet hat, ersichtlich davon ausgegangen, dass die streitigen Schuldzinsen Betriebsausgaben sind. Damit hat das FG zugleich den Zusammenhang der Schuldzinsen mit anderen Einkunftsarten verneint. Dass die Kläger dies für unrichtig halten, betrifft die Rechtsanwendung im konkreten Einzelfall, wirft aber keine über den Streitfall hinausreichenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

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