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Urteil vom 29. Mai 2012, VIII R 16/10

Keine Steuerbarkeit von Zinsen aus Sparanteilen aus Beiträgen für vor dem 1. Januar 1974 abgeschlossene Lebensversicherungen

BFH VIII. Senat

EStG § 10 Abs 2 S 2, EStG § 20 Abs 1 Nr 6 S 1, EStG § 52 Abs 19, EStG § 52 Abs 20

vorgehend FG Düsseldorf, 03. Dezember 2008, Az: 12 K 2080/05 F

Leitsätze

1. Zinsen aus Sparanteilen aus Beiträgen für vor dem 1. Januar 1974 abgeschlossene Lebensversicherungen sind nach § 52 Abs. 19 EStG i.d.F. des EStRG vom 5. August 1974 (BGBl I 1974, 1709) nicht steuerbar .

2. An dieser Rechtslage hat der Gesetzgeber ausweislich der Regelung in § 52 Abs. 20 EStG i.d.F. des StRG1990uaÄndG vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1989, 1267) festgehalten und damit rückwirkend die zuvor mit dem StRG 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) eingeführte erweiterte Steuerbarkeit der Zinsen gestrichen .

Tatbestand

I.

  1. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte gewerbliche Einkünfte als Maler; für den Betrieb hatte ihm eine Bank seit Jahren einen Kreditrahmen eingeräumt.

  2. Im Mai 2001 zeigte die Bank dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) an, dass der Kläger die Ansprüche aus einer Lebensversicherung zur Sicherung eines im April vereinbarten und gewährten Darlehens in Höhe von 175.000 DM verwendet habe. Die Anzeige wies als Vertragsabschluss die Angabe "12.01.94/22.03.01" aus; die zur Sicherung eingesetzten Versicherungsansprüche in Höhe von 139.000 DM betrafen einen Lebensversicherungsvertrag mit einer Laufzeit von 1966 bis 2005.

  3. Das FA ging davon aus, dass die Verwendung der Lebensversicherung zur Darlehensbesicherung die Steuerfreiheit der aus der Versicherung erzielten Zinsen habe entfallen lassen und stellte die Steuerpflicht der Zinsen aus der Lebensversicherung mit Bescheid vom 26. November 2002 gesondert fest. Mit der dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage trug der Kläger vor, entgegen der Ansicht des FA seien auf diese Lebensversicherung die erst mit Wirkung vom 14. Februar 1992 eingeführten gesetzlichen Bestimmungen über die steuerschädliche Verwendung von Lebensversicherungen zur Darlehenssicherung nicht anwendbar.

  4. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage unter anderem wegen eines deutlich unterhalb der Höhe der aufgenommenen Darlehensbeträge liegenden Anschaffungs- oder Herstellungsaufwands als unbegründet abgewiesen.

  5. Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

  6. Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie den Bescheid über die gesonderte Feststellung der Steuerpflicht von Zinsen aus Kapitallebensversicherungen vom 26. November 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. April 2005 aufzuheben.

  7. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist begründet; das angefochtene Urteil sowie der angefochtene Bescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung sind aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der angefochtene Bescheid über die gesonderte Feststellung der Steuerpflicht der außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den in den Beiträgen zu Lebensversicherungen des Klägers enthaltenen Sparanteilen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑) ist rechtswidrig.

  2. 1. Die Zulässigkeit der gesonderten Feststellung der Steuerpflicht ergibt sich aus § 179 Abs. 1 und § 180 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) i.V.m. § 9 der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 AO i.d.F. der Zweiten Verordnung zur Änderung der Verordnung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 180 Abs. 2 AO vom 16. Dezember 1994 (BGBl I 1994, 3834, BStBl I 1995, 3).

  3. Nach § 9 dieser Verordnung stellt das für die Einkommensbesteuerung des Versicherungsnehmers zuständige FA die Steuerpflicht der außerrechnungsmäßigen und rechnungsmäßigen Zinsen aus den in den Beiträgen enthaltenen Sparanteilen (§ 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG i.d.F. des Steueränderungsgesetzes 2001 ‑‑StÄndG 2001‑‑ vom 20. Dezember 2001 ‑‑BGBl I 2001, 3794, BStBl I 2002, 4‑‑) gesondert fest, wenn für Beiträge zu Versicherungen auf den Erlebens- oder Todesfall die Voraussetzungen für den Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG (i.d.F. des StÄndG 2001) nicht erfüllt sind.

  4. Diese Feststellung setzt indessen voraus, dass die rechnungsmäßigen und außerrechnungsmäßigen Zinsen aus den Sparanteilen der abgeschlossenen Lebensversicherung ‑‑ohne die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs nach § 10 Abs. 2 Satz 2 EStG‑‑ steuerbar wären. Denn die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs ist vom Gesetzgeber in § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG als Ausnahme von der grundsätzlichen Steuerbarkeit der Zinsen nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG konzipiert.

  5. 2. An dieser Steuerpflicht nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG fehlt es bei den Zinsen aus den Sparanteilen, die in den Beiträgen zu der streitigen Lebensversicherung enthalten sind.

  6. a) Die Steuerbarkeit entsprechender Zinsen hat der Gesetzgeber nämlich erst mit dem Gesetz zur Reform der Einkommensteuer, des Familienlastenausgleichs und der Sparförderung (Einkommensteuerreformgesetz) vom 5. August 1974 (BGBl I 1974, 1769, BStBl I 1974, 530) eingeführt. Zugleich hat er in § 52 Abs. 19 EStG i.d.F. dieses Gesetzes bestimmt, dass die Regelung erstmals für nach dem 31. Dezember 1974 zugeflossene Zinsen aus Versicherungsverträgen gilt, die nach dem 31. Dezember 1973 abgeschlossen worden sind.

  7. An dieser Rechtslage hat er ausweislich der Regelung in § 52 Abs. 20 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten (StRG1990uaÄndG) vom 30. Juni 1989 (BGBl I 1989, 1267, BStBl I 1989, 251) festgehalten und damit rückwirkend die zuvor mit Art. 1 Nr. 22, 73 Buchst. q des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224) eingeführte erweiterte Steuerbarkeit der Zinsen wieder aufgehoben (vgl. dazu Schmidt/ Heinicke, EStG, 12. Aufl., § 20 Rz 39a).

  8. b) Danach sind die Zinsen aus den Sparanteilen der vom Kläger abgeschlossenen Lebensversicherung deshalb nicht steuerbar, weil der Versicherungsvertrag nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG bereits 1966 abgeschlossen wurde. Er gehört damit nicht zu den nach dem 31. Dezember 1973 abgeschlossenen Verträgen, für die nach § 52 Abs. 20 EStG i.d.F. des StRG1990uaÄndG eine Steuerbarkeit der Zinsen aus den Sparanteilen von Lebensversicherungsverträgen gegeben ist.

  9. c) Auf die von den Beteiligten für entscheidungserheblich gehaltene Frage, ob die Voraussetzungen für den Abzug der Versicherungsprämien als Sonderausgaben gegeben sind, kommt es danach nicht an.

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