BFH VI. Senat
EStG § 9 Abs 1 S 1, EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 5, EStG § 10 Abs 1 Nr 7, EStG § 9 Abs 6
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 15. Dezember 2009, Az: 1 K 3933/09
Leitsätze
1. Kosten der Unterkunft eines Studenten am Studienort können als vorab entstandene Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG in Abzug gebracht werden, wenn der Studienort nicht der Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen ist.
2. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG kommt schon deshalb nicht zur Anwendung, weil eine Hochschule kein Beschäftigungsort im Sinne der Vorschrift ist (Anschluss an Senatsentscheidungen vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431, und VI R 42/11, BFHE 236, 439).
3. Ein Student, der seinen Lebensmittelpunkt an den Studienort verlagert hat, ist regelmäßig nicht auswärts untergebracht i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG.
Tatbestand
I.
Streitig ist die Höhe der Werbungskosten für ein Studium. Das Verfahren befindet sich im zweiten Rechtsgang.
Der 1984 geborene Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielt Einkünfte aus Kapitalvermögen. Er absolvierte nach Erlangung der Mittleren Reife das Kaufmännische Berufskolleg Fremdsprachen an der X-Schule in Y. Dort erwarb er nach erfolgreicher Abschlussprüfung im Juli 2004 neben der allgemeinen Fachhochschulreife den Abschluss als "Staatlich geprüfter Wirtschaftsassistent". Seit dem Wintersemester 2004/ 2005 studiert der Kläger, der in B beheimatet ist, an der Fachhochschule Z im Studiengang ABC-Weltwirtschaftssprachen. Er wohnt dort zur Miete.
In den Streitjahren machte der Kläger Aufwendungen für das Studium als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 5.499 € (2004) und 12.482 € (2005) geltend. Zu den geltend gemachten Aufwendungen zählen u.a. Kosten einer doppelten Haushaltsführung in Höhe von 1.357 € (2004) bzw. 6.439 € (2005).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) sah sämtliche Ausgaben als Berufsausbildungskosten i.S. von § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an und ließ sie nur in Höhe von 4.000 € zum Abzug zu.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage unter Hinweis auf § 12 Nr. 5 EStG ab (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2007, 116). Mit Urteil vom 18. Juni 2009 VI R 79/06 (juris) hob der erkennende Senat die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Senat vertrat die Auffassung, dass § 12 Nr. 5 EStG dem Abzug der Studienaufwendungen als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit nicht entgegenstehe. Die Feststellungen des FG ermöglichten jedoch keine Entscheidung dazu, ob die Kosten i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG beruflich veranlasst seien.
Im zweiten Rechtsgang, in dem der Kläger die zusätzliche steuerliche Berücksichtigung von Aufwendungen für sein Studium in Höhe von 1.163 € (2004) bzw. 6.727 € (2005) beantragte, kam das FG zu der Auffassung, dass die Aufwendungen des Klägers für sein Studium dem Grunde nach als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen seien. Es bestehe ein Zusammenhang mit künftig beabsichtigten steuerpflichtigen Einkünften. Die Wohnungskosten am Studienort könnten jedoch gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG keine Berücksichtigung finden, da die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung nicht vorlägen. § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG komme nicht zur Anwendung. Die durch den Diebstahl des Fahrrads verursachten Kosten ‑‑im Revisionsverfahren nicht mehr im Streit‑‑ stellten keine Werbungskosten dar. Als Werbungskosten könnten daher nur Aufwendungen in Höhe von 3.806 € (2004) bzw. 3.688 € (2005) angesetzt werden. Da in den angefochtenen Bescheiden bereits jeweils Sonderausgaben in Höhe von 4.000 € gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG in Abzug gebracht worden seien, sei die Klage abzuweisen (s. im Einzelnen EFG 2011, 789).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die angefochtenen Einkommensteuerbescheide 2004 und 2005 dahingehend zu ändern, dass die Aufwendungen für das Studium mit weiteren 1.163 € bzw. 6.127 € steuermindernd berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
1. Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG liegen vor, wenn sie durch den Beruf oder durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Steuerpflichtige gegenwärtig noch keine Einnahmen erzielt. Dann sind die Aufwendungen als vorab entstandene Werbungskosten abziehbar, wenn sie in einem hinreichend konkreten, objektiv feststellbaren Veranlassungszusammenhang mit späteren Einnahmen stehen. Das kann auch bei einer berufsbezogenen Bildungsmaßnahme der Fall sein (ständige Rechtsprechung, s. etwa Senatsurteil vom 27. Oktober 2011 VI R 52/10, BFHE 235, 444).
Diese Voraussetzungen sind hier nach den Feststellungen des FG erfüllt. § 9 Abs. 6 EStG i.d.F. des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592) steht dem nicht entgegen, weil der Kläger vor Beginn seines Studiums eine (erste) Berufsausbildung im Sinne dieser Vorschrift absolviert hat (Senatsurteil vom 9. Februar 2012 VI R 42/11, BFHE 236, 439; s. auch Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 18. Juni 2009 VI R 79/06, juris).
a) Als Werbungskosten abziehbar sind sämtliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der beruflichen Bildungsmaßnahme stehen, also i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG beruflich veranlasst sind. Hierzu gehören beispielsweise Fahrt- bzw. Mobilitätskosten (s. dazu BFH-Urteile in BFHE 236, 439; vom 9. Februar 2012 VI R 44/10, BFHE 236, 431). Da die Kosten für beruflich veranlasste auswärtige Übernachtungen zu den im Rahmen des objektiven Nettoprinzips abziehbaren beruflichen Aufwendungen gehören, können ‑‑wie bei einer Auswärtstätigkeit (s. dazu BFH-Urteil vom 11. Mai 2005 VI R 7/02, BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782)‑‑ grundsätzlich auch die durch eine Bildungsmaßnahme veranlassten Unterkunftskosten Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sein.
b) Entgegen der Auffassung des FG kommt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG nicht zur Anwendung. Eine doppelte Haushaltsführung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, an dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch wohnt. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn sich der Arbeitnehmer am Ort einer Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG eine Unterkunft nimmt. Beschäftigungsort i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG ist somit der Ort der regelmäßigen Arbeitsstätte (Senatsentscheidungen in BFHE 209, 502, BStBl II 2005, 782; vom 11. Mai 2005 VI R 34/04, BFHE 209, 527, BStBl II 2005, 793). Unter regelmäßiger Arbeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG versteht der BFH nach neuerer Rechtsprechung nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers und damit regelmäßig den Betrieb des Arbeitgebers. Eine arbeitgeberfremde Bildungseinrichtung, wie eine Universität, ist nicht als regelmäßige Arbeitsstätte anzusehen (BFH-Urteil in BFHE 236, 439). Sucht ein Steuerpflichtiger, wie im Streitfall, eine solche Einrichtung auf, kommt § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG ebenso wenig wie bei der Auswärtstätigkeit eines Arbeitnehmers in Betracht.
c) Kosten der Unterkunft sind jedoch nur dann durch die Bildungsmaßnahme und damit beruflich veranlasst, wenn es sich dabei um notwendige Mehraufwendungen handelt. Das ist nur dann der Fall, wenn der Ort der Bildungsmaßnahme, hier der Studienort, nicht der Lebensmittelpunkt des Steuerpflichtigen ist und die Unterkunft dort zur Wohnung am Ort des Lebensmittelpunkts hinzukommt. Ob die außerhalb des Studienorts belegene Wohnung als Mittelpunkt seiner Lebensinteressen anzusehen ist, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (vgl. im Einzelnen Senatsentscheidungen vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820; vom 9. Juli 2008 VI B 4/08, BFH/NV 2008, 2000; jeweils m.w.N.).
2. Die Vorentscheidung beruht auf einer anderen Rechtsauffassung. Die Sache ist allerdings nicht entscheidungsreif. Das Urteil ist aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
a) Das FG hat nicht geprüft, ob sich der Lebensmittelpunkt des ledigen Klägers auch im Streitjahr weiterhin in B befand. Zwar ist die Vorinstanz zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger dort keinen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG unterhalten habe (s. dazu BFH-Urteil vom 28. März 2012 VI R 87/10, BFHE 236, 553). Auch gehört zum Unterhalten eines eigenen Hausstands insoweit, dass dieser der Lebensmittelpunkt des Arbeitnehmers geblieben ist (BFH-Urteil in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820). Dennoch hat das FG damit keine ausreichenden Feststellungen zur Frage des Lebensmittelpunkts getroffen. Denn die Führung eines eigenen Hausstands durch den Kläger war schon deshalb zu verneinen, weil dieser in den elterlichen Haushalt eingegliedert war. Dies ist jedoch für die Abziehbarkeit von Unterkunftskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG kein Kriterium. Ein Student kann, wie ein Arbeitnehmer im Rahmen einer Auswärtstätigkeit, seinen Lebensmittelpunkt auch dann weiterhin in seinem Heimatort haben, wenn er dort über keinen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG verfügt.
b) Falls das FG zu dem Ergebnis gelangt, dass der Abzug der Unterkunftskosten als Werbungskosten dem Grunde nach zu bejahen ist, bedarf es hinsichtlich der Höhe der Kosten weiterer Feststellungen.
c) Kommt ein Abzug der Unterkunftskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht in Betracht, scheidet auch eine steuerliche Berücksichtigung nach § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG aus. Zwar ist, wie der Einleitungssatz des § 10 Abs. 1 EStG deutlich macht, entgegen der Auffassung der Vorinstanz ein Sonderausgabenabzug grundsätzlich zulässig, wenn konkrete Bildungskosten die Voraussetzungen des § 9 EStG nicht erfüllen und damit keine Werbungskosten sind. Unterkunftskosten sind jedoch nur unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG ‑‑also bei einer auswärtigen Unterbringung‑‑ abziehbar. Bei einem steuerpflichtigen Studenten, der seinen Lebensmittelpunkt an den Studienort verlagert hat, kann regelmäßig nicht von einer auswärtigen "Unterbringung" ausgegangen werden.