Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
auf der Richterbank liegen Barett und Arbeitsmappe, dahinter ein Richterstuhl, auf dem eine Robe hängt

Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs

Entscheidungen online

Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Urteil vom 06. Juni 2012, I R 52/11

Schachtelprivileg für Ausschüttungen einer französischen SICAV

BFH I. Senat

KStG § 1 Abs 1 Nr 1, EStG § 20 Abs 1 Nr 1, DBA FRA Art 2 Abs 1 Nr 4 Buchst a, DBA FRA Art 2 Abs 2, DBA FRA Art 9 Abs 1, DBA FRA Art 18, DBA FRA Art 20 Abs 1 Buchst a S 1, DBA FRA Art 20 Abs 1 Buchst b DBuchst aa S 1

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 14. Juni 2011, Az: 1 K 2422/08

Leitsätze

Die Gewährung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs für Ausschüttungen einer französischen Investmentgesellschaft in der Rechtsform einer société d´investissement à capital variable (SICAV) an eine deutsche Kapitalgesellschaft ist zwar nicht deswegen ausgeschlossen, weil die SICAV von der französischen Körperschaftsteuer persönlich befreit ist. Sie setzt jedoch voraus, dass es sich bei der SICAV nach deutschem Recht um eine Kapitalgesellschaft handelt, die in Frankreich nach Maßgabe von Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 aufgrund ansässigkeitsbegründender Merkmale prinzipiell steuerpflichtig ist.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine GmbH, die in den Streitjahren 1991 und 1992 an einer französischen Investmentgesellschaft in der Rechtsform einer société d´investissement à capital variable (SICAV) mit mehr als 10 v.H. der Anteile beteiligt war und von dieser (Brutto-)Ausschüttungen von 883.058 DM (1991) sowie von 1.153.140 DM (1992) vereinnahmt hatte.

  2. Das für diese Ausschüttungen von der Klägerin beanspruchte sog. Schachtelprivileg nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 (BGBl II 1961, 398) in der für die Streitjahre maßgebenden Fassung des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 (BGBl II 1970, 719) sowie des Zusatzabkommens vom 28. September 1989 (BGBl II 1990, 772) ‑‑DBA-Frankreich 1959/1989‑‑ wurde von dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) versagt. Stattdessen rechnete das FA die ‑‑nicht vergütete‑‑ französische Abzugsteuer auf die festgesetzte Körperschaftsteuer an. Zudem berücksichtigte es für 1991 eine Abschreibung auf die Beteiligung an der SICAV und für 1992 einen Veräußerungsverlust. Bei der Ermittlung des Einheitswerts des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1992 wurde überdies der Ansatz für Wertpapiere in der Vermögensaufstellung der Klägerin um den Wert der Beteiligung an der SICAV erhöht.

  3. Die anschließende Klage, mit der die Klägerin für die Ausschüttungen der SICAV das sog. Schachtelprivileg nach Maßgabe von Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 unter Gegenrechnung der anerkannten Teilwertabschreibungen und unter Fortfall der angerechneten französischen Steuern begehrte, hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) Rheinland-Pfalz gab ihr durch Urteil vom 15. Juni 2011  1 K 2422/08, abgedruckt in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 1828, statt.

  4. Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  5. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Das Verfahren wegen Einheitsbewertung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1992 wird gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) abgetrennt und an den dafür zuständigen II. Senat des Bundesfinanzhofs abgegeben. Hinsichtlich der Körperschaftsteuer 1991 und 1992 ist die Revision begründet. Sie führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Die tatrichterlichen Feststellungen zur maßgebenden französischen Rechtslage reichen nicht aus, um hiernach die Ansässigkeit der SICAV in Frankreich als Voraussetzung für die Gewährung des abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs bejahen zu können.

  2. 1. Die Klägerin war im Streitjahr in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) ansässig und unterfällt hier mit ihrem Welteinkommen (§ 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes ‑‑KStG 1991‑‑) der unbeschränkten Steuerpflicht (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KStG 1991). Dazu gehören gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 1990 auch die Gewinnanteile auf Anteile an einer ‑‑auch ausländischen‑‑ Kapitalgesellschaft.

  3. 2. Ob sich an dem deutschen Besteuerungsrecht für die Beträge, welche die SICAV im Streitjahr an die Klägerin ausgeschüttet hat, aufgrund des DBA-Frankreich 1959/1989 etwas ändert, lässt sich nach den bisherigen tatrichterlichen Feststellungen nicht zweifelsfrei beantworten.

  4. a) Das Besteuerungsrecht an diesen Ausschüttungen gebührt prinzipiell Deutschland, entweder nach Art. 9 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/1989, weil es sich hierbei um Dividenden handelt, die eine in Frankreich ansässige Gesellschaft an die in Deutschland ansässige Klägerin gezahlt hat, oder nach Art. 18 DBA-Frankreich 1959/1989, weil die Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/1989 nicht erfüllt sind und es sich deshalb um sog. sonstige Einkünfte handelt (vgl. zur Abgrenzung insoweit auch Senatsurteil vom 20. August 2008 I R 34/08, BFHE 222, 521, BStBl II 2009, 263).

  5. b) Das Besteuerungsrecht Deutschlands könnte jedoch ausgeschlossen sein: Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 sind Dividenden von der Bemessungsgrundlage der deutschen Körperschaftsteuer auszunehmen, wenn es sich um aus Frankreich stammende Einkünfte handelt, die nach dem DBA-Frankreich 1959/1989 in Frankreich besteuert werden können. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 ist diese Regelung in Buchst. a bei Dividenden nur auf die Nettoeinkünfte anzuwenden, die den Dividenden entsprechen, die von einer in Frankreich ansässigen Kapitalgesellschaft an eine in Deutschland ansässige Kapitalgesellschaft gezahlt werden, der mindestens 10 v.H. des Gesellschaftskapitals der französischen Gesellschaft gehören. Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 bestimmt damit die Voraussetzungen für das sog. Schachtelprivileg. Die Vorschrift ist unbeschadet ihrer Anknüpfung an Buchst. a nicht als Rechtsgrund-, vielmehr als Rechtsfolgenverweisung zu verstehen, die ihre tatbestandlichen Voraussetzungen eigenständig anordnet. Andernfalls liefe sie leer, weil eine Besteuerung der betreffenden Dividenden in Frankreich infolge der parallelen, an Frankreich als Quellenstaat adressierten Schachtelprivilegierung nach Art. 9 Abs. 4 DBA-Frankreich 1959/1989 gerade ausgeschlossen ist und eine potentielle Besteuerung der Dividenden in Frankreich, wie von Art. 20 Abs. 1 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 aber gefordert, sonach von vornherein außer Betracht bliebe (vgl. zutreffend Kramer in Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 20 Frankreich Rz 23).

  6. c) Ob eine Gesellschaft in diesem Sinne eine in einem Vertragsstaat (hier Frankreich) ansässige Person ist, bestimmt sich wiederum nach Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989: Es handelt sich hiernach um eine Person, die nach dem Rechte dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres Aufenthaltes, des Ortes ihrer Geschäftsleitung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist. Was eine Kapitalgesellschaft ist, wird abkommensrechtlich hingegen nicht bestimmt; es ist daher auf das jeweilige innerstaatliche Recht zurückzugreifen (vgl. Art. 2 Abs. 2 DBA-Frankreich 1959/1989; Kramer in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., Art. 9 Frankreich Rz 28). Es ist indessen ungewiss, ob diese Voraussetzungen ‑‑diejenigen des Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 ebenso wie jene des Vorliegens einer Kapitalgesellschaft im vorgenannten Sinne‑‑ im Streitfall erfüllt sind.

  7. aa) Die Vorinstanz ist bei ihrer Entscheidung davon ausgegangen, bei der SICAV handele es sich um eine in Frankreich zwar steuerbefreite, dort jedoch "abstrakt" (unbeschränkt) steuerpflichtige und dort i.S. von Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 ansässige und abkommensberechtigte Kapitalgesellschaft. In Einklang mit den vorgenannten Abkommensregelungen sei der Klägerin das sog. Schachtelprivileg des Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Satz 1 und Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 DBA-Frankreich 1959/1989 deswegen zu gewähren. Das FG geht damit davon aus, dass ‑‑erstens‑‑ für die Frage der Qualifizierung der ausländischen Person als Kapitalgesellschaft und damit die Inanspruchnahme des sog. Schachtelprivilegs nicht die französische, sondern die Steuerrechtslage in Deutschland als dem sog. Anwenderstaat ausschlaggebend ist, und dass ‑‑zweitens‑‑ für die ansässigkeitsbegründende (unbeschränkte) Steuerpflicht die virtuelle, nicht aber die tatsächliche Steuerpflicht im Ansässigkeitsstaat genügt und etwaige Steuerbefreiungen daran nichts ändern. Beidem ist beizupflichten: Ob die betreffende Person als eine Kapitalgesellschaft anzusehen ist, bestimmt sich in der Tat nach der Qualifikation des jeweiligen Anwenderstaats im sog. Typenvergleich, hier also nach Maßgabe des deutschen Rechts (vgl. auch dazu Senatsurteil in BFHE 222, 521, BStBl II 2009, 263; s. auch ‑‑allerdings aus Sicht des Quellenstaats‑‑ Senatsurteil vom 20. August 2008 I R 39/07, BFHE 222, 509, BStBl II 2009, 234). Und die Steuerpflicht einer solchen Kapitalgesellschaft bestimmt sich allein danach, ob sie im Rahmen des Steuerrechts des anderen Vertragsstaats, hier also Frankreichs, als eigenständiges Steuersubjekt verstanden wird (vgl. z.B. Lehner in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl., Art. 4 Rz 82 f.; Vogel, daselbst, Art. 23 Rz 106; Wilke in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, Art. 4 OECD-MA Rz 6; Jacob in Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland/USA, Art. 4 Rz 32 f.; Wassermeyer in Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., Art. 1 MA Rz 23 und Art. 4 MA Rz 25; M. Lang, Steuer und Wirtschaft International 2000, 527, 530; s. auch ‑‑speziell zur Rechtsform der SICAV‑‑ Geurts/Jacob, Internationales Steuerrecht ‑‑IStR‑‑ 2007, 737; Zinkeisen/ Walter, IStR 2007, 583).

  8. bb) Dagegen erhebt das FA auch keine Einwände. Es ist allerdings abweichend von der Klägerin ‑‑unter Hinweis auf die Erläuterungen von de Bourmont/Julien-Saint-Amand (in Debatin/ Wassermeyer, a.a.O., Art. 2 Frankreich Rz 114) und im Ergebnis mit dem Niedersächsischen FG (im Urteil vom 29. März 2007  6 K 514/03, EFG 2007, 1223)‑‑ der Auffassung, die Gesellschaftsform der SICAV werde nach französischer Regelungslage steuerlich nicht als eigenständiges Rechtssubjekt, vielmehr ‑‑jedenfalls bezogen auf deren französische Gesellschafter‑‑ als transparent angesehen, woraus wiederum folge, dass nicht die Ansässigkeit der SICAV die erforderliche (unbeschränkte) Steuerpflicht begründe, sondern die Ansässigkeit ihrer Gesellschafter. Unterstellt, diese Einschätzung des französischen Rechts träfe zu und es käme danach auch keine auf Ansässigkeitsmerkmalen basierende intransparente Besteuerung der SICAV in Betracht, wäre dem FA aufgrund der in Art. 9 Abs. 1 ebenso wie Art. 20 Abs. 1 Buchst. b Doppelbuchst. aa Satz 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a DBA-Frankreich 1959/1989 enthaltenen Verknüpfung mit der Steuerpflicht nach der nationalen Regelungslage im Ansässigkeitsstaat beizupflichten und könnte sich danach entscheiden, ob die Klage Erfolg hat oder nicht.

  9. cc) Das FG hat zu der steuerlichen Eigenständigkeit der SICAV in Frankreich indessen nichts weiter festgestellt. Es ist insbesondere nicht auf die Gegenerwägungen zur steuerlichen (Teil-)Transparenz einer SICAV in Frankreich eingegangen. Es hat infolgedessen auch Feststellungen dazu unterlassen, ob die SICAV nach diesen (etwaigen) Besteuerungsmaßgaben aus deutscher Sicht als Kapitalgesellschaft zu qualifizieren ist. Die Ermittlung einer ausländischen Rechtslage gehört aber ebenso wie die Ermittlung der für den anzustellenden Rechtsformtypenvergleich notwendigen gesellschaftlichen Merkmale zu den vom FG zu klärenden tatsächlichen Rechtsgrundlagen. Das angefochtene Urteil ist deswegen, soweit es die Körperschaftsteuer 1991 und 1992 betrifft, aufzuheben und die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, damit die fehlenden Feststellungen nachgeholt werden können.

Seite drucken