BFH IX. Senat
EStG § 17 Abs 1, EStG § 24 Nr 2, AO § 175 Abs 1 S 1 Nr 2, EStG § 17 Abs 2
vorgehend FG München, 16. März 2011, Az: 10 K 2394/09
Leitsätze
Vereinbaren die Vertragsparteien beim Verkauf eines Anteils an einer Kapitalgesellschaft eine Besserungsoption, welche dem Verkäufer ein Optionsrecht auf Abschluss eines Änderungsvertrages zum Kaufvertrag mit dem Ziel einer nachträglichen Beteiligung an der Wertentwicklung des Kaufgegenstands einräumt, stellt die spätere Ausübung des Optionsrechts kein rückwirkendes Ereignis dar.
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hielt im Streitjahr (2000) einen Geschäftsanteil in Höhe von 25.000 DM am Stammkapital der A-GmbH. Mit notariell beurkundetem Kauf- und Übertragungsvertrag vom 23. Februar des Streitjahres teilte der Kläger seinen Geschäftsanteil in einen Teilgeschäftsanteil in Höhe von 13.000 DM und einen Teilgeschäftsanteil in Höhe von 12.000 DM und veräußerte den Anteil in Höhe von 13.000 DM an die M-GmbH zum Kaufpreis von 1.950.000 DM. Die vertragliche Vereinbarung enthielt neben dem in § 2 der Urkunde geregelten Kaufpreis auch eine Zielvereinbarung (§ 3 des Vertrages), die insbesondere die künftige Umsatz-, Gewinn- und Marktentwicklung der Gesellschaft bis zum 31. Dezember 2007 zum Gegenstand hatte. Hierzu wurde in § 3 Ziff. 3.1 ausgeführt: "Die Vertragsparteien vereinbaren einen Besserungsschein, Call- und Put-Optionen, die an das Erreichen wirtschaftlicher Ziele geknüpft sind. Wirtschaftliches Ziel in diesem Sinne ist ausschließlich der zu erzielende Gesamtüberschuß (...)." In § 3 Ziff. 3.2 wird ferner ausgeführt: "Die Verkäufer erhalten im Wege eines Besserungsscheines einen zusätzlichen Einmalbetrag in Höhe von insgesamt 3.750.000 DM, wenn die Zielvereinbarung gemäß dem Fünf-Jahres-Plan vollständig erfüllt wird. Dies ist dann der Fall, wenn ...". § 3 Ziff. 3.3 bis 3.7 des Vertrages enthalten Regelungen über die von den Beteiligten gegenseitig eingeräumten Optionen zum Kauf bzw. Verkauf der weiteren, nicht durch den Vertrag betroffenen Teilgeschäftsanteile an der A-GmbH.
Neben dem Kläger veräußerte ein weiterer Gesellschafter einen (Teil-)Geschäftsanteil am Stammkapital der A-GmbH an die M-GmbH.
Mit gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO) vorläufig ergangenem Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 30. April 2002 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Einkommensteuer für 2000 erklärungsgemäß auf 415.095,38 € fest. Dabei legte das FA den in § 2 des Vertrages vom 23. Februar des Streitjahres zwischen den Beteiligten vereinbarten Kaufpreis der Besteuerung nach § 17 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zugrunde. Im Zuge eines gegen den Einkommensteuerbescheid vom 30. April 2002 gerichteten Rechtsbehelfsverfahrens wurde die Einkommensteuer ‑‑aus hier nicht entscheidungserheblichen Gründen‑‑ herabgesetzt.
Mit Vereinbarung vom 15./22. März 2004 einigten sich die am Kauf- und Übertragungsvertrag vom 23. Februar des Streitjahres beteiligten Vertragsparteien auf eine nachträgliche Änderung des Vertragsinhalts dahin, dass "die Verkäufer im Wege eines Besserungsscheines von der Käuferin einen Einmalbetrag in Höhe von insgesamt 1.342.141,18 € erhalten, wenn in dem Zeitraum von 2000 bis 2003 ... mindestens 90 % des kumulierten 'Überschusses gesamt' in Höhe von 1.463.317,36 € ... auf Basis sämtlicher relevanter und testierter Jahresabschlüsse ... erreicht werden. Die Vertragsparteien haben anhand vorliegender Jahresabschlüsse festgestellt ..., dass bereits ein Überschuss gesamt in Höhe von 1.495.817,59 € (+ 32.500,23 €) ohne die noch einzubeziehenden Ergebnisse ... erzielt wurde".
Der Kläger erhielt aufgrund dieser geänderten Vereinbarung einen "Einmalbetrag" in Höhe von 671.070,59 € im Jahr 2004 ausbezahlt.
Das FA vertrat in dem nach §§ 165 Abs. 2 Satz 1, 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr vom 28. März 2006 die Auffassung, dass der Einmalbetrag einkommensteuerrechtlich bereits im Streitjahr zu berücksichtigen sei; er erhöhe den bisher erklärten Veräußerungsgewinn nach § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG, da aufgrund des geänderten Kauf- und Übertragungsvertrages der ursprüngliche Veräußerungspreis im Wege eines Besserungsscheines erhöht worden sei. Hierin liege ein Ereignis mit steuerlicher Rückwirkung.
Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage des Klägers aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 690 genannten Gründen als unbegründet ab. Es war insoweit der Ansicht, dass nachträgliche Änderungen des Kaufpreises für eine wesentliche Beteiligung auf den Zeitpunkt der Gewinnrealisierung zurückwirkten. Dies gelte sowohl für eine nachträgliche Herabsetzung wie auch für eine Erhöhung des Kaufpreises. Die dem Kläger gewährte Einmalzahlung sei eine nachträgliche Gegenleistung für die Anteilsübertragung und habe eine wirtschaftlich im Nachhinein erwiesene höhere Werthaltigkeit der Anteile abgelten sollen. Dies gelte unbeschadet des Umstandes, dass die Beteiligten in dem maßgeblichen Vertrag den Begriff des "Besserungsscheines" verwendet hätten.
Mit seiner Revision vertritt der Kläger die Auffassung, die Einmalzahlung sei nicht im Streitjahr, sondern erst mit Zufluss im Jahr 2004 der Besteuerung zu unterwerfen. Im Streitfall sei zwischen den Beteiligten kein "Besserungsschein" im Sinne der insolvenzrechtlichen Praxis, sondern eine Besserungsabrede vereinbart worden, die ausschließlich auf zukünftige Ereignisse abstelle. Dementsprechend habe der Kläger nicht, wie dies bei Besserungsscheinen üblicherweise der Fall ist, bei Abschluss des Veräußerungsvertrages auf eine Forderung verzichtet, sondern ausschließlich eine Vereinbarung hinsichtlich einer von zukünftigen Ereignissen abhängigen Forderung getroffen. Dementsprechend müsse eine Auslegung des notariell beurkundeten Vertrages vom 23. Februar des Streitjahres ergeben, dass zwischen den Beteiligten eher eine Form inkongruenter Gewinnverteilung für den Zeitraum der Jahre 2000 bis 2004 denn eine nachträgliche Erhöhung des ursprünglichen Veräußerungspreises gemäß § 17 EStG vereinbart worden sei. Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass mit Eintritt der Bedingung (d.h. mit Erfüllung der Zielvorgabe) ein (nachträglicher) Anspruch auf einen (weiteren) Veräußerungspreis i.S. des § 24 Nr. 2 i.V.m. § 17 EStG entstanden sei, wäre dieser jedenfalls erst mit Eintritt der Bedingung und mithin im Jahr 2004 steuerrechtlich zu erfassen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG vom 17. März 2011 10 K 2394/09 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 28. März 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22. Juli 2009 dahin zu ändern, dass ein Veräußerungsgewinn in Höhe von 1.907.159 DM der Besteuerung zugrunde gelegt wird und die Einkommensteuer entsprechend herabgesetzt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Zu Unrecht ist das FG davon ausgegangen, dass der dem Kläger im Jahr 2004 zugeflossene "Einmalbetrag" den im Streitjahr zu erfassenden Veräußerungsgewinn des Klägers erhöht. Vielmehr ist dieser als nachträgliche Einkünfte i.S. des § 24 Nr. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG aus der Veräußerung im Jahr 2004, dem Zeitpunkt des Zuflusses, einkommensteuerrechtlich zu erfassen.
1. Veräußerungsgewinn i.S. von § 17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Veräußerungspreis i.S. der genannten Vorschrift ist der Wert der Gegenleistung, die der Veräußerer durch Abschluss des dinglichen Veräußerungsgeschäfts am maßgebenden Stichtag erlangt.
a) Der Veräußerungsgewinn ist grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist regelmäßig der Zeitpunkt der Veräußerung, d.h. der Zeitpunkt, zu dem das rechtliche oder zumindest das wirtschaftliche Eigentum an den veräußerten Anteilen auf den Erwerber übergegangen ist (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 20. Juli 2010 IX R 45/09, BFHE 230, 380, BStBl II 2010, 969).
b) Nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92 (BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897) sind später eintretende Veränderungen beim ursprünglich vereinbarten Veräußerungspreis solange und soweit materiell-rechtlich auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückzubeziehen, als der Erwerber seine Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises noch nicht erfüllt hat. Dabei ist es unerheblich, welche Gründe für die Minderung oder Erhöhung des Erlöses maßgebend waren. Wann ein Sachverhalt in diesem Sinne steuerlich zurückwirkt, entscheidet sich nach dem im Einzelfall anzuwendenden materiellen Steuergesetz (vgl. BFH-Urteil vom 19. August 2009 I R 3/09, BFHE 226, 486, BStBl II 2010, 249). Vor diesem Hintergrund kann eine nachträgliche Änderung des Veräußerungspreises i.S. des § 17 Abs. 2 EStG grundsätzlich auch dann auf den Zeitpunkt der Veräußerung zurückwirken, wenn das Ereignis erst nach dem Zeitpunkt der Veräußerung eingetreten ist (BFH-Urteile vom 21. Dezember 1993 VIII R 69/88, BFHE 174, 324, BStBl II 1994, 648; vom 28. Oktober 2009 IX R 17/09, BFHE 227, 349, BStBl II 2010, 539).
Bei nachträglichen vertraglichen Änderungen des Veräußerungspreises kommt es entscheidend darauf an, ob über den Veräußerungspreis im Zeitpunkt der Betriebsübertragung keine abschließende Einigung erzielt wurde ‑‑dann erhöht ein später festgesetzter Mehrbetrag rückwirkend, d.h. für das Jahr der Veräußerung, den Veräußerungsgewinn‑‑ oder ob ein zunächst feststehender Veräußerungspreis nachträglich geändert wird ‑‑dann ist ein Mehrbetrag erst in dem Veranlagungszeitraum zu erfassen, in dem die Erhöhung vereinbart wurde‑‑ (vgl. BFH-Urteil vom 17. Januar 1989 VIII R 370/83, BFHE 156, 103, BStBl II 1989, 563, zu § 16 EStG). Ein rückwirkendes Ereignis i.S. von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegt bei nachträglichen vertraglichen Änderungen mithin nur dann vor, wenn der Rechtsgrund für die später geleisteten Zahlungen bereits im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt ist (vgl. BFH-Urteil vom 14. Juni 2005 VIII R 14/04, BFHE 210, 278, BStBl II 2006, 15).
2. Nach diesen Grundsätzen wirkt die Erfüllung der in der geänderten Vereinbarung vom 15./22. März 2004 getroffenen Besserungsabrede, wonach der Kläger einen "zusätzlichen Einmalbetrag" in Höhe von 671.070,59 € erhalten sollte, nicht auf den Zeitpunkt der Veräußerung des Teilgeschäftsanteils zurück; sie erhöht daher den in § 2 des maßgeblichen Vertrages vom 23. Februar des Streitjahres vereinbarten Veräußerungspreis nicht und beeinflusst mithin auch nicht den im Streitjahr zu erfassenden Veräußerungsgewinn i.S. des § 17 Abs. 2 EStG.
a) Zwar obliegt die im Streitfall erforderliche Auslegung der maßgeblichen Vertragsbestimmungen dem FG als Tatsacheninstanz; sie bindet den BFH gemäß § 118 Abs. 2 FGO aber nur dann, wenn sie den Grundsätzen der §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt, d.h. jedenfalls möglich ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 25. Februar 2009 IX R 76/07, BFH/NV 2009, 1268, m.w.N.). Im Streitfall hat das FG die vertraglichen Vereinbarungen indes unzutreffend dahin ausgelegt, dass der Rechtsgrund für die Leistung eines ‑‑von weiteren Voraussetzungen abhängigen‑‑ "Einmalbetrags" bereits im Kauf- und Übertragungsvertrag vom 23. Februar des Streitjahres "angelegt" gewesen sei.
b) Rechtsgrund für die dem Kläger im Jahr 2004 zugeflossene Zahlung in Höhe von 671.070,59 € war die zwischen den Beteiligten unter dem 15./22. März 2004 geschlossene Vereinbarung. Zwar greift diese Vereinbarung mittelbar auch auf die in § 3 Ziff. 3.1 des Kauf- und Übertragungsvertrages vom 23. Februar des Streitjahres vereinbarte Besserungsabrede zurück; letztere stellt indes lediglich eine sog. Besserungsoption in Gestalt eines zugunsten des Klägers unter aufschiebender Bedingung stehenden Optionsrechts auf Abschluss eines Änderungsvertrages (§ 311 BGB) zum ursprünglichen Kauf- und Übertragungsvertrag dar (vgl. Herlinghaus, Forderungsverzichte und Besserungsvereinbarungen zur Sanierung von Kapitalgesellschaften, 1994, S. 95 f.; Delcker, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 1992, 2453). Gegenstand der Besserungsoption war das Recht des Klägers, eine Änderung des ursprünglichen Kaufvertrages zu verlangen, soweit die Entwicklung des Unternehmens in einem gewissen Zeitraum nach der Unternehmensübertragung um einen bestimmten Prozentsatz von der im Veräußerungszeitpunkt angenommenen Entwicklung abwich.
c) Gegenstand der geänderten Vereinbarung vom 15./22. März 2004 war auch nicht, wie das FA angenommen hat, eine dem Veräußerungsvorgang nachfolgende Wertveränderung der Gegenleistung (d.h. des Kaufpreises i.S. des § 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) ‑‑welche als im ursprünglichen Vertrag angelegt grundsätzlich auf den Veräußerungszeitpunkt zurückwirken würde (vgl. BFH-Urteil vom 22. Dezember 2010 I R 58/10, BFHE 232, 185)‑‑, sondern eine dem Veräußerungsvorgang nachfolgende Wertveränderung der Leistung (d.h. des Kaufgegenstands), nachdem diese erbracht worden ist. Die Höhe der Gegenleistung wurde von den Vertragsparteien vielmehr bereits in § 2 des Kauf- und Übertragungsvertrages vom 23. Februar des Streitjahres abschließend geregelt.
Vor diesem Hintergrund ist das im Streitfall nachträglich gewährte Entgelt für die Wertveränderung des Kaufgegenstands, dessen Rechtsgrund erst in der Vertragsänderung vom 15./22. März 2004 zu finden ist, nicht bereits im Kauf- und Übertragungsvertrag vom 23. Februar des Streitjahres "angelegt"; es wirkt daher auch nicht auf den Veräußerungszeitpunkt zurück (in diesem Sinne auch Delcker, DB 1992, 2453, 2454).
3. Das FG ist von anderen Grundsätzen ausgegangen. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben. Die Sache ist spruchreif; der der Höhe nach nicht streitige, dem Kläger nachträglich zugeflossene Einmalbetrag ist nicht im Streitjahr, sondern nach § 24 Nr. 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 EStG im Zeitpunkt des Zuflusses zu erfassen.