BFH III. Senat
EStG § 32 Abs 1 Nr 2, EStG § 32 Abs 4 S 1 Nr 3
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 02. Februar 2009, Az: 12 K 2612/07
Leitsätze
1. Die für die Annahme eines Pflegekindschaftsverhältnisses i.S. von § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG erforderliche Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige mit der Person "durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist", lässt sich bei einer bereits volljährigen Person nur unter engen Voraussetzungen und bei Vorliegen ganz besonderer Umstände begründen.
2. Handelt es sich um eine geistig oder seelisch behinderte Person, muss die Behinderung so schwer sein, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspricht.
3. Die Wohn- und Lebensverhältnisse der behinderten Person müssen den Verhältnissen leiblicher Kinder vergleichbar sein und eine Zugehörigkeit der behinderten Person zur Familie widerspiegeln.
4. Der Steuerpflichtige muss zu der behinderten Person in einem dem Eltern-Kind-Verhältnis vergleichbaren Erziehungsverhältnis stehen, das sich auf eine durch den Steuerpflichtigen gegenüber der behinderten Person eingenommene Autoritätsstellung stützt.
5. Damit die behinderte Person mit dem Steuerpflichtigen durch ein familienähnliches Band "verbunden ist", muss die ideelle Beziehung zwischen den beiden Personen bereits über einen längeren Zeitraum bestanden haben, bevor von einer ideellen Bindung ausgegangen werden kann.
6. Ein "auf längere Dauer berechnetes Band" liegt vor, wenn aus Sicht des Steuerpflichtigen beabsichtigt ist, die bereits entstandene familiäre Bindung auch zukünftig langjährig aufrecht zu erhalten. Insoweit ist eine beabsichtigte Dauer von zwei Jahren in der Regel als ausreichend anzusehen.
Tatbestand
I.
Die am 3. November 1954 geborene Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) nahm im Jahr 1999 die am ... 1952 geborene Frau S in ihren Haushalt auf. Sie betreut S seit dem 8. Oktober 1999 im Rahmen der "Familienpflege für erwachsene geistig und körperlich behinderte Menschen". Daneben befanden sich im Haushalt eine leibliche Tochter und drei weitere Pflegekinder (davon zwei mit Behinderung). S ist seit ihrer Geburt schwerbehindert. Der Grad ihrer Behinderung betrug zunächst 50. Es wurde eine geistige Behinderung festgestellt. Seit dem 26. Februar 2007 wurde der Grad der Behinderung mit 90 und eine geistige Behinderung festgestellt. S bezieht seit April 1997 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der Aufgabenkreis des vom Vormundschaftsgericht für S bestellten Betreuers umfasst die Vermögensangelegenheiten, die Aufenthaltsbestimmung, die Mitwirkung bei Maßnahmen der Heilbehandlung und Gesundheitsfürsorge und die Entgegennahme der Post. Das Sozialamt gewährt seit September 2006 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen i.S. der §§ 53 ff. des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch -Sozialhilfe‑‑. Die Klägerin erhält ein Betreuungsentgelt, das sich zusammensetzt aus einem Betrag für den durch das eigene Einkommen der S nicht gedeckten Grundbedarf und einem weiteren Betrag, der als Pflegegeld gezahlt wird.
Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) lehnte mit Bescheid vom 18. September 2007 den Antrag der Klägerin, ihr Kindergeld für die nach ihrer Ansicht als Pflegekind anzusehende S zu gewähren, ab. Den hiergegen gerichteten Einspruch wies die Familienkasse mit Einspruchsentscheidung vom 31. Oktober 2007 als unbegründet zurück. Die Familienkasse sah die Voraussetzungen eines Pflegekindschaftsverhältnisses als nicht gegeben an.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage teilweise statt und verpflichtete die Familienkasse, unter Aufhebung des angegriffenen Bescheids und der Einspruchsentscheidung über den Kindergeldantrag für die Zahlungszeiträume ab Januar 2002 unter Beachtung der Rechtsauffassung des FG erneut zu entscheiden (Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1210). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass auch zu einem bereits volljährigen Behinderten das für ein Pflegekindschaftsverhältnis erforderliche familienähnliche Band begründet werden könne. Bei S liege eine Behinderung vor, die eine Betreuungsbedürftigkeit begründe. Daher habe bereits im Januar 2002 ein familienähnliches Band zwischen der Klägerin und S bestanden, im Rahmen dessen die Klägerin zu S in einem Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern gestanden habe. Die Familienpflege sei auch im Fall von S eine nicht nur vorübergehende Wohnmöglichkeit für eine erwachsene behinderte Person, die nicht selbständig leben könne und deshalb sonst der Hilfe in einem Heim bedürfe. Es sei nicht erforderlich, dass die betreute Person derart schwer geistig oder seelisch behindert sei, dass sie in ihrer Entwicklung einem Kind gleich stehe.
Zur Begründung ihrer Revision macht die Familienkasse geltend, das angefochtene Urteil beruhe auf einer unzutreffenden Auslegung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und verletze daher Bundesrecht. Um bei Aufnahme eines Volljährigen ein Pflegekindschaftsverhältnis entstehen zu lassen, müsse die behinderte Person in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleichstehen. Aufgrund des vorliegenden nervenärztlichen Gutachtens vom 12. Februar 2007 sei bei S jedoch von einer leichten bis mittelschweren geistigen und psychischen Behinderung auszugehen. Da S zudem noch über einen langen Zeitraum gearbeitet habe, könne unter keinem Gesichtspunkt davon ausgegangen werden, dass sie in ihrer geistigen Entwicklung einem Kind gleichstehe und sich ein Pflegekindschaftsverhältnis zur Klägerin habe entwickeln können.
Die Familienkasse beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 90 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der nicht spruchreifen Sache an das FG.
1. a) Nach § 62 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG besteht ein Kindergeldanspruch für Kinder i.S. des § 32 Abs. 1 EStG. Kinder sind nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Pflegekinder. Ein Pflegekind ist nach dem in § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften (StÄndG 2003) vom 15. Dezember 2003 (BGBl I 2003, 2645, BStBl I 2003, 710) enthaltenen Klammerzusatz eine Person, mit der der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie nicht zu Erwerbszwecken in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht. Die Neufassung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist dem Streitfall zugrunde zu legen. Denn gemäß § 52 Abs. 40 Satz 1 EStG i.d.F. des StÄndG 2003 ist die geänderte Fassung in allen Fällen anzuwenden, in denen die Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Diese Rückwirkung gilt auch für das Kindergeld, wenn dieses noch nicht bestandskräftig festgesetzt bzw. die Festsetzung noch nicht bestandskräftig abgelehnt ist (vgl. Senatsurteil vom 21. April 2005 III R 53/02, BFH/NV 2005, 1547).
Der Klammerzusatz stellt eine Legaldefinition dar (vgl. hierzu Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 5. Oktober 2004 VIII R 69/02, BFH/NV 2005, 524), d.h. die hierin enthaltenen Umstände sind echte Tatbestandsvoraussetzungen und nicht nur erläuternde Nebenbestimmungen (ebenso Grönke-Reimann in Herrmann/Heuer/Raupach, § 32 EStG Rz 44).
b) Ein familienähnliches Band liegt vor, wenn das Kind wie zur Familie angehörig angesehen und behandelt wird. Dies setzt voraus, dass zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Kind ein Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern besteht (BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 524, m.w.N.). Da das Gesetz Pflegekinder über § 32 Abs. 1, Abs. 6 Satz 7 EStG und § 63 Abs. 1 Satz 1 EStG in eine Reihe mit leiblichen Kindern, Adoptivkindern, Stief- und Enkelkindern stellt und das Pflegekindschaftsverhältnis steuerrechtlich unter Umständen über das 27. Lebensjahr bzw. ‑‑nach Absenkung der Altersgrenze durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl I 2006, 1652, BStBl I 2006, 432)‑‑ über das 25. Lebensjahr hinauswirken und weiterhin zur Gewährung von Kinderfreibeträgen und Kindergeld führen kann, ist ein besonders enges Band erforderlich (vgl. hierzu bereits Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25. Januar 1971 GrS 6/70, BFHE 101, 247, BStBl II 1971, 274).
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist erforderlich, dass das Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsverhältnis seine Grundlage in einer ideellen Dauerbindung findet; dabei ist nicht allein auf die äußeren Lebensumstände, sondern auch darauf abzustellen, ob das Pflegekind in der Familie eine natürliche Einheit von Versorgung, Erziehung und "Heimat" findet - also nicht nur Kostgänger ist, sondern wie zur Familie gehörig angesehen und behandelt wird (BSG-Urteile vom 22. September 1993 10 RKg 6/92, SozR 3-5870 § 2 Nr. 20, und vom 19. November 1997 14/10 RKg 18/96, Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte 48, 188). Aus der Parallele zum Eltern-Kind-Verhältnis ergibt sich zudem, dass auch zwischen dem Pflegelternteil und dem Pflegekind ein Autoritätsverhältnis bestehen muss, aufgrund dessen sich das Pflegekind der Aufsichts-, Erziehungs- und Betreuungsmacht des Pflegeelternteils unterwirft (ebenso BSG-Urteil vom 29. August 1962 7 RKg 7/61, BSGE 17, 265; Felix, Kindergeldrecht, § 63 EStG Rz 31; Helmke in Helmke/Bauer, Familienleistungsausgleich, Kommentar, Fach A, I. Kommentierung, § 32 EStG Rz 9). Dieser Auffassung schließt sich der Senat an.
c) Vor dem Hintergrund des Umstands, dass die körperliche Versorgung und die Erziehung des Pflegekindes, die Voraussetzung für die Annahme eines familienähnlichen Bandes sind, bei einem gesunden Volljährigen in der Regel keine entscheidende Rolle mehr spielen, hat der BFH bereits entschieden, dass sich ein familienähnliches Band mit einem bereits Volljährigen nur bei Vorliegen besonderer Umstände begründen lässt (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2005, 524).
aa) Insoweit ist zum einen der psychischen Verfassung der zu pflegenden Person, insbesondere einer eventuellen Unfähigkeit zu eigener Lebensgestaltung, im Einzelfall Bedeutung beizumessen.
Während bei Bestehen einer körperlichen Behinderung, einer Sinnesbehinderung (z.B. Blindheit, Gehörlosigkeit) oder einer Sprachbehinderung die Entstehung eines familienähnlichen Bandes zu einem Volljährigen in der Regel bereits am Fehlen eines Erziehungsverhältnisses scheitern wird, kommt bei Behinderungen im Bereich der geistigen Fähigkeiten oder der seelischen Gesundheit die Entstehung eines familienähnlichen Bandes grundsätzlich auch bei einem Volljährigen in Betracht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Erbringung umfänglicher Pflege- und Unterstützungsleistungen und ein damit verbundenes hohes Maß an persönlicher Zuwendung gegenüber einem geistig oder seelisch behinderten Menschen zugleich auch ein familienähnliches Band begründet (vgl. hierzu BSG-Urteil in SozR 3-5870 § 2 Nr. 20). Denn dies hätte zur Folge, dass jedes Pflegeverhältnis zwischen einer Person und einem in dieser Form Behinderten zugleich auch ein Pflegekindschaftsverhältnis begründen würde (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 4. April 1975 VI R 218/72, BFHE 115, 477, BStBl II 1975, 636). Zwar reicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch für die Annahme einer Behinderung aus, dass die geistige Fähigkeit oder die seelische Gesundheit von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen. Um den Behinderten aber in ein Aufsichts-, Betreuungs- und vor allem Erziehungsverhältnis wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern stellen zu können, muss die Behinderung so schwer sein, dass der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspricht (ebenso die Verwaltung, vgl. Abschn. 63.2.2.3 Abs. 3 Satz 6 der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes ‑‑DA-FamEStG‑‑, Stand 2011, BStBl I 2009, 1033, BStBl I 2011, 21, 716).
Weiter ist erforderlich, dass trotz der Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten Möglichkeiten und die Bereitschaft zu einer erzieherischen Einwirkung gegeben sein müssen. Ist eine erzieherische Einwirkungsmöglichkeit der pflegenden Person auf die zu pflegende Person als ausgeschlossen zu betrachten, ähnelt ein solches Pflegeverhältnis mehr dem zu einem Kostgänger als dem zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern. Daher ist die Entstehung eines familienähnlichen Bandes zu einem Volljährigen in einem solchen Fall in der Regel ausgeschlossen.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus diesen Einschränkungen weder, dass der Kindergeldbezug für behinderte Pflegekinder über das 27. Lebensjahr hinaus nur bei geistiger Behinderung in Betracht kommt, noch folgt hieraus eine Ungleichbehandlung gegenüber behinderten leiblichen Kindern oder Adoptivkindern. Ist das familienähnliche Band zwischen dem allein körperlich behinderten Pflegekind bereits vor Eintritt der Volljährigkeit entstanden, scheitert ein Kindergeldbezug weder über das 18. Lebensjahr noch über das 25. bzw. 27. Lebensjahr hinaus an der mangelnden Pflegekindeigenschaft, sofern nicht das familienähnliche Band später aufgrund anderer Umstände wieder gelöst wurde. Dass die Entstehung eines familienähnlichen Bandes zu einem bereits volljährigen Behinderten eine Behinderung voraussetzt, aufgrund derer der geistige Zustand des Behinderten dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entspricht, stellt auch keine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber den Eltern von allein körperlich behinderten leiblichen Kindern oder Adoptivkindern dar. Vielmehr dient dieses Erfordernis gerade der Gleichbehandlung, weil bei leiblichen Kindern und Adoptivkindern das familiäre Band zu den kindergeldberechtigten Elternteilen bereits besteht. Die Auffassung der Klägerin, wonach es für die Begründung eines Pflegekindschaftsverhältnisses ausreichend sei, wenn das Kind die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG erfüllt, würde hingegen bei behinderten Kindern zu einem Leerlaufen der Tatbestandsvoraussetzung "familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band" führen, da ein Pflegekindschaftsverhältnis dann immer schon bei nicht zu Erwerbszwecken erfolgter Haushaltsaufnahme des behinderten Kindes und Ausscheiden aus dem Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den leiblichen Eltern anzunehmen wäre.
bb) Auch wenn die geistig behinderte oder seelisch kranke Person umfangreicher Überwachung, Anweisung und Unterstützung bedarf, folgt daraus allein noch nicht, dass sie wie zur Familie gehörig anzusehen wäre. Vielmehr müssen weitere Umstände hinzukommen, aus denen sich eine Vergleichbarkeit zu den Verhältnissen leiblicher Kinder und eine Zugehörigkeit zur Familie ergeben (ebenso BSG-Urteil in SozR 3-5870 § 2 Nr. 20). Insoweit ist insbesondere von Bedeutung, wie sich die Wohn- und Lebensverhältnisse der zu pflegenden Person innerhalb der Familie darstellen (welche Räume stehen den einzelnen Familienangehörigen allein oder zur Mitbenutzung zur Verfügung?), in welchem Verhältnis die zu pflegende Person zu den anderen Familienangehörigen steht (Eingliederung in die Rolle eines Kindes gegenüber "Pflegeeltern" und etwaigen "Pflegegeschwistern") und ob sie in die familiäre Lebensgestaltung eingebunden ist (z.B. Teilnahme an gemeinsamen Mahlzeiten, Freizeit- und Urlaubsaktivitäten etc.). Ferner ist in die Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob und inwieweit die Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsaufgaben in familienähnlicher Weise von der pflegenden Person selbst wahrgenommen werden bzw. ob und inwieweit in nicht familienähnlicher Weise andere, insbesondere nicht haushaltszugehörige "familienfremde" Personen (z.B. Betreuungsfachkräfte des Trägers der Familienpflege), solche Aufgaben erfüllen.
cc) Da insbesondere die erzieherische Einwirkungsmöglichkeit sich im Eltern-Kind-Verhältnis aus einem Autoritätsverhältnis ableitet, ist eine solche Autoritätsstellung der pflegenden Person gegenüber der zu pflegenden Person auch Voraussetzung für das Vorliegen eines familienähnlichen Bandes. Diese leitet sich im Verhältnis zwischen Eltern und ihren leiblichen Kindern im Regelfall bereits daraus ab, dass die Eltern wesentlich älter sind als das Kind (vgl. hierzu bereits BFH-Urteile in BFHE 115, 477, BStBl II 1975, 636, und vom 5. August 1977 VI R 187/74, BFHE 123, 380, BStBl II 1977, 832; BSG-Urteil vom 14. November 1961 11 RV 20/61, BSGE 15, 239) und über das ihnen zustehende Erziehungsrecht (§ 1631 des Bürgerlichen Gesetzbuches) langjährig auf die Entwicklung des Kindes Einfluss nehmen können bzw. schon genommen haben. Erfüllt die pflegende Person diese Voraussetzungen nicht, müssen andere besondere Umstände vorliegen, aus denen sich im Einzelfall die Entstehung eines Autoritätsverhältnisses zwischen der pflegenden und der gepflegten Person ergibt (z.B. langjährige Übernahme der Elternrolle für ein minderjähriges behindertes Geschwisterteil bei Vollwaisen). Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass das BSG im Urteil vom 7. August 1991 10 RKg 15/91 (SozR 3-5870 § 2 Nr. 16) auf das Erfordernis eines Altersunterschieds verzichtet. Denn insoweit ist zu berücksichtigen, dass das BSG zum einen den Pflegekindbegriff aus seiner spezifischen sozialrechtlichen Funktion heraus interpretiert hat. Dagegen hat der Begriff des Pflegekindes in dem System der Einkommensteuer eine andere Funktion; insbesondere schließt eine engere Auslegung des steuerrechtlichen Pflegekindbegriffs anderweitige Steuerermäßigungen (z.B. §§ 33, 33a EStG) nicht aus (s. hierzu Beschluss des Großen Senats des BFH in BFHE 101, 247, BStBl II 1971, 274). Zum anderen lagen auch in dem der BSG-Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt besondere Umstände vor, aus denen das BSG eine Erziehungsfunktion ableitete (Behinderte stand in ihrer Entwicklung einem zehnjährigen Kind gleich und wurde von ihrer zur Pflegerin bestellten Nichte betreut).
dd) Da der Pflegekindbegriff nach der Legaldefinition des § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG voraussetzt, dass der Steuerpflichtige mit dem Pflegekind durch ein familienähnliches Band "verbunden ist", muss die ideelle Beziehung zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Pflegekind bereits über einen längeren Zeitraum bestanden haben, bevor von einer ideellen Bindung ausgegangen werden kann. Dies entspricht auch dem typischen Eltern-Kind-Verhältnis, das sich gegenüber einem bereits Volljährigen in der Regel schon über viele Jahre entwickelt hat.
Demgegenüber zielt das Tatbestandsmerkmal, wonach es sich um ein "auf längere Dauer berechnetes" Band handeln muss, darauf ab, wie sich die zukünftige Entwicklung des Verhältnisses zwischen der pflegenden Person und der gepflegten Person darstellt. Insoweit muss aus Sicht der pflegenden Person beabsichtigt sein, die bereits entstandene familiäre Bindung auch zukünftig langjährig aufrecht zu erhalten. Dabei bestehen keine Bedenken, wenn im Regelfall eine beabsichtigte Dauer von zwei Jahren als ausreichend angesehen wird (ebenso Abschn. 63.2.2.3 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 DA-FamEStG). Da es nur auf die beabsichtigte Dauer ankommt, ist dagegen nicht entscheidend, dass die tatsächliche Dauer im Rückblick kürzer oder länger ausfällt.
2. Das FG hat diese Rechtsgrundsätze nur teilweise berücksichtigt und wird daher im zweiten Rechtsgang die noch fehlenden Feststellungen nachzuholen haben.
Es hat zwar festgestellt, dass eine Behinderung vorliegt, die seit dem 26. Februar 2007 mit einem Grad von 90 festgestellt ist. Die darüber hinaus getroffenen Feststellungen, dass sich S im Rahmen der Gewährung von Eingliederungshilfe in Familienpflege befunden hat, für bestimmte Aufgabenbereiche einen Betreuer zugewiesen bekommen und eine Erwerbsunfähigkeitsrente erhalten hat, tragen die daraus gezogene Schlussfolgerung, dass sich S in einem Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsverhältnis befunden haben muss, jedoch nicht.
a) Es ist zunächst noch aufzuklären, ob die geistige Behinderung so schwer war, dass der geistige Zustand von S dem typischen Entwicklungsstand einer noch minderjährigen Person entsprach. Insoweit ist auch der Umstand zu würdigen, dass die Behinderung für den Streitzeitraum Januar 2002 bis Januar 2007 noch mit einem Grad von 50 festgestellt war. Zudem sind Feststellungen dazu erforderlich, ob die geistige Behinderung Raum für erzieherische Einwirkungsmöglichkeiten eröffnete.
b) Des Weiteren sind bislang keine Feststellungen zu den Wohn- und Lebensverhältnissen von S innerhalb der Familie, zum Verhältnis zu den übrigen Familienangehörigen, zur Einbindung in die familiäre Lebensgestaltung sowie zum Umfang der Wahrnehmung der Aufsichts-, Betreuungs- und Erziehungsaufgaben durch die Klägerin und die von dem Träger der Familienpflege eingeschaltete Betreuungsfachkraft getroffen worden.
c) Die Klägerin ist weder älter als S noch war ihr im Rahmen einer Personensorgeregelung eine Erziehungsfunktion eingeräumt worden. Besondere sonstige Umstände, die gleichwohl die Entstehung eines Autoritätsverhältnisses wie zwischen Eltern und leiblichen Kindern begründen könnten, hat das FG bisher nicht festgestellt. Das langjährige Bestehen einer Betreuung käme als besonderer Umstand allenfalls dann in Betracht, wenn die Klägerin selbst als Betreuerin eingesetzt gewesen wäre und aus der tatsächlichen Durchführung der Betreuung Anhaltspunkte für die Entstehung eines Autoritätsverhältnisses abgeleitet werden könnten.
d) Hinsichtlich der zeitlichen Anforderungen an die zwischen der Klägerin und S bestehende Verbindung hat das FG zwar bereits festgestellt, dass sich S zu Beginn des Streitzeitraums (Januar 2002) bereits über einen längeren Zeitraum, nämlich seit Oktober 1999, im Haushalt der Klägerin befand. Festzustellen ist jedoch ggf. noch, ob die Klägerin beabsichtigte, nach Entstehung einer familiären Bindung diese auch zukünftig langjährig aufrecht zu erhalten.