BFH IX. Senat
AO § 39 Abs 2 Nr 1, EStG § 17 Abs 2 S 5, FGO § 118 Abs 2
vorgehend FG Düsseldorf, 05. August 2010, Az: 1 K 2690/09 E
Leitsätze
Wem Gesellschaftsanteile im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs übertragen werden, erwirbt sie nicht i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG, wenn sie weiterhin dem Nießbraucher nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen sind, weil dieser nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann.
Tatbestand
I.
Der Vater des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) war im Jahr 2001 mit 90 % an einer Gebäude Service GmbH (GmbH) beteiligt, deren Stammkapital 70.000 DM betrug. Er schenkte dem Kläger im Jahr 2001 einen Gesellschaftsanteil im Nennbetrag von 21.000 DM (30 %). Die Anschaffungskosten des Vaters betrugen 175.392,86 DM. Im Jahr 2002 erwarb der Kläger einen Geschäftsanteil im Nennbetrag von 2.300 DM (3,29 %) für 150.000 DM von einer (weiteren) Anteilseignerin. Im Rahmen der Euroumstellung wurde das Stammkapital der GmbH im Jahr 2004 geringfügig auf 36.000 € angehoben.
Aufgrund notariell beurkundeten Vertrags vom 16. März 2004 übertrug der Vater dem Kläger drei weitere Gesellschaftsanteile von 12.550 €, 8.700 € und 2.450 €, insgesamt also 23.700 € (65,83 %). Die Anschaffungskosten des Vaters für diese GmbH-Anteile beliefen sich auf 293.270,11 €. Der Vater behielt sich gemäß Ziffer III dieses Vertrags an den übertragenen Beteiligungen den lebenslänglichen unentgeltlichen Nießbrauch vor. Dem Nießbraucher gebührten danach die während des Nießbrauchs auf die Beteiligungen entfallenden ausgeschütteten Gewinnanteile. Zwar standen die mit den übertragenen Beteiligungen verbundenen Mitgliedschaftsrechte wie z.B. das Stimmrecht dem Kläger zu. Er bevollmächtigte jedoch den Vater unwiderruflich zur Ausübung des Stimmrechts in sämtlichen Gesellschaftsangelegenheiten und verpflichtete sich gegenüber dem Vater (u.a.), von seinem eigenen Stimmrecht hinsichtlich der übertragenen Anteile keinen Gebrauch zu machen bzw. ersatzweise nach Weisung des Nießbrauchers (des Vaters) zu stimmen. Außerdem wurde vereinbart, dass der Kläger im Falle des früheren Ablebens seines Vaters seiner Mutter als dauernde Last einen monatlichen Betrag in Höhe von 2.000 € zahlen musste. Nach Vertragsdurchführung betrugen die Anteile des Klägers am Stammkapital der GmbH 35.700 € (99,17 %) und der Anteil des Vaters 300 € (0,83 %).
Der Kläger und sein Vater verkauften sämtliche Anteile an der GmbH aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags vom 29. November 2006 für 3.220.000 € an eine KG. Die Übertragung war aufschiebend bedingt bis zur ‑‑nicht vor dem 8. Januar 2007 zu erfüllenden‑‑ Zahlung des Kaufpreises. Im Rahmen einer Vereinbarung vom 15. Dezember 2006 verzichtete der Vater des Klägers auf seine eingeräumten Nießbrauchrechte und die Mutter des Klägers auf die aufschiebend bedingte dauernde Last. Als Gegenleistung für den Verzicht vereinbarten die Vertragsparteien (Vater, Mutter und der Kläger) einen Ablösebetrag von 1.679.800 €, der für den Kläger unmittelbar von der KG auf das Konto des Vaters zu zahlen war.
In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2007) erklärte der Kläger einen Veräußerungsgewinn von 525.636,90 €, den er wie folgt ermittelte:
Veräußerungserlös 3.220.000 € x 99,17 %
= 3.193.166,67 €
./. Anschaffungskosten 459.727,74 €
(AK) (eigene und nach § 17 Abs. 2 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes ‑‑EStG‑‑ maßgebende AK des des Vaters) + 1.679.800,00 € (Ablösezahlung) = 2.139.527,74 € ./. Veräußerungskosten 2.365,13 €
Veräußerungsgewinn 1.051.273,80 €
Anzusetzen nach Halbeinkünfteverfahren 525.636,90 €
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erkannte den vom Kläger an den Vater gezahlten Ablösebetrag nicht als nachträgliche Anschaffungskosten an, ermittelte einen Veräußerungsgewinn von 2.731.073 € und unterwarf diesen in Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens zur Hälfte der Besteuerung.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) gelangte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 131 veröffentlichten Urteil zu der Auffassung, dass der Kläger Gesellschaftsanteile aufgrund der notariellen Schenkungsurkunde unentgeltlich erworben habe und dass er die Ablösungszahlung von 1.679.800 € als nachträgliche Anschaffungskosten habe aufwenden müssen, um sich die vollständige rechtliche und wirtschaftliche Verfügungsmacht an den Anteilen zu verschaffen. Das FG setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr im Urteil vom 6. August 2010 zunächst auf 274.468 € fest, änderte diese Festsetzung allerdings auf Antrag des Klägers durch Ergänzungsurteil vom 17. September 2010, indem es die Einkommensteuer 2007 auf nunmehr 269.269 € festsetzte.
Hiergegen richten sich die Revisionen des FA, die es auf rechtsfehlerhafte Anwendung des § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG i.d.F. des Streitjahres (2007) stützt.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidungen aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revisionen als unbegründet zurückzuweisen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Juni 2011 die Verfahren IX R 51/10 (betreffend das ursprüngliche Urteil des FG vom 6. August 2010) und IX R 60/10 (betreffend das Ergänzungsurteil vom 17. September 2010) unter dem erstgenannten Aktenzeichen miteinander verbunden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revisionen des FA sind begründet und führen nach § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung der angefochtenen Urteile und zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG.
Die Urteile sind aufzuheben, weil das FG von einem unentgeltlichen Erwerb der Gesellschaftsanteile durch den Kläger aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags vom 16. März 2004 gemäß § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG ausgegangen ist, ohne zu prüfen, ob ihm die Gesellschaftsanteile nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) zuzurechnen sind.
1. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört auch der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % beteiligt war. Ist danach die im Streitjahr vollzogene Veräußerung an die KG unstreitig steuerbar, so ist problematisch, welche Anschaffungskosten bei der Ermittlung des Gewinns nach § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigen sind.
a) Das FG geht mit den Beteiligten davon aus, der Kläger habe die Gesellschaftsanteile vom Vater unentgeltlich i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG erworben. Indes kann der Senat aufgrund der Feststellungen des FG nicht prüfen, ob die Gesellschaftsanteile dem Kläger aufgrund des notariell beurkundeten Vertrags auch nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen waren oder ob das wirtschaftliche Eigentum an den Anteilen erst mit dem Verzicht des Vaters auf das Nießbrauchrecht ‑‑und damit entgeltlich gegen Zahlung des Ablösebetrags‑‑ übergegangen ist.
b) Wirtschaftsgüter sind dem Eigentümer zuzurechnen (§ 39 Abs. 1 AO). Abweichend von der zivilrechtlichen Eigentümerstellung an Wirtschaftsgütern sind Wirtschaftsgüter demjenigen zuzurechnen, der die tatsächliche Herrschaft über ein Wirtschaftsgut in der Weise ausübt, dass er den Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausschließen kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). Das wirtschaftliche Eigentum an einem Kapitalgesellschaftsanteil geht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO auf einen Erwerber über, wenn er aufgrund eines (bürgerlich-rechtlichen) Rechtsgeschäfts bereits eine rechtlich geschützte, auf den Erwerb des Rechts gerichtete Position erworben hat, die ihm gegen seinen Willen nicht mehr entzogen werden kann und die mit dem Anteil verbundenen wesentlichen Rechte (insbesondere Gewinnbezugsrecht und Stimmrecht) sowie das Risiko einer Wertminderung und die Chance einer Wertsteigerung auf ihn übergegangen sind (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑, vgl. die Urteile vom 26. Januar 2011 IX R 7/09, BFHE 232, 463, BStBl II 2011, 540, und vom 20. Juli 2010 IX R 38/09, BFH/NV 2011, 41, jeweils m.w.N.).
Diese Grundsätze gelten auch, wenn zu entscheiden ist, ob der Veräußerer den veräußerten Anteil unentgeltlich i.S. von § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG "erworben" hat. Hat er kein wirtschaftliches Eigentum an dem Gesellschaftsanteil erlangt, hat er ihn nicht erworben.
c) Ist der Gesellschaftsanteil unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs "unentgeltlich" übertragen worden, fehlt es am Erwerb des Gesellschaftsanteils, wenn der übertragene Geschäftsanteil als wirtschaftliches Eigentum nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO dem Vorbehaltsnießbraucher zuzurechnen ist (vgl. in diesem Sinne auch BFH-Urteil vom 10. Dezember 2008 II R 34/07, BFHE 224, 144, BStBl II 2009, 312). Bereits zivilrechtlich ist der Nießbraucher einem Gesellschafter mit der Folge einer Zurechnung nach § 39 Abs. 1 AO gleichzustellen, wenn der Nießbrauch die gesamte Beteiligung umfasst und ihm eine Position vermittelt, die ihm (z.B. durch ihm eingeräumte Stimmrechtsvollmachten) entscheidenden Einfluss auf die Geschicke der Gesellschaft verschafft (Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. April 2011 II ZR 173/10, Deutsches Steuerrecht 2011, 1475 ff., m.w.N. aus Rechtsprechung und Schrifttum).
Erst recht ist dem Nießbraucher unter diesen Voraussetzungen der Gesellschaftsanteil steuerrechtlich nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO zuzurechnen. Er ist wirtschaftlicher Eigentümer, wenn er nach dem Inhalt der getroffenen Abrede alle mit der Beteiligung verbundenen wesentlichen Rechte (Vermögens- und Verwaltungsrechte) ausüben und im Konfliktfall effektiv durchsetzen kann (BFH-Urteil vom 6. Oktober 2009 IX R 14/08, BFHE 228, 10, BStBl II 2010, 460, zur Quotentreuhand).
2. Nach diesen Maßstäben sind die angefochtenen Urteile aufzuheben. Das FG hat einen unentgeltlichen "Erwerb" der Anteile durch den Kläger von seinem Vater angenommen, ohne § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG zu prüfen. Trotz des vom FG in Bezug genommenen Notarvertrags vom 16. März 2004 und der darin dem Vater als Nießbraucher eingeräumten unwiderruflichen Stimmrechtsvollmacht in sämtlichen Gesellschaftsangelegenheiten hat es die Anteile schon ab diesem Zeitpunkt dem Kläger zugerechnet und ist deshalb von einem unentgeltlichen Erwerb ausgegangen. Sofern aber das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Anteilen zunächst beim Vater verblieben ist, hat dieser die Anteile wirtschaftlich erst mit dem Verzicht auf den Nießbrauch im Jahr 2006 an den Kläger übertragen, und zwar entgeltlich gegen die Ablösezahlung als Gegenleistung.
Auch dann sind dem Kläger allerdings Anschaffungskosten in Höhe der nämlichen Ablösungszahlung gemäß § 255 Abs. 1 des Handelsgesetzbuches entstanden. Das führt aber nicht dazu, dass sich das Urteil deshalb aus anderen Gründen als richtig darstellte (§ 126 Abs. 4 FGO): Denn das FG hätte dann einen zu niedrigen Gewinn der Besteuerung unterworfen. Es hat nach § 17 Abs. 2 Satz 5 EStG den maßgeblichen Gewinn ‑‑neben dem Ausgleichsbetrag als nachträgliche Anschaffungskosten‑‑ um die Anschaffungskosten des Vaters gemindert. Diese Vorschrift ist aber nicht anzuwenden und der Gewinn damit nicht um die Anschaffungskosten des Rechtsvorgängers zu mindern, wenn die Gesellschaftsanteile erst im Jahr 2006 entgeltlich übertragen worden sind.
3. Die Sache ist nicht spruchreif. Zwar spricht der vom FG in Bezug genommene Vertragsinhalt dafür, dass das wirtschaftliche Eigentum an den übertragenen Anteilen beim Vater, dem Vorbehaltsnießbraucher, verblieben ist. Trotzdem kann der Senat nicht durchentscheiden. Da der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen und nicht lediglich das formal Erklärte oder formal-rechtlich Vereinbarte, sondern das wirtschaftlich Gewollte und das tatsächlich Bewirkte ausschlaggebend ist (BFH-Urteil vom 9. Oktober 2008 IX R 73/06, BFHE 223, 145, BStBl II 2009, 140), bedarf es grundsätzlich einer tatrichterlichen Würdigung (BFH-Urteil vom 22. Juli 2008 IX R 74/06, BFHE 222, 458, BStBl II 2009, 124), die der BFH als Revisionsinstanz nicht selbst durchführen kann. Dies gilt im Streitfall umso mehr, als die Beteiligten zum Aspekt des Verbleibs des wirtschaftlichen Eigentums bisher ‑‑abgesehen vom Gerichtsbescheid und der mündlichen Verhandlung‑‑ nicht gehört worden sind und auch noch nicht vorgetragen haben.
Ferner muss verfahrensrechtlich die Beteiligung des Vaters am Verfahren gemäß § 174 Abs. 5 AO erwogen werden. Hat der Vater mit dem Verzicht auf den Nießbrauch gegen den Ablösebetrag von 1.679.800 € sein wirtschaftliches Eigentum an den Anteilen entgeltlich übertragen, realisiert er einen Veräußerungsgewinn. Dies geschieht aufgrund eines Rechtsbehelfs des Klägers, mit dem dieser erreicht, dass der Ablösebetrag als Anschaffungskosten seiner veräußerten Gesellschaftsanteile den Gewinn mindert. Folglich kann das FA auch dem Vater gegenüber nachträglich die richtigen steuerlichen Folgerungen ziehen (§ 174 Abs. 4 AO), wenn er an dem Verfahren des Klägers beteiligt wird (§ 174 Abs. 5 AO).