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Urteil vom 22. September 2011, III R 73/08

Vermögenswirksame Leistungen und Belegschaftsaktien im Rahmen der Grenzbetragsprüfung

BFH III. Senat

EStG § 32 Abs 4 S 2, VermBG 5 § 2, VermBG 5 § 10, VermBG 5 § 11, EStG § 8 Abs 1

vorgehend FG Düsseldorf, 30. Juli 2008, Az: 14 K 1515/07 Kg

Leitsätze

1. NV: Bei der Grenzbetragsprüfung sind die Arbeitgeberbeiträge zu den vermögenswirksamen Leistungen nicht von den Einkünften und Bezügen des Kindes abzuziehen .

2. NV: Der geldwerte Vorteil beim Erwerb von Belegschaftsaktien ist bei der Ermittlung der Einkünfte des Kindes als Einnahme zu erfassen; er ist ungeachtet einer Sperrfrist für den Weiterverkauf mit Erlangung der Aktien zugeflossen .

Tatbestand

  1. I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog bis einschließlich Dezember 1996 Kindergeld für seine im April 1977 geborene Tochter, die von August 1996 bis Juni 1998 zur Bankkaufrau ausgebildet wurde. Ab Januar 1997 wurden die Zahlungen von der Beklagten und Revisionsbeklagten (Familienkasse) eingestellt.

  2. Mit Bescheid vom 16. September 2005 lehnte die Familienkasse den Antrag auf Kindergeld für die Tochter ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

  3. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, weil die Einkünfte und Bezüge der Tochter im Kalenderjahr 1997 und in den Monaten Januar bis Juni 1998 über dem Grenzbetrag gelegen hätten. Die Einkünfte ermittelte das FG für das Jahr 1997 unter Einbeziehung der vermögenswirksamen Leistungen des Arbeitgebers in Höhe von 936 DM in Höhe von 12.491 DM und für das erste Halbjahr 1998 in Höhe von 6.831,65 DM, wobei es vermögenswirksame Leistungen des Arbeitgebers in Höhe von 468 DM sowie einen geldwerten Vorteil beim Erwerb von Belegschaftsaktien in Höhe von 411,55 DM als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit erfasste.

  4. Zur Begründung seiner Revision trägt der Kläger vor, bei den aufgrund des Tarifvertrages vom Arbeitgeber gewährten vermögenswirksamen Leistungen für einen Sparvertrag im Sinne des Fünften Vermögensbildungsgesetzes (5. VermBG) handele es sich um eine zweckgebundene Zusatzleistung des Arbeitgebers; die Tochter habe weder über das "Ob" noch über das "Wie" entscheiden können. Dieser zusätzliche Einkommensteil sei gesperrt gewesen und habe daher nicht für die Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung zur Verfügung gestanden. Dem Zufluss der vermögenswirksamen Leistungen habe die Tochter sich auch nicht entziehen können, da ein Verzicht auf die vom Arbeitgeber geschuldete Leistung nach § 32 Abs. 4 Satz 9 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitzeitraum geltenden Fassung (EStG) ebenfalls kindergeldschädlich gewesen wäre.

  5. Vermögenswirksame Leistungen blieben bei der Bemessung des Unterhaltsanspruchs nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 13. April 2005 XII ZR 273/02 (BGHZ 162, 384, unter II.3. der Entscheidungsgründe) unberücksichtigt; dies sei auf die Einkommensermittlung des unterhaltsberechtigten Kindes zu übertragen.

  6. Der geldwerte Vorteil beim Erwerb der Belegschaftsaktien sei außer Betracht zu lassen, da er der Tochter keine Ausgaben erspart habe. Ihre Investitionsentscheidung sei durch die beschränkten eigenen Mittel geprägt gewesen, so dass sie im Falle eines geringeren Preisvorteils weniger Aktien erworben hätte. Die Höhe der für den Unterhalt und die Berufsausbildung zur Verfügung stehenden Mittel sei mithin durch den geldwerten Vorteil nicht beeinflusst worden. Ein Weiterverkauf der Aktien sei bis Ende Februar 2003 bzw. bis zum 31. Dezember 2003 gesperrt gewesen. Dies stehe zwar der Erfassung des geldwerten Vorteils als Arbeitslohn nicht entgegen, das Einkommen habe insoweit aber eben nicht für den Unterhalt verwendet werden können. Der Streitfall unterscheide sich daher von den Grundsätzen des Senatsbeschlusses vom 13. Februar 2008 III B 106/07 (BFH/NV 2008, 789), da der Betreffende dort während der Ausbildungszeit von dem Personalrabatt auf die Anschaffung eines Automobils profitiert habe.

  7. Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil, den Aufhebungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, für seine Tochter Kindergeld für den Zeitraum Januar 1997 bis Juni 1998 festzusetzen.

  8. Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2, § 63 Abs. 1 Satz 2 EStG wird in den Streitjahren 1997 und 1998 ein Kind zwischen der Vollendung des 18. und des 27. Lebensjahres für die Festsetzung von Kindergeld nur dann berücksichtigt, wenn es zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmte oder geeignete Einkünfte und Bezüge von nicht mehr als 12.000 DM im Kalenderjahr hat.

  3. a) Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (Senatsurteil vom 9. Juni 2011 III R 28/09, BFH/NV 2011, 1597).

  4. b) Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005  2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) ist § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG verfassungskonform dahin auszulegen, dass sich der Relativsatz "die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind" nicht nur auf Bezüge, sondern auch auf Einkünfte des Kindes bezieht. Nicht als Einkünfte anzusetzen sind deshalb Beträge, die ‑‑wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge‑‑ dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen und deshalb die Eltern finanziell nicht entlasten können (Senatsurteile vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530 ‑‑Beiträge eines beihilfeberechtigten Kindes für eine private Kranken- und Pflegeversicherung‑‑; vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 ‑‑Lohnsteuer, Kirchensteuer, Beiträge zu einer privaten Zusatzkrankenversicherung und einer privaten Rentenversicherung‑‑).

  5. c) Vermögenswirksame Leistungen sind Geldleistungen, die der Arbeitgeber ‑‑hier die ausbildende Bank‑‑ für den Arbeitnehmer anlegt (§ 2 Abs. 1  5. VermBG); sie sind arbeitsrechtlich Bestandteil des Lohns oder Gehalts, gehören gemäß § 2 Abs. 6 Satz 1  5. VermBG im Sinne der Sozialversicherung und des Dritten Buches Sozialgesetzbuch zum Arbeitsentgelt und steuerrechtlich zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG). Sie sind auch in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG) einzubeziehen. Dies gilt auch dann, wenn die vermögenswirksamen Leistungen ‑‑wie im Streitfall‑‑ zur Gänze vom Arbeitgeber zusätzlich zum ansonsten geschuldeten Lohn gezahlt werden (§ 10  5. VermBG) und der Arbeitnehmer keine eigenen Sparbeiträge leistet (§ 11  5. VermBG).

  6. aa) Ungeachtet einer sich aus dem 5. VermBG oder dem Anlagevertrag ergebenden Sperrfrist ist es nicht im Sinne des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 ausgeschlossen, dass die Arbeitgeberbeiträge für Unterhalt und Ausbildung des Kindes verwendet werden können und deshalb die Eltern finanziell entlasten.

  7. Für die Entscheidung, ob Einkünfte dem Kind von Gesetzes wegen nicht zur Verfügung stehen, ist maßgeblich, ob sich das Kind der Zahlung aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung nicht entziehen kann und nicht, ob die Beträge vom Arbeitgeber einzubehalten sind (Senatsurteil vom 17. Juni 2010 III R 59/09, BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121 ‑‑Beiträge zur VBL-Pflichtversicherung‑‑). Eine gesetzliche Verpflichtung zur vermögenswirksamen Anlage besteht nicht. Sie war für die Tochter des Klägers zwar unvermeidbar, da die Zahlungen vom Arbeitgeber als Bestandteil der arbeitsrechtlichen Vergütung geschuldet werden. Dass die Auszubildenden der Bank anstelle einer höheren Ausbildungsvergütung vermögenswirksame Leistungen erhalten, die von der Bank auf Grundlage des abgeschlossenen Sparvertrages abgeführt werden, beruht indes auf Tarifvereinbarungen, die im Interesse der Beschäftigten ausgehandelt wurden und die sich die Tochter zurechnen lassen muss.

  8. bb) Würden die Arbeitgeberbeiträge wegen der Sperrfrist nicht in die Bemessungsgröße für den Jahresgrenzbetrag einbezogen, so entstünde zudem eine mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung mit den Fällen, in denen Kinder keinen Arbeitgeberbeitrag, aber dafür eine entsprechend höhere Ausbildungsvergütung erhalten und aufgrund eines Anlagevertrages mit einer vereinbarten Sperrfrist monatlich denselben Betrag sparen, wie er für die Tochter des Klägers aufgrund des Arbeitgeberbeitrags abgeführt wird. Denn bei diesen Kindern könnte der Sparbeitrag im Rahmen der Prüfung, ob die Einkünfte und Bezüge den Jahresgrenzbetrag überschreiten, nicht abgezogen werden (vgl. Senatsurteile in BFHE 219, 112, BStBl II 2008, 738 ‑‑private Rentenversicherung‑‑; in BFHE 230, 142, BStBl II 2011, 121). Das vermögenswirksame Sparen unterscheidet sich insofern von anderen freiwilligen Aufwendungen nicht sozialversicherungspflichtiger Kinder für eine der gesetzlichen Sozialversicherung entsprechende existentiell notwendige Absicherung (z.B. Senatsurteil in BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530).

  9. cc) Die vom Arbeitgeber zusätzlich zu dem ansonsten geschuldeten Lohn erbrachten vermögenswirksamen Leistungen sind im Übrigen zwar insofern "eingefroren", als der Arbeitnehmer verpflichtet ist, bis zum Ablauf der Sperrfrist nicht über die Anlage zu verfügen (z.B. § 4 Abs. 2, § 8 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2  5. VermBG). Diese Verpflichtung entfällt aber unter besonderen Voraussetzungen wie z.B. einer Eheschließung, einer mehr als ein Jahr andauernden Arbeitslosigkeit oder einer Verwendung des Erlöses für die eigene Weiterbildung (z.B. § 4 Abs. 4, § 8 Abs. 3  5. VermBG). Durch die Sperrfrist wird zudem die Kündigung des Vertrages und die Verfügung über das Guthaben nicht ausgeschlossen; die vorzeitige Kündigung lässt lediglich den Anspruch auf Gewährung der Arbeitnehmer-Sparzulage entfallen (§ 13 Abs. 4, § 14 Abs. 5  5. VermBG). Daher ist es möglich, den Sparvertrag zu kündigen und die vermögenswirksamen Leistungen einschließlich der Arbeitgeberbeiträge für den Unterhalt und die Berufsausbildung des Einkünfte erzielenden Kindes zu verwenden.

  10. dd) Dem steht das BGH-Urteil in BGHZ 162, 384 nicht entgegen, wonach Zusatzleistungen des Arbeitgebers wegen ihrer Zweckgebundenheit für die Vermögensanlage bei der Unterhaltsbemessung anrechnungsfrei bleiben. Denn dies beruht auf besonderen Wertungen des Unterhaltsrechts, aufgrund derer z.B. auch aus überobligatorischer Tätigkeit erzielte oder die Lebensverhältnisse nicht prägende Einkünfte unberücksichtigt bleiben können, und die sich auf § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht übertragen lassen.

  11. d) Der geldwerte Vorteil beim Erwerb der Belegschaftsaktien ist bei der Ermittlung der Einkünfte der Tochter als Einnahme zu erfassen; er ist ungeachtet der Sperrfrist auch mit Erlangung der Aktien zugeflossen (BFH-Urteil vom 30. September 2008 VI R 67/05, BFHE 223, 98, BStBl II 2009, 282).

  12. Eine Kürzung der Einkünfte aufgrund des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 ist ungeachtet einer befristeten Veräußerungssperre auch insoweit ausgeschlossen, da die Tochter des Klägers nicht gesetzlich zum Erwerb der rabattierten Belegschaftsaktien verpflichtet war, sondern sich dazu freiwillig entschieden und damit ihr Vermögen erhöht hat. In dieser Vermögensbildung liegt ein Vorteil, der hinsichtlich der durch § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG gebotenen Prüfung ebenso wenig unberücksichtigt zu lassen ist wie ein vom Arbeitgeber eingeräumter Personalrabatt auf ein neues Automobil (Senatsbeschluss in BFH/NV 2008, 789). Anderenfalls entstünde eine mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbarende Ungleichbehandlung mit den Fällen, in denen Kinder keine ermäßigten Belegschaftsaktien erwerben können, aber einen entsprechend höheren Arbeitslohn (Ausbildungsvergütung) erhalten und damit dieselben Aktien erwerben wie die Tochter des Klägers.

  13. 2. Das FG ist demnach zutreffend davon ausgegangen, dass die Einkünfte der Tochter im Kalenderjahr 1997 den vollen Jahresgrenzbetrag und im ersten Halbjahr 1998 den anteiligen Grenzbetrag überschritten haben.

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