BFH VIII. Senat
KStG § 32a, AO § 163, KStG § 34 Abs 13b, KStG § 34 Abs 13c, AO § 182 Abs 1, GG Art 2 Abs 1, GG Art 20 Abs 3
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes , 23. November 2010, Az: 2 K 1060/08
Leitsätze
1. NV: Zu den Voraussetzungen einer abweichenden Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen .
2. NV: Der Körperschaftsteuerbescheid für die Gesellschaft und der Einkommensteuerbescheid für den Gesellschafter stehen nicht im Verhältnis Grundlagenbescheid - Folgebescheid. Das gilt auch nach Einführung des Halbeinkünfteverfahrens und Schaffung des § 32a KStG .
3. NV: § 32a KStG i.d.F. des JStG 2007 ist erstmals anzuwenden, wenn nach dem 18. Dezember 2006 ein (Körperschaft-)Steuerbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird .
4. NV: Damit hat der Gesetzgeber auch entschieden, dass § 32a KStG nicht anzuwenden ist in Fällen zuvor ‑‑vor dem 19. Dezember 2006‑‑ ergangener Körperschaftsteuerbescheide. Das Wortverständnis lässt keinen Raum für eine gegenläufige Auslegung (BFH-Beschluss vom 21.4.2009 VIII B 18/08, juris) .
5. NV: Dass der Gesetzgeber angesichts der stichtagsbezogenen Anwendung des § 32a KStG keine gesetzliche Übergangsregelung geschaffen hat, führt nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit .
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten um die abweichende Festsetzung der Einkommensteuer 2003 und 2004 im Zusammenhang mit der zeitlichen Anwendungsregelung zu § 32a des Körperschaftsteuergesetzes (KStG).
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte als Gesellschafter-Geschäftsführer der E-GmbH Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Anlässlich einer bei der E-GmbH durchgeführten und im Jahr 2006 abgeschlossenen Betriebsprüfung wurden verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) in Gestalt unangemessener Geschäftsführerbezüge seitens der E-GmbH an den Kläger festgestellt. Für 2003 beliefen sich diese auf … €, für 2004 auf … €. Die vGA wurden bei der E-GmbH mit Körperschaftsteuerbescheiden vom 2. August 2006 für beide Streitjahre steuerlich berücksichtigt.
Da die Einkommensteuerbescheide des Klägers für die Streitjahre bereits bestandskräftig waren, stellte der Kläger im Juni 2007 einen Antrag auf abweichende Festsetzung der Einkommensteuer 2003 und 2004 aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO). Der Kläger begehrte die (erstmalige) Hinzurechnung von vGA als Einkünfte aus Kapitalvermögen ‑‑in hälftiger Höhe‑‑ bei gleichzeitiger Kürzung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in voller Höhe. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 2. Juli 2007 ab und wies den dagegen gerichteten Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 15. Januar 2008 als unbegründet zurück.
Die dagegen erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2011, 407 veröffentlichten Urteil vom 24. November 2010 2 K 1060/08 ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung von Bundesrecht (§ 163 AO). Es liege eine sachliche Unbilligkeit i.S. des § 163 AO vor, weil der Gesetzgeber durch die lediglich stichtagsbezogene Anwendung des § 32a KStG für Bescheide, die vor dem 19. Dezember 2006 ergangen seien, die Doppelbesteuerung bei nachträglich festgestellten vGA nicht gemildert habe. Dass § 32a KStG nicht rückwirkend gelte und es ausschließe, die bestandskräftigen Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre zugunsten des Klägers zu ändern, begründe eine sachliche Unbilligkeit i.S. des § 163 AO.
Auf mündliche Verhandlung haben die Beteiligten übereinstimmend verzichtet.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Rechtsfehlerfrei hat das FG einen Anspruch des Klägers auf abweichende Festsetzung seiner Einkommensteuer für 2003 und 2004 aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 AO verneint.
1. Gemäß § 163 AO kommt eine abweichende Festsetzung von Steuern aus Billigkeitsgründen in Betracht, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Dabei handelt es sich um eine Ermessensentscheidung der Finanzbehörde, bei der Inhalt und Grenzen des Ermessens durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt werden und die gerichtlich lediglich daraufhin überprüft werden darf, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971 GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 10. Oktober 2001 XI R 52/00, BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201, m.w.N.; vgl. auch § 102 FGO). Stellt das Gericht eine Ermessensüberschreitung oder einen Ermessensfehler fest, ist es grundsätzlich auf die Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung beschränkt. Nur in den Fällen der sog. Ermessensreduzierung auf Null ist es befugt, seine Entscheidung an die Stelle der Ermessensentscheidung der Verwaltungsbehörde zu setzen (BFH-Urteil in BFHE 196, 572, BStBl II 2002, 201).
2. Rechtsfehlerfrei haben FG und FA die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden sachlichen Unbilligkeit verneint.
a) Sachlich unbillig ist die Erhebung einer Steuer vor allem dann, wenn sie im Einzelfall nach dem Zweck des zugrundeliegenden Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft (vgl. BFH-Urteile vom 26. Oktober 1994 X R 104/92, BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297; vom 21. Oktober 1987 X R 29/81, BFH/NV 1988, 546; vom 26. Mai 1994 IV R 51/93, BFHE 174, 482, BStBl II 1994, 833; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Rz 40 ff., jeweils m.w.N.). Die Kriterien hierfür sind im Regelungsbereich des § 163 AO die nämlichen wie im Rahmen des § 227 AO, weil sich diese beiden Erlassvorschriften im Wesentlichen nur in der Rechtsfolgeanordnung, nicht aber in den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen unterscheiden (vgl. BFH-Urteil in BFHE 176, 3, BStBl II 1995, 297, m.w.N.).
b) Der Umstand, dass die wegen der festgestellten vGA geänderten Körperschaftsteuerbescheide für die E-GmbH im August 2006 ergangen sind, d.h. vor dem Stichtag 18. Dezember 2006, führt nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzung des Klägers.
aa) Die Körperschaftsteuerbescheide für die E-GmbH und die Einkommensteuerbescheide für den Kläger stehen nicht im Verhältnis eines Grundlagenbescheides zum Folgebescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 20. März 2009 VIII B 170/08, BFHE 224, 439, m.w.N.; BFH-Urteil vom 27. Oktober 1992 VIII R 41/89, BFHE 170, 1, BStBl II 1993, 569; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 29. September 2005 IV A 4 -S 0350- 12/05, BStBl I 2005, 903). Das gilt auch nach Einführung des Halbeinkünfteverfahrens und Schaffung des § 32a KStG durch das Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007) vom 13. Dezember 2006 ‑‑BGBl I 2006, 2878‑‑ (vgl. Blümich/Rengers, § 32a KStG Rz 35; Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Kommentar zum KStG und EStG, § 32a KStG Rz 8 ff.; Harle/Kulemann in Ernst & Young, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen, Fach 3 A., Rz 261; nicht eindeutig Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, Freiburg 1978 ff., § 32a KStG Rz 1 und Rz 14; a.A. Briese, Fragwürdige Korrespondenz bei vGA und verdeckten Einlagen durch den Gesetzentwurf des Jahressteuergesetzes 2007, Betriebs-Berater 2006, 2110; diff. Trossen, Die Neuregelung des § 32a KStG zur Berücksichtigung von vGA und verdeckten Einlagen, Deutsches Steuerrecht 2006, 2295).
bb) Zwar ist § 32a KStG vom Gesetzgeber im Ergebnis ‑‑unter Durchbrechung des Trennungsprinzips‑‑ auf die Kongruenz der Besteuerung der Ebenen der Gesellschaft bzw. des Anteilseigners angelegt (Senatsbeschluss in BFH/NV 2009, 1029, m.w.N.). Der Kläger kann sich auf diese Regelung indes nicht berufen, denn in § 34 Abs. 13b KStG i.d.F. des JStG 2007 bzw. Abs. 13c in der ab dem 18. August 2007 geltenden Fassung vom 10. Oktober 2007 ist eindeutig bestimmt, dass § 32a KStG i.d.F. des Art. 4 JStG 2007 erstmals anzuwenden ist, wenn nach dem 18. Dezember 2006 ein (Körperschaft-)Steuerbescheid erlassen, aufgehoben oder geändert wird (vgl. Senatsbeschluss vom 21. April 2009 VIII B 18/08, juris). Nur wenn ein Körperschaftsteuerbescheid ergangen ist, kann die Änderungsvorschrift des § 32a KStG Anwendung finden (s. Frotscher in Frotscher/Maas, a.a.O., § 32a KStG Rz 5; Streck, KStG, 7. Aufl., § 32a Rz 2; Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 32a KStG Rz 13 bis 14), die eine korrespondierende Regelung (Erlass, Aufhebung oder Änderung) auf der Ebene des Gesellschafters ermöglicht, dem die zugrundeliegende vGA zuzurechnen ist.
Mit dieser Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs hat der Gesetzgeber zugleich unzweideutig entschieden, dass § 32a KStG nicht anzuwenden ist in Fällen zuvor ‑‑vor dem 19. Dezember 2006‑‑ ergangener Körperschaftsteuerbescheide. Das Wortverständnis lässt keinen Raum für eine gegenläufige Auslegung (Senatsbeschluss vom 21. April 2009 VIII B 18/08, juris). Ebenso wenig kommt eine gesetzesanaloge Anwendung des § 32a KStG für den Zeitraum vor dem 19. Dezember 2006 in Betracht, weil es schon an der hierfür erforderlichen Voraussetzung einer planwidrigen Gesetzeslücke fehlt. Erst mit § 32a KStG ist das Korrespondenzprinzip für vGA eingeführt worden; zuvor bestand keine rechtliche Bindung zwischen Einkommensteuerbescheid und Körperschaftsteuerbescheid, vielmehr musste bei Streitigkeiten über Grund und Höhe einer Gewinnausschüttung im jeweiligen Besteuerungsverfahren selbständig entschieden werden (BFH-Urteil vom 22. September 2004 III R 9/03, BFHE 207, 549, BStBl II 2005, 160, m.w.N.; vgl. ferner zur Entstehungsgeschichte Lang in Dötsch/Jost/Pung/Witt, a.a.O., § 32a KStG Rz 3 ff.; Becker/Kempf/Schwarz, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2008, 370).
cc) Dass der Gesetzgeber angesichts der stichtagsbezogenen Anwendung des § 32a KStG keine gesetzliche Übergangsregelung geschaffen hat, führt ebenfalls nicht zu einer sachlichen Unbilligkeit. Zwar muss der Gesetzgeber bei einer Änderung der bestehenden Rechtslage insbesondere in Fällen, in denen er bisher gewährte Berechtigungen oder steuerliche Verschonungen aufhebt, die Auswirkungen derartiger Maßnahmen durch angemessene Übergangsregelungen abmildern oder ausgleichen, wenn sie einen Eingriff in schutzwürdige Vertrauenstatbestände beinhalten. Davon ist im Streitfall indes nicht auszugehen. Mit der Einführung des § 32a KStG hat der Gesetzgeber nicht zu Lasten des Klägers in dessen schutzwürdige Belange oder Dispositionen eingegriffen, sondern lediglich für die Zukunft die Besteuerung auf der Ebene des Gesellschafters mit derjenigen auf der Ebene der Kapitalgesellschaft verknüpft.
Im Übrigen sind normative Stichtagsregelungen als solche grundsätzlich zulässig. Deren verfassungsrechtliche Prüfung muss sich darauf beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die gefundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 8. Dezember 1976 1 BvR 810/70, 1 BvR 57/73, 1 BvR 147/76, BVerfGE 44, 1).
Nach den vorstehenden Maßstäben ist die stichtagsbezogene Anwendung des § 32a KStG verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Festlegung des Stichtags ist nicht willkürlich erfolgt, sondern steht ‑‑wie vom FG zutreffend erkannt‑‑ im Zusammenhang mit der Verabschiedung des JStG 2007 am 13. Dezember 2006 und dessen Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt vom 18. Dezember 2006. Der gewählte Stichtag deckt sich mit dem Tag der Veröffentlichung der Gesetzesänderung. Zu Recht geht das FG auch davon aus, dass es nicht Aufgabe der Verwaltung ist, durch Billigkeitsmaßnahmen einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der Gesetzgeber durch die stichtagsbezogene Anwendung des § 32a KStG eine Doppelbesteuerung auf der Ebene der Kapitalgesellschaft und derjenigen des Anteilseigners aufgrund einer nachträglich festgestellten vGA für die Vergangenheit nicht beseitigt hat. Die starre Stichtagsregelung ist auch deshalb sachlich gerechtfertigt, weil sich die mit § 32a KStG eingeführte Änderungsmöglichkeit auf der Ebene des Anteilseigners auch zu dessen Lasten auswirken kann. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Problematik gesehen und bewusst stichtagsbezogen geregelt hat.
dd) Ob es rechtspolitisch sinnvoll und zweckmäßig gewesen wäre, wenn die der Schließung von Besteuerungslücken und der Verhinderung von Überbesteuerung dienende gesetzliche Regelung in § 32a KStG (vgl. BRDrucks 622/06 -Beschluss-, S. 118 ff., 122; Becker/Kempf/Schwarz, DB 2008, 370) bereits früher eingeführt worden wäre, steht hier nicht zur Beurteilung an. Jedenfalls sind die Voraussetzungen einer ‑‑hier allein in Betracht kommenden‑‑ abweichenden Steuerfestsetzung wegen sachlicher Unbilligkeit nicht gegeben.