BFH III. Senat
FGO § 56 Abs 1, FGO § 116 Abs 3 S 1 Nr 2, FGO § 155, ZPO § 85 Abs 2
vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht , 29. August 2010, Az: 3 K 72/10
Leitsätze
NV: Zur ordnungsgemäßen Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei gehört bei Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax die Weisung, den Sendebericht daraufhin zu überprüfen, ob die Zahl der übermittelten Seiten mit der Seitenzahl des Originalschriftsatzes übereinstimmt .
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog für ihre 1986 geborene Tochter (T) Kindergeld. T befand sich von November 2006 bis Januar 2009 bei einem Unternehmen der …branche (GmbH) in einem Praktikanten- und Arbeitsverhältnis. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 23. Februar 2010 die Festsetzung von Kindergeld ab April 2006 auf und forderte Kindergeld für den Zeitraum April 2006 bis Oktober 2009 in Höhe von 6.822 € zurück; aufgrund einer Praktikumsbescheinigung wurde mit Änderungsbescheid vom 26. Februar 2010 lediglich für November 2006 Kindergeld festgesetzt.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah nach Anhörung der T sowie des GmbH-Geschäftsführers als Zeugen die Bemühungen der T um einen Ausbildungsplatz als nicht hinreichend belegt an.
Gegen das dem Prozessbevollmächtigten am 3. September 2010 zugestellte Urteil richtet sich die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision. Innerhalb der verlängerten Begründungsfrist ging mit Faxschreiben vom 3. Dezember 2010 die ‑‑nicht mit einer Unterschrift versehene‑‑ Seite 1 der Beschwerdebegründung ein; der vollständige Schriftsatz folgte auf dem Postwege am 6. Dezember 2010.
Mit ihrem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist beruft sich die Klägerin ‑‑unter Beifügen eidesstattlicher Versicherungen der beim Prozessbevollmächtigten beschäftigten Fachangestellten sowie einer Praktikantin‑‑ auf eine unbemerkte Fehlfunktion des Sendegerätes.
Zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Verfahrensmängel geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig und durch Beschluss zu verwerfen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat die Frist zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde versäumt.
1. Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist nach § 116 Abs. 2 Satz 1 FGO innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils beim Bundesfinanzhof (BFH) einzulegen. Sie ist nach § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden (§ 116 Abs. 3 Satz 4 FGO).
2. Im Streitfall ist die verlängerte Begründungsfrist für das am 3. September 2010 zugestellte FG-Urteil nach § 54 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) sowie § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 3. Dezember 2010 abgelaufen. Die vollständige, mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten versehene Beschwerdebegründung ist erst am 6. Dezember 2010 und somit nach Ablauf der Begründungsfrist beim BFH eingegangen.
3. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Klägerin Wiedereinsetzung in die versäumte Begründungsfrist bereits deshalb nicht gewährt werden kann, weil sie den betreffenden Sendebericht vom 3. Dezember 2010 nicht vorgelegt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 18. November 2005 VII B 208/05, BFH/NV 2006, 354). Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand liegen jedenfalls nicht vor.
a) Nach § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Verschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn die gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen wird, wobei bereits einfache Fahrlässigkeit die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt (ständige Rechtsprechung, z.B. Senatsbeschluss vom 18. Januar 2007 III R 65/05, BFH/NV 2007, 945). Das Verschulden ihres Bevollmächtigten, das auch in einem Organisationsmangel liegen kann (vgl. BFH-Beschluss vom 19. März 1996 VII S 17/95, BFH/NV 1996, 818), muss sich die Klägerin zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
b) Ein solches zurechenbares Organisationsverschulden des Bevollmächtigten ist vorliegend gegeben. Denn zur ordnungsgemäßen Organisation einer Rechtsanwaltskanzlei gehört bei Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax die Weisung, den Sendebericht daraufhin zu überprüfen, ob die Zahl der übermittelten Seiten mit der Seitenzahl des Originalschriftsatzes übereinstimmt (vgl. BFH-Urteil vom 8. Januar 2003 VII R 13/02, BFH/NV 2003, 639; Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 1996 VII ZB 13/96, Neue Juristische Wochenschrift 1996, 2513).
Eine solche Weisung bestand in der Kanzlei des Bevollmächtigten offensichtlich nicht. Denn die Fachangestellte führt in ihrer eidesstattlichen Versicherung aus, eine derartige fehlerhafte Faxversendung sei ihr bisher nicht unterlaufen, so dass eine gezielte Veranlassung zur Prüfung der gesandten Seitenzahl nicht vorgelegen habe. Daraus kann geschlossen werden, dass im Streitfall eine Prüfung der gesandten Seitenzahl nicht stattgefunden hat. Dass die ‑‑ansonsten zuverlässige‑‑ Fachangestellte hierbei weisungswidrig gehandelt habe, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.