BFH VIII. Senat
AO § 8, AO § 19 Abs 1, AO § 127, FGO § 115 Abs 2 Nr 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 126 Abs 4, FGO § 81 Abs 1
vorgehend FG Köln, 17. Oktober 2010, Az: 5 K 696/09
Leitsätze
1. NV: Die Frage nach den tatsächlichen Voraussetzungen des Wohnsitzes des Steuerpflichtigen im Hinblick auf die örtliche (Un-)Zuständigkeit ist im Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, wenn kein Anspruch auf Aufhebung des Steuerbescheides aus anderen Gründen besteht (§ 127 AO); dies gilt auch für Schätzungsbescheide .
2. NV: Die Revision ist nicht zuzulassen aus Gründen, die nur in Bezug auf tatsächlich oder rechtlich nicht entscheidungserhebliche Umstände geltend gemacht werden .
Tatbestand
I. Mit seiner Beschwerde macht der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend, das angefochtene Urteil gehe rechtsfehlerhaft von der Annahme aus, der Kläger habe im Streitjahr einen Wohnsitz im Bezirk des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt ‑‑FA‑‑) gehabt, während er, der Kläger, tatsächlich bei seiner Lebensgefährtin im Bezirk eines anderen Finanzamts (desselben Bundeslandes) gewohnt habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) liegen nicht vor.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
Die vom Kläger aufgeworfene Frage zu den tatsächlichen Voraussetzungen eines Wohnsitzes i.S. von § 8 der Abgabenordnung (AO) ist im Streitfall nicht klärungsfähig, da es in einem Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich auf sie ankäme. Nach § 127 AO kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über ‑‑wie hier geltend gemacht‑‑ die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist. Diese Vorschrift ist auch auf Schätzungsbescheide anzuwenden (s. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 11. Februar 1999 V R 40/98, BFHE 188, 10, BStBl II 1999, 382; vom 19. Februar 1987 IV R 143/84, BFHE 149, 121, BStBl II 1987, 412; vgl. ferner BFH-Urteil vom 17. September 1997 II R 15/95, BFH/NV 1998, 416). Selbst wenn man mit dem Kläger davon ausgehen wollte, dass das FA für die angefochtene, auf geschätzten Besteuerungsgrundlagen beruhende Einkommensteuerfestsetzung örtlich nicht zuständig war, käme eine Aufhebung des Einkommensteuerbescheids aus diesem Grunde nicht in Betracht.
Auch auf die Frage, welches Finanzamt ggf. nach § 19 Abs. 1 Satz 2 AO bei mehreren Wohnsitzen örtlich zuständig wäre, kommt es deshalb im Streitfall nicht an.
b) Wegen § 127 AO ist die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage zum Verständnis des Wohnsitzbegriffs in § 8 AO im Streitfall auch nicht geeignet, der Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO) zu dienen. Auch nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO ist keine Zulassung der Revision geboten, denn die vom Kläger behauptete Divergenz des angefochtenen Urteils zur Rechtsprechung des BFH bei Auslegung des Wohnsitzbegriffs in § 8 AO wäre ‑‑wiederum im Hinblick auf § 127 AO‑‑ in einem Revisionsverfahren im Ergebnis nicht entscheidungserheblich.
c) Schließlich bleibt es unbeachtlich, dass das Finanzgericht (FG) einen angebotenen Zeugenbeweis nicht erhoben hat, mit dem der Kläger nachweisen wollte, im Streitjahr keinen Wohnsitz im Zuständigkeitsbezirk des FA gehabt zu haben. Auch wenn man ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 96) insoweit einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO erkennen sollte, ist die Abweisung der Klage jedenfalls im Ergebnis richtig und die Beschwerde in analoger Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO zurückzuweisen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 98, m.w.N.).