BFH X. Senat
EStG § 22 Nr 1 S 3 Buchst a DBuchst aa, EStG § 11 Abs 1, EStG § 52 Abs 1, GG Art 3 Abs 1, GG Art 20 Abs 3
vorgehend FG Münster, 21. April 2010, Az: 8 K 783/07 E
Leitsätze
NV: Eine Rentennachzahlung der gesetzlichen Rentenversicherung, die dem Steuerpflichtigen nach dem 31.12.2004 zufließt, wird mit dem Besteuerungsanteil gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG besteuert, auch wenn sie sich auf einen Zeitraum bezieht, der vor dem Inkrafttreten des AltEinkG bezieht.
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erzielte im Streitjahr Einkünfte aus Leibrenten, aus selbständiger Arbeit als Rentenberater sowie aus Gewerbebetrieb. Für 2005 erklärte er Einnahmen aus Leibrenten in Höhe von insgesamt 42.729 €. Dieser Betrag setzt sich aus laufenden Rentenzahlungen des Jahres 2005 und aus einer im Februar 2005 zugeflossenen Rentennachzahlung für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2003 in Höhe von 18.464 € zusammen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) besteuerte sowohl die laufenden Rentenzahlungen als auch die Rentennachzahlung mit dem Besteuerungsanteil von 50 % gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Alterseinkünftegesetzes (AltEinkG) vom 5. Juli 2004 (BGBl I 2004, 1427).
Hiergegen wandte sich der Kläger vor allem im Hinblick auf die Rentennachzahlung mit der Begründung, der Gesetzgeber habe es versäumt, bei der Umsetzung der Rentenbesteuerung eine Übergangsvorschrift vorzusehen, nach der Renten, die aus der Zeit vor 2005 stammten, noch mit dem Ertragsanteil des § 22 EStG a.F. besteuert werden könnten. Der Systemwechsel durch das AltEinkG führe zu ungerechtfertigten Verwerfungen. Hinsichtlich der Rentennachzahlung komme es zu einer ungleichen Besteuerung, da die Rente, wäre sie rechtzeitig in den Jahren 2003 oder 2004 gezahlt worden, nur mit 32 % zu besteuern gewesen wäre.
Demgegenüber vertrat das FA die Auffassung, der der Besteuerung unterliegende Anteil der Rente richte sich nach dem Jahr des Rentenbeginns. Für Renten, die in den Jahren vor 2005 begonnen hätten, sei die Besteuerung ab dem Veranlagungszeitraum 2005 mit 50 % vorzunehmen. Maßgeblich sei gemäß § 11 EStG der Zufluss der Einnahmen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1685 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab.
Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und trägt ‑‑angelehnt an die Entscheidungsgründe des Urteils des Niedersächsischen FG vom 18. November 2009 2 K 309/07 (EFG 2010, 719)‑‑ vor, der Besteuerungsanteil des in Rede stehenden Nachzahlungsbetrages sei nicht nach den Vorschriften des AltEinkG zu bemessen. Zwar bestimme § 52 Abs. 1 EStG, dass "diese Fassung des Gesetzes" erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden sei, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt sei. § 52 Abs. 1 EStG sei aber in seinem Anwendungsbereich im Wege einer teleologischen Auslegung dergestalt zu reduzieren, dass Nachzahlungen einer Leibrente für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2004, die erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005 ausgezahlt würden, jedenfalls dann noch nach der bisherigen Systematik der Rentenbesteuerung zu unterwerfen seien, wenn der Steuerpflichtige die Zahlung der Rente so rechtzeitig beantragt habe, dass eine Zahlung bis zum 31. Dezember 2004 hätte erfolgen müssen.
Die Auffassung, nach der auch für Rentennachzahlungen der Zuflusszeitpunkt und damit das in diesem Zeitpunkt geltende Recht relevant sei, lasse unberücksichtigt, dass als "Jahr des Rentenbeginns" auch das Jahr verstanden werden könne, für das die Rente geleistet werde. Der Wortlaut des Gesetzes sei nicht eindeutig, zumal selbst das Bundesministerium der Finanzen (BMF) unter Beginn der Rente grundsätzlich den Zeitpunkt verstehe, für den die Rente ‑‑ggf. nach rückwirkender Zubilligung‑‑ tatsächlich bewilligt werde (BMF-Schreiben vom 24. Februar 2005, BStBl I 2005, 429, Tz. 103; ebenso im BMF-Schreiben vom 13. September 2010, BStBl I 2010, 681, Tz. 159). Es liege eine planwidrige Lücke vor, da der Gesetzgeber offenbar Sachverhalte nicht bedacht habe, in denen es unverschuldet zu einer Rentennachzahlung erst nach Inkrafttreten des AltEinkG gekommen sei. Zwar ergebe sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Regelungsgehalt des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG sämtliche Rentenarten umfasse. Auch enthalte die Neuregelung keinen Verweis auf § 55 Abs. 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung. Den Gesetzesmaterialien seien aber keine eindeutigen Hinweise dahingehend zu entnehmen, dass die Neuregelung ebenfalls bei Rentennachzahlungen gelten solle. Der Gesetzgeber sei offensichtlich bestrebt gewesen, aus Vereinfachungsgründen auf eine differenzierte Behandlung von Leibrenten zu verzichten, da diese eine erhebliche Komplizierung des Besteuerungsverfahrens nach sich gezogen hätte. Eine derartige Komplizierung sei bei der steuerlichen Beurteilung von Rentennachzahlungen nicht zu befürchten, da eine zeitliche Zuordnung ohne Weiteres möglich sei.
Maßgebliche Grenze der Auslegung sei der mögliche Wortsinn, der hier eine Einschränkung erfordere. Es widerspräche sowohl der Systematik als auch dem Sinn und Zweck der bisherigen Rentenbesteuerung sowie dem Willkürverbot, Rentennachzahlungen übergangslos und in sämtlichen Sachverhaltsgestaltungen nach dem ab 2005 geltenden Recht zu besteuern. Der jeweilige Rentenempfänger, der rechtzeitig die Zahlung einer Rente beantragt habe, sei in seinem Vertrauen schutzwürdig, dass die Besteuerung der Rente in der Höhe erfolge, in der sie bei einer dem gewöhnlichen Verlauf entsprechenden, zeitlich unverzögerten Zahlung vorzunehmen wäre. Es liege zudem eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor, da es ‑‑wie im Streitfall‑‑ vom Zufall abhänge, ob ein Steuerpflichtiger eine Rente ohne Schwierigkeiten bis zum 31. Dezember 2004 oder unverschuldet erst später erhalte. Von derartigen zufälligen Unwägbarkeiten dürfe die Besteuerung nicht beeinflusst werden.
§ 11 EStG könne an diesem Ergebnis nichts ändern, da diese Vorschrift lediglich den Zeitpunkt bestimme, zu dem die Nachzahlung zu erfassen sei; sie regele dagegen nicht, in welchem Umfang die Rente dem Grunde nach zu besteuern sei.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2005 vom 14. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. April 2007 zu ändern und hierbei die Rentennachzahlung aus dem Jahr 2003 in Höhe von 18.464 € lediglich mit einem Ertragsanteil von 32 % in die steuerliche Bemessungsgrundlage einzubeziehen.
Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
Die Besteuerung gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG gilt auch für die Rentenzahlungen, die im Jahr 2005 für das Jahr 2003 nachgezahlt wurden (unten 1.). Die Neufassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG durch das AltEinkG ist gemäß § 52 Abs. 1 EStG auch auf Nachzahlungen früherer Jahre anwendbar (unten 2.). Es bedarf keiner teleologischen Reduktion dieser Vorschrift (unten 3.). Die Neuregelung des AltEinkG ist auch im Hinblick auf die Nachzahlungen verfassungsgemäß und verstößt insbesondere nicht gegen das Verbot der unzulässigen Rückwirkung (unten 4.).
1. Die Rentennachzahlungen, die der Kläger im Jahr 2005 erhalten hat, stammen aus der gesetzlichen Rentenversicherung und sind damit Leibrenten i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG. Es besteht kein Anlass anzunehmen, dass Nachzahlungen nicht von dieser Vorschrift umfasst sein sollen. So sind auch die Konsequenzen von Nachzahlungen für die Berechnung des der Besteuerung zugrunde zu legenden Besteuerungsanteils gesetzlich geregelt: Führen Rentennachzahlungen für vergangene Jahre zu einer Erhöhung des Jahresbetrages der Rente, ist nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 6 EStG eine Neuberechnung des steuerfreien Teils der Rente notwendig (siehe auch Risthaus in Herrmann/Heuer/ Raupach ‑‑HHR‑‑, § 22 EStG Rz 288).
Nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Satz 3 EStG ist der der Besteuerung unterliegende Anteil der Rente nach dem Jahr des Rentenbeginns und dem in diesem Jahr maßgebenden Prozentsatz aus der nachstehenden Tabelle zu entnehmen. Der Besteuerungsanteil für alle Renten, bei denen das Jahr des Rentenbeginns vor 2006 liegt, beträgt danach 50 %.
Dieser Prozentsatz gilt auch für die im Jahr 2005 nachgezahlte Rente des Klägers für das Jahr 2003, da deren Beginn im Jahr 2003 und damit vor 2006 liegt. Gemäß § 40 Abs. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch (SGB I) entstehen Ansprüche auf Sozialleistungen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Eine Rente wird grundsätzlich nach § 99 des Sozialgesetzbuches Sechstes Buch (SGB VI) von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, sofern die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wurde, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt waren. Der Zeitpunkt des erstmaligen Zuflusses einer Rentenzahlung ist demgegenüber für den "Rentenbeginn" i.S. des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG irrelevant (so auch Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 30. September 1980 VIII R 13/79, BFHE 132, 26, BStBl II 1981, 155, zur bis 2004 geltenden Rechtslage).
2. Die Neufassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG ist trotz des rechtlich im Jahr 2003 liegenden Rentenbeginns auf die im Jahr 2005 nachgezahlten Renten des Klägers anwendbar. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des AltEinkG bestimmt, dass "diese Fassung des Gesetzes erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden" ist, soweit in den folgenden Absätzen nichts anderes bestimmt ist.
a) Eine anderweitige Regelung für den zeitlichen Anwendungsbereich der Neuregelung für gesetzliche Altersrenten ist weder in § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG noch in den folgenden Absätzen enthalten.
b) Die Einkommensteuer wird gemäß § 25 Abs. 1 EStG nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat. Die Einkünfte aus einer Leibrente i.S. von § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ergeben sich nach § 2 Abs. 1 Nr. 7, Abs. 2 Nr. 2 EStG aus dem Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Nach § 2 Abs. 7 Satz 2 EStG i.V.m. § 25 EStG sind die Grundlagen für die Einkommensbesteuerung jeweils für ein Kalenderjahr (Veranlagungszeitraum) nach dem Zufluss und Abfluss von Gütern und nicht ‑‑wie die Gewinneinkünfte i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 EStG‑‑ nach der Veränderung des Vermögensbestandes zu ermitteln.
Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 EStG sind Einnahmen und Ausgaben nach dem kalenderjahrbezogenen Zu- und Abflussprinzip zu erfassen, sofern nicht eine abweichende gesetzliche Ausnahmeregelung zur Anwendung kommt. Da Rentennachzahlungen keine regelmäßig wiederkehrenden Einnahmen sind, die einem Steuerpflichtigen kurze Zeit vor Beginn oder kurze Zeit nach Beendigung des Kalenderjahres zugeflossen sind, kann die Ausnahmeregelung des § 11 Abs. 1 Satz 2 EStG nicht greifen, wonach diese Zahlungen als in dem Kalenderjahr bezogen gelten, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Damit sind die Rentennachzahlungen des Klägers für das Jahr 2003 der Neuregelung des AltEinkG zu unterwerfen.
3. § 52 Abs. 1 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 2005 geltenden Fassung ist ‑‑im Gegensatz zur Auffassung des Klägers und des Niedersächsischen FG‑‑ nicht im Wege einer teleologischen Auslegung so zu reduzieren, dass Nachzahlungen von Renten, die bis zum 31. Dezember 2004 entstanden und erst ab dem Veranlagungszeitraum 2005 ausgezahlt worden sind, nach der bisherigen Rechtslage zu besteuern sind.
Eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduzierung setzt eine verdeckte Regelungslücke voraus. Diese ist gegeben, wenn das Gesetz zwar eine Regelung enthält, diese aber ihrem Zweck nach auf eine bestimmte Gruppe von Fällen nicht passt, weil sie deren für die Wertung relevante Besonderheiten außer Acht lässt (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 4 AO Rz 352). Eine solche Regelungslücke ist nicht erkennbar.
a) Die relevante Besonderheit der steuerlichen Situation des Klägers liegt darin, dass er Rentennachzahlungen aufgrund des Zuflussprinzips in einem Veranlagungszeitraum zu versteuern hat, dem sie wirtschaftlich nicht zuzuordnen sind.
aa) Dem Gesetzgeber war bewusst, dass das Zuflussprinzip in Einzelfällen nicht immer zu einer interessengerechten Zuordnung führt. So hat er in § 52 Abs. 1 Satz 2 EStG für die Situation des laufenden Arbeitslohns sowie in § 11 Abs. 1 Nr. 2 EStG für regelmäßig wiederkehrende Einnahmen, die kurz vor oder nach dem Stichtag geleistet werden, Sonderregelungen geschaffen, die vom Zuflussprinzip abweichen. Das Fehlen einer entsprechenden Ausnahmeregelung für Rentennachzahlungen deutet darauf hin, dass der Gesetzgeber eine solche nicht für notwendig hielt.
bb) Sinn und Zweck des § 52 Abs. 1 EStG erfordern nicht dessen teleologische Reduktion im Falle nachgezahlter Renten. Durch § 52 Abs. 1 EStG wird der Systemwechsel der Rentenbesteuerung zum 1. Januar 2005 zeitlich festgeschrieben. Ab diesem Zeitpunkt, der im Übrigen durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 6. März 2002 2 BvL 17/99 (BVerfGE 105, 73) vorgegeben war, wollte der Gesetzgeber mit dem AltEinkG eine "steuerrechtssystematisch schlüssige und folgerichtige Behandlung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen" erreichen (vgl. BTDrucks 15/2150, S. 1 und 22). Der Stufenplan zur Verwirklichung der nachgelagerten Besteuerung der Altersrentenbezüge sah vor, dass gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG Leibrenten und andere Leistungen aus der sog. Basisversorgung, die im Jahr 2005 beginnen bzw. bereits in zuvor liegenden Jahren begonnen haben, zu 50 % in die Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer eingehen. Der steuerbare Anteil der Rente für jeden neu hinzukommenden Rentnerjahrgang (Kohorte) steigt kontinuierlich, so dass erstmalig für die "Rentnerkohorte" des Jahres 2040 die Leibrente in voller Höhe steuerpflichtig sein wird. Der sich ergebende steuerfrei bleibende Teil der Jahresbruttorente (d.h. der Unterschiedsbetrag zwischen dem Jahresbetrag der Rente und dem der Besteuerung unterliegenden Anteil der Rente) wird für jeden Steuerpflichtigen auf die Dauer seines Rentenbezugs festgeschrieben (§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa Sätze 4 und 5 EStG).
Der Gesetzgeber hat damit im Bereich der Übergangsregelung den Anknüpfungspunkt zur Ermittlung des zu versteuernden Rentenanteils geändert. Er macht die Besteuerung nicht mehr von dem Lebensalter des Rentenberechtigten bei Beginn der Rente abhängig, sondern lediglich vom Jahr des Rentenbeginns. Dies gilt auch für Rentennachzahlungen, deren Besteuerungsanteil damit systemgerecht und ohne Probleme ermittelt werden kann.
Mit § 52 Abs. 1 EStG beabsichtigte der Gesetzgeber die vollständige Umstellung der Rentenbesteuerung auf das neue System. Konsequenterweise wurden alle ab dem Jahr 2005 zugeflossenen Rentenbezüge unterschiedslos der Übergangsregelung unterworfen und entsprechend dem Rentenbeginn einer Kohorte zugeordnet. Von dieser Übergangsregelung sind dann ebenfalls Rentennachzahlungen für frühere Jahre betroffen (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 11. März 2009 7 K 3215/08 E, EFG 2009, 1381; Oberfinanzdirektion ‑‑OFD‑‑ Frankfurt/M., Verfügung vom 4. August 2006 - S 2255 A - 23 - St 218, Der Betrieb ‑‑DB‑‑ 2006, 1925; Fischer in Kirchhof, EStG, 10. Aufl., § 22 Rz 37; Lüsch in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 22 Rz 108; a.A. Niedersächsisches FG in EFG 2010, 719).
b) Dass nach dem ‑‑nicht näher präzisierten‑‑ Vorbringen des Klägers die Rentennachzahlungen für das Jahr 2003 erst verspätet ausgezahlt worden sind, erfordert nicht, ein Grundprinzip der Einkommensbesteuerung, nämlich die Besteuerung nur des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts, gesetzlich einzuschränken. Die Finanzverwaltung hat zwar bis zur Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG die Auffassung vertreten, bei Nachzahlungen von Leibrenten sei in Fällen einer zwischenzeitlichen Änderung der gesetzlichen Ertragsanteile nicht der im Veranlagungszeitraum des Zuflusses geltende Ertragsanteil maßgeblich, sondern derjenige, der für diejenigen Veranlagungszeiträume gegolten habe, für die die Nachzahlungen geleistet worden seien (vgl. dazu die Erlasse des Hessischen Finanzministeriums vom 5. September 1997 und vom 26. März 1998 S 2255 A - 40 - II B 1 a, juris und die Verfügung der OFD Frankfurt vom 15. Mai 1998 S 2255 A - 23 - St II 22, ESt-Kartei § 22 Karte 13). Nach Inkrafttreten des AltEinkG ist die Finanzverwaltung demgegenüber der Auffassung, die Besteuerung der Rentennachzahlungen richte sich nach der im Zuflusszeitpunkt geltenden Fassung des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a EStG (OFD Frankfurt in DB 2006, 1925).
4. Die Neuregelung der Rentenbesteuerung durch das AltEinkG ist ‑‑auch in Bezug auf die Rentennachzahlungen früherer Jahre‑‑ verfassungsgemäß. Die Besteuerung der Rentennachzahlungen des Jahres 2003 gemäß § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG verstößt insbesondere nicht gegen das Rückwirkungsverbot.
a) Bereits in den Urteilen vom 19. Januar 2010 X R 53/08 (BFHE 228, 223) sowie vom 4. Februar 2010 X R 52/08 (BFH/NV 2010, 1253) und X R 58/08 (BFHE 228, 326) hat der erkennende Senat entschieden, dass die geänderte Besteuerung der Renteneinkünfte aufgrund des Systems der nachgelagerten Besteuerung unter Aufgabe des Systems der Ertragsanteilsbesteuerung ab dem Jahr 2005 nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes verstößt.
Die Abwägung zwischen dem Ausmaß des durch die Gesetzesänderung verursachten Vertrauensschadens und der Beeinträchtigung der geschützten Grundrechtspositionen des Einzelnen (insbesondere Art. 2 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes) einerseits und der Bedeutung des gesetzgeberischen Anliegens für das Gemeinwohl andererseits führe zu dem Ergebnis, dass die verfassungsrechtlich geforderte Beseitigung der steuerlichen Ungleichbehandlung der Alterseinkünfte ‑‑bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Finanzierbarkeit der Neuregelung für die öffentlichen Haushalte‑‑ das Interesse des Steuerpflichtigen am Fortbestand der Ertragsanteilsbesteuerung seiner Renteneinkünfte überwiege. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in den Senatsurteilen jeweils unter B.II.2. Bezug genommen.
b) In Bezug auf die Besteuerung der nachgezahlten Renten des Klägers ist ‑‑ebenso wie auch bei laufenden Rentenzahlungen‑‑ von einer unechten Rückwirkung oder tatbestandlichen Rückanknüpfung auszugehen, da belastende Rechtsfolgen der Norm erst nach ihrer Verkündung eingetreten sind, hier die insoweit nachteilige Besteuerung mit dem Besteuerungsanteil des § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG ab dem 1. Januar 2005. Tatbestandlich sind sie aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt, den bereits im Jahr 2003 entstandenen Rentenansprüchen ausgelöst worden.
aa) Eine unechte Rückwirkung ist nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht grundsätzlich unzulässig. Die Gewährung vollständigen Schutzes zu Gunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde ansonsten den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen erhöhten verfassungsrechtlichen Schutz.
Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (so die jüngsten BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BFH/NV 2010, 1976; 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BFH/NV 2010, 1959 und 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06, BFH/NV 2010, 1968, jeweils m.w.N.).
bb) Diese verfassungsrechtlichen Grundsätze zugrunde gelegt, ist bei der Gesamtabwägung der Interessen auf Seiten des Klägers zu berücksichtigen, dass die gemäß §§ 33 ff., 99 SGB VI i.V.m. § 40 SGB I bereits im Jahr 2003 entstandene Rente eine unter Geltung des alten Einkommensteuerrechts erworbene Rechtsposition darstellt. Es handelt sich damit nicht mehr lediglich um eine vertrauensrechtlich nicht besonders geschützte Erwartung, z.B. von künftigen Renteneinnahmen. Vielmehr ist bereits ein "Vermögensbestand im grundrechtlich geschützten Verfügungsbereich" konkret vorhanden (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2010, 1959, unter C.II.2.b aa). Diese konkret verfestigte Vermögensposition wird durch die Anwendung der Neuregelung der Rentenbesteuerung erheblich entwertet, da die Rentenzahlungen für 2003 nicht mehr mit einem Ertragsanteil von 32 %, sondern einem Besteuerungsanteil von 50 % besteuert werden. Die nachträgliche Entwertung der bereits im Jahr 2003 verfestigten Rechtsposition des Klägers durch das AltEinkG führt zu einem erhöhten Rechtfertigungsbedarf (vgl. BVerfG-Beschluss in BFH/NV 2010, 1959, unter C.II.2.b aa). Hierfür reichen die Gründe, die die generelle Einbeziehung bereits laufender Renten in die gesetzliche Neuregelung rechtfertigen (siehe die unter II.4.a zitierte Senatsrechtsprechung), allein noch nicht aus.
c) Rechtfertigungsgrund für die Einbeziehung auch von Nachzahlungen in die Neuregelungen ist das dem EStG für Überschusseinkünfte zugrunde liegende Zuflussprinzip. § 11 EStG ermöglicht die Abschnittsbesteuerung, indem er die Entscheidung darüber trifft, wann eine Einnahme anzusetzen ist (vgl. HHR/Birk/Kister, § 11 EStG Rz 3). Es ist offensichtlich, dass der Gesetzgeber gewisse Härten, die sich notwendigerweise aus der Abschnittsbesteuerung und dem Zuflussprinzip im Einzelfalle ergeben können, bewusst in Kauf genommen hat (siehe auch BFH-Urteil vom 5. März 1981 IV R 101/78, nicht veröffentlicht).
Mit dieser Grundentscheidung für die Anwendung des Zuflussprinzips bei den Überschusseinkünften, zu denen auch die Renteneinkünfte gehören, geht eine Verwaltungsvereinfachung einher, die ebenfalls als Rechtfertigungsgrund heranzuziehen ist. Der Notwendigkeit einer im Rentenbesteuerungsverfahren als Massenverfahren einfachen, praktikablen und gesamtwirtschaftlich tragfähigen Lösung hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 26. November 2008 X R 15/07 (BFHE 223, 445, BStBl II 2009, 710) eine entscheidende Bedeutung zugebilligt.
Dem Hinweis des Klägers, eine Komplizierung des Verfahrens sei bei der steuerlichen Beurteilung von Rentennachzahlungen nicht zu befürchten, da die zeitliche Zuordnung der Rentenzahlungen ohne Weiteres möglich sei, ist entgegenzuhalten, dass zur Einschätzung des Verwaltungs- und Kontrollaufwands einer gesetzlichen Regelung der Gesetzgeber aufgerufen ist, der eine Einschätzungsprärogative besitzt (siehe auch Senatsurteil in BFH/NV 2010, 1253). Dafür, dass er diese willkürlich ausgeübt hätte, ist vorliegend kein Anhaltspunkt erkennbar.
Hinzu kommt, dass selbst nach Auffassung des Klägers Rentennachzahlungen für Zeiträume bis zum 31. Dezember 2004 nur dann nach der bisherigen Systematik der Rentenbesteuerung zu besteuern sind, wenn der Steuerpflichtige die Zahlung der Rente so rechtzeitig beantragt hat, dass er die Rente ohne Schwierigkeit bis zum 31. Dezember 2004 hätte erhalten können. Diese Einschränkung, die dem Billigkeitsgedanken entspringt, würde aber dazu führen, dass die Finanzverwaltung das Procedere der Rentenantragstellung zu überprüfen und zu bewerten hätte, um zu entscheiden, ob bei einem rechtzeitigen und vollständigen Antrag im Einzelfall eine Ertragsanteilsbesteuerung durchzuführen wäre.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Grundzüge der Neuregelung der Rentenbesteuerung bereits seit dem Entwurf des AltEinkG vom 9. Dezember 2003 (BTDrucks 15/2150) bekannt waren. Die Steuerpflichtigen konnten sich spätestens ab Verkündung des AltEinkG am 5. Juli 2004 bis zum Ende des Jahres 2004 auf die ab dem 1. Januar 2005 geltende Neuregelung einstellen.