BFH III. Senat
FGO § 69 Abs 3, FGO § 69 Abs 2 S 2, FGO § 40 Abs 1 Alt 2, AO § 164 Abs 2, AO § 155 Abs 3 S 1, EStG § 25, EStG § 26b, GG Art 6 Abs 1
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 08. November 2010, Az: 10 V 309/10
Leitsätze
1. NV: Ein Einkommensteueränderungsbescheid, mit dem das FA die Stpfl. erstmals einzeln zur Einkommensteuer veranlagt, nachdem es diese zuvor mit ihrer eingetragenen Lebenspartnerin zusammen veranlagt hatte, ist wegen ernstlicher Zweifel von der Vollziehung auszusetzen .
2. NV: Einzel- und Zusammenveranlagung sind wesensverschiedene Veranlagungsformen. Der Wechsel der Veranlagungsform kann deshalb nur im Rahmen eines neuen Veranlagungsverfahrens erfolgen .
Tatbestand
I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) begründete am 29. Dezember 2008 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. In ihrer für den Veranlagungszeitraum 2008 eingereichten ‑‑und nur von ihr unterschriebenen‑‑ Einkommensteuererklärung beantragte die Antragstellerin die Zusammenveranlagung mit ihrer eingetragenen Lebenspartnerin.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) führte die Zusammenveranlagung der Antragstellerin und ihrer Lebenspartnerin zunächst mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) stehendem Bescheid vom 26. April 2010 antragsgemäß durch. Auf einen Einspruch ‑‑nur‑‑ der Antragstellerin erließ das FA, gestützt auf § 164 Abs. 2 AO, am 19. August 2010 einen ‑‑aus nicht streitgegenständlichen Gründen‑‑ geänderten Einkommensteuerbescheid für 2008. In diesem geänderten Bescheid nahm das FA nunmehr auch eine Einzelveranlagung der Antragstellerin vor. Die Antragstellerin legte wiederum Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des geänderten Bescheids in Höhe der Differenz zwischen der "Einkommensteuernachzahlung mit Einzelveranlagung" und der "Einkommensteuernachzahlung mit Zusammenveranlagung"; den ihrer Ansicht nach danach auszusetzenden Betrag bezifferte sie mit 5.243,35 €. Das FA lehnte den Antrag auf AdV ab. Über den Einspruch hat es noch nicht entschieden.
Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf AdV überwiegend statt. Es entschied, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einzelveranlagung. Der Ausschluss der Antragstellerin als Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting sei verfassungswidrig. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege auch die gegen die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden öffentlichen Belange. Der auszusetzende Betrag ergebe sich "aus der Differenz des Zusammenveranlagungsbescheids vom 26. April 2010 und dem angefochtenen Bescheid vom 19. August 2010"; er betrage 4.652 €.
Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde bringt das FA im Wesentlichen vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe in der streitigen Frage bereits mehrfach entschieden und dabei insbesondere auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Normen erkennen lassen. Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes sei daher der Vorrang einzuräumen. Im Übrigen sei auch inhaltlich weder ein Verstoß des geltenden Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen Verfassungsrecht noch eine Unvereinbarkeit mit weiterem höherrangigem Recht gegeben.
Das FA beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den AdV-Antrag abzulehnen.
Die Antragstellerin ist der Beschwerde durch Wiederholung der Ausführungen des FG entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids vom 19. August 2010 im Ergebnis zu Recht ausgesetzt. Denn es ist ernstlich zweifelhaft, ob dieser Änderungsbescheid hätte ergehen dürfen.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (z.B. BFH-Beschluss vom 5. April 2011 II B 153/10, Deutsches Steuerrecht 2011, 769, m.w.N.).
2. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteueränderungsbescheids vom 19. August 2010.
Das FA hat auf die von der Antragstellerin eingereichte Einkommensteuererklärung für 2008 am 26. April 2010 zunächst die beantragte Zusammenveranlagung der Antragstellerin mit ihrer eingetragenen Lebenspartnerin durchgeführt und einen zusammengefassten (§ 155 Abs. 3 Satz 1 AO) Einkommensteuerbescheid für 2008 erlassen. Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren der Antragstellerin hat das FA diesen Bescheid aus anderen Gründen geändert und den Änderungsbescheid zugleich dazu genutzt, um nunmehr eine Einzelveranlagung der Antragstellerin durchzuführen.
Einzelveranlagung (§ 25 EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) sind jedoch wesensverschiedene Veranlagungsformen (z.B. BFH-Urteil vom 24. April 2007 I R 64/06, BFH/NV 2007, 1893). Der Übergang von der einen zur anderen Veranlagungsform kann deshalb nur im Rahmen eines jeweils selbstständigen Veranlagungsverfahrens, aber nicht durch eine Änderung des ursprünglichen Steuerbescheids erfolgen (BFH-Urteil vom 9. März 1973 VI R 396/70, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980). Wenn somit im Laufe des Verfahrens festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nicht vorliegen, kann der Bescheid über die Zusammenveranlagung nicht geändert, sondern nur aufgehoben (Schneider in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 26 Rz A 252) und ein neues Veranlagungsverfahren durchgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsurteil in BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980).
Dem entspricht, dass der verfahrensrechtliche Weg, eine bereits durchgeführte Veranlagung zu ändern, mit der Klage auf Verpflichtung zur Durchführung der begehrten Veranlagungsform (§ 40 Abs. 1 2. Alt. FGO) zu erreichen ist (BFH-Urteil in BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487).
Durfte das FA in dem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 19. August 2010 somit nicht von der mit Bescheid vom 26. April 2010 durchgeführten Zusammenveranlagung der Antragstellerin mit ihrer Lebenspartnerin zu der als nunmehr zutreffend erachteten Einzelveranlagung (nur) der Antragstellerin übergehen, hat das FG die Vollziehung des Bescheids vom 19. August 2010 im Ergebnis zu Recht ausgesetzt. Auf die Frage, ob der Ausschluss der Antragstellerin als Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting verfassungswidrig ist, kommt es danach nicht an.