BFH I. Senat
AO § 93 Abs 1, AO § 93 Abs 7, AO § 93b, AO § 97 Abs 2 S 1, AO § 107 S 1
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 17. Juni 2009, Az: 4 K 2619/07
Leitsätze
NV: Ein als Auskunftsersuchen bezeichnetes Schreiben eines Finanzamts an eine Bank, das § 93 AO als Rechtsgrundlage für die Pflicht, Auskünfte zu erteilen, benennt, ist regelmäßig als Auskunftsverlangen und nicht als Vorlageverlangen zu beurteilen .
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist Rechtsnachfolgerin der B-Bank.
Mit einem als "Auskunftsersuchen gemäß § 93 der Abgabenordnung" bezeichneten Schreiben vom 7. März 2007 bat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) die Zentrale der B-Bank in X um Vorlage der Konto- bzw. Depotauszüge für drei verschiedene Konten der Jahre 2005 und 2006 eines bei ihm geführten Steuerpflichtigen. Darin heißt es u.a.: "Die Verpflichtung, wahrheitsgemäß nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft zu erteilen, beruht auf § 93 der Abgabenordnung (AO). Die Voraussetzungen des § 93 Abs. 1 letzter Satz AO liegen vor. Die Verhandlungen mit dem Steuerpflichtigen haben nicht zum Ziele geführt." Diese Konten waren dem FA vom Bundeszentralamt für Steuern im Rahmen eines Kontenabrufersuchens nach § 93 Abs. 7 i.V.m. § 93b AO mitgeteilt worden.
Die B-Bank antwortete daraufhin, dass für den Steuerpflichtigen ein Kontokorrentkonto sowie zwei im angefragten Zeitraum umsatzlose Depotkonten geführt worden seien. Hinsichtlich des Kontokorrentkontos fügte sie eine Umsatzauswertung für den Zeitraum vom 19. Januar 2005 bis 31. Dezember 2006 bei. Zugleich stellte sie dem FA 18,90 € in Rechnung (eine Arbeitsstunde zu 17 €, zwei Fotokopien zu 0,50 € und Portokosten von 0,90 €). Das FA lehnte eine Erstattung ab. Es handle sich um ein Vorlageersuchen gemäß § 97 AO, für das § 107 AO nicht anwendbar sei.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage der B-Bank, die während des finanzgerichtlichen Verfahrens auf die Klägerin verschmolzen worden war, mit Urteil vom 18. Juni 2009 4 K 2619/07, veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1896, ab.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie beantragt, das Urteil des FG, den Ablehnungsbescheid vom 24. September 2007 und die Einspruchsentscheidung vom 25. Oktober 2007 aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihr die für das Auskunftsersuchen vom 7. März 2007 entstandenen Kosten in Höhe von 18,90 € zu erstatten.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Verpflichtung des FA, der Klägerin die für ihr Ersuchen vom 7. März 2007 entstandenen Kosten von 18,90 € zu ersetzen. Das FG hat eine Kostenentschädigung der Klägerin gemäß § 107 Satz 1 AO zu Unrecht verneint.
1. Nach § 107 Satz 1 AO erhalten Auskunftspflichtige und Sachverständige, die die Finanzbehörde als Dritte zu Beweiszwecken herangezogen hat, auf Antrag eine Entschädigung in entsprechender Anwendung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes. Eine Entschädigung wird folglich nur Personen gewährt, die von der Finanzbehörde als Auskunftspflichtige (§ 93 AO) oder Sachverständige (§ 96 AO), nicht dagegen ausschließlich als Vorlageverpflichtete (§ 97 AO) herangezogen worden sind. Verlangt das FA sowohl Auskünfte als auch die Vorlage von Urkunden (kombiniertes Auskunfts- und Vorlageverlangen), besteht ebenfalls ein Anspruch auf Entschädigung gemäß § 107 Satz 1 AO (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 8. August 2006 VII R 29/05, BFHE 214, 97, BStBl II 2007, 80).
2. Ob ein Entschädigungsanspruch besteht, hängt danach entscheidend von der Abgrenzung zwischen dem Beweis durch Auskünfte i.S. des § 93 AO und dem Beweis durch Vorlage von Urkunden i.S. des § 97 AO ab.
a) Ein "reines" Vorlageverlangen i.S. des § 97 AO liegt vor, wenn keinerlei eigenes Wissen des in Anspruch Genommenen abgefragt wird. Das ist nur dann der Fall, wenn das FA die vorzulegenden Unterlagen so konkret und eindeutig benennt, dass sich die geforderte Tätigkeit des Vorlageverpflichteten auf rein mechanische Hilfstätigkeiten wie das Heraussuchen und Lesbarmachen der angeforderten Unterlagen beschränkt (BFH-Urteil in BFHE 214, 97, BStBl II 2007, 80).
b) Die Finanzbehörden müssen einen Sachverhalt allerdings in erster Linie durch die Einholung von Auskünften aufklären. Das Vorlageverlangen ist nur hilfsweise zulässig, weil Aufklärungsmaßnahmen Eingriffscharakter haben und deshalb unter mehreren Möglichkeiten das mildeste Mittel auszuwählen ist. Die Vorlage von Kontoauszügen als Urkunden i.S. des § 97 AO darf das FA im Besteuerungsverfahren eines Bankkunden gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 AO von der Bank im Regelfall daher erst dann verlangen, wenn der Vorlagepflichtige eine Auskunft nicht erteilt hat, die Auskunft unzureichend ist, Bedenken gegen ihre Richtigkeit bestehen oder das Vorliegen steuerrelevanter Tatsachen nur durch die Vorlage eines Schriftstückes beweisbar ist (BFH-Urteil vom 24. Februar 2010 II R 57/08, BFHE 228, 145, BStBl II 2011, 5). Da es sich bei der Subsidiaritätsklausel in § 97 Abs. 2 Satz 1 AO um eine Vorschrift im Interesse und zugunsten des Vorlagepflichtigen handelt, berechtigt allein die Tatsache, dass die Vorlage einer Urkunde in der Sache das geeignetste Aufklärungsmittel ist, die Finanzbehörde nicht dazu, von vornherein von einem Auskunftsersuchen abzusehen und sofort die Urkundenvorlage zu verlangen. Das FA hat das Vorliegen eines atypischen und das unmittelbare Vorlageverlangen rechtfertigenden Falles darzulegen (BFH-Urteil in BFHE 228, 145, BStBl II 2011, 5).
3. Das Schreiben des FA vom 7. März 2007 an die B-Bank ist als Auskunftsverlangen zu beurteilen. Es ist selbst als Auskunftsersuchen bezeichnet und benennt § 93 AO als Rechtsgrundlage für die Pflicht der B-Bank, Auskunft zu erteilen. In dem Schreiben sind keine Gründe dargelegt, die ein unmittelbares Vorlageverlangen rechtfertigen könnten, obwohl das FA im Falle eines reinen Vorlageverlangens hierzu verpflichtet gewesen wäre (BFH-Urteil in BFHE 228, 145, BStBl II 2011, 5). Die B-Bank konnte ein rechtmäßiges Handeln des FA unterstellen und deshalb sowie im Hinblick auf den Wortlaut des Schreibens von einem Auskunftsersuchen nach § 93 AO ausgehen. Sie hat das Schreiben des FA auch so verstanden. Denn sie hat auf das Ersuchen des FA nur hinsichtlich des Kontokorrentkontos eine Umsatzauswertung übermittelt, im Übrigen aber die Auskunft erteilt, dass der Steuerpflichtige im fraglichen Zeitraum bei ihr zwei umsatzlose Depotkonten sowie ein Kontokorrentkonto unterhalten habe. Da im Streitfall bereits aus den genannten Gründen von einem Auskunftsverlangen auszugehen ist, bedarf die Frage keiner Entscheidung, ob ‑‑wofür die Gesetzesbegründung spricht (vgl. BTDrucks 15/1309, S. 12)‑‑ das Kontenabrufersuchen nach § 93 Abs. 7 AO und die daran anschließende Auskunft bei der jeweiligen Bank insgesamt als ein einheitliches besonderes Auskunftsersuchen gegenüber den Kreditinstituten zu beurteilen ist.
4. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Sein Urteil ist daher aufzuheben. Der Klage ist zu entsprechen.