BFH X. Senat
EStG § 22 Nr 1 S 3, BGB § 843 Abs 1 Alt 2
vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg , 22. Juni 2010, Az: 1 K 721/07
Leitsätze
NV: Der Umstand, dass Schadensersatz-Mehrbedarfsrenten i.S.d. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB nicht einkommensteuerbar sind (BFH-Urteil vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BFHE 157, 439, BStBl II 1995, 121), rechtfertigt es nicht, auch Renten aus einer privaten Unfallversicherung, deren Gewährung nach den Versicherungsbedingungen zwar eine bestimmte Minderung der Erwerbsfähigkeit, nicht aber einen konkreten Mehrbedarf voraussetzt, als nicht steuerbar anzusehen.
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist seit 2002 an Multipler Sklerose erkrankt und bezieht aus einer privaten Unfallversicherung eine Invaliditätsrente von 511,29 € monatlich. Voraussetzung hierfür ist nach dem Versicherungsvertrag, dass eine Krankheit zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Versicherten von mindestens 50 % führt. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erfasste die Rentenzahlungen mit ihrem Ertragsanteil als sonstige Einkünfte. Erstmals im Klageverfahren behauptete die Klägerin, die Rente decke ausschließlich ihren krankheitsbedingten Mehrbedarf ab.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Da im Streitfall Ausgangspunkt der Rentenzahlung die Erkrankung der Klägerin sei, fehle es an der Vergleichbarkeit mit den ‑‑nicht steuerbaren‑‑ Mehrbedarfsrenten, die zum Ausgleich der Folgen einer schädigenden Handlung eines Dritten gezahlt würden.
Die Klägerin begehrt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache sowie zur Fortbildung des Rechts. Sie ist der Auffassung, ebenso wie bei einer privaten Schadensersatzrente werde ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit durch den Rentenbezug nicht erhöht. Die Auffassung des FG führe zu einer Benachteiligung von Behinderten und damit zu einem Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 des Grundgesetzes (GG).
Das FA hält die Beschwerde für unzulässig.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.
a) Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kommt einer Rechtssache nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das (abstrakte) Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Außerdem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig und in einem künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig sein (BFH-Beschlüsse vom 10. September 2003 X B 132/02, BFH/NV 2004, 495, unter 1., und vom 14. November 2005 II B 51/05, BFH/NV 2006, 305, unter II.1.).
b) Eine ausdrückliche Rechtsfrage, deren Klärung sie begehrt, hat die Klägerin nicht formuliert. Ihrer ‑‑nach Art einer Revisionsbegründung gehaltenen‑‑ Beschwerdebegründung lässt sich aber sinngemäß die Rechtsfrage entnehmen, ob Rentenzahlungen, die auf einem privaten Versicherungsvertragsverhältnis beruhen und ausschließlich einen krankheits- oder behinderungsbedingten Mehrbedarf abdecken sollen, in Anwendung der für private Schadensersatz-Mehrbedarfsrenten i.S. des § 843 Abs. 1 Alternative 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) entwickelten Grundsätze (hierzu BFH-Urteil vom 25. Oktober 1994 VIII R 79/91, BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121) nicht steuerbar sind.
c) Diese Frage wäre in einem künftigen Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Klärungsfähigkeit setzt voraus, dass die Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren für die Entscheidung des Streitfalls rechtserheblich ist (BFH-Beschluss vom 14. November 2005 II B 51/05, BFH/NV 2006, 305, unter II.1.).
Daran fehlt es vorliegend, und zwar unabhängig davon, ob das FG ‑‑was dem angefochtenen Urteil letztlich nicht eindeutig zu entnehmen ist‑‑ mit der Formulierung "Die Rente deckt nicht ‑‑wie eine private Schadensersatzrente‑‑ nur einen Mehrbedarf ab" eine Tatsachenfeststellung i.S. des § 118 Abs. 2 FGO hat treffen wollen oder nicht.
aa) Hätte das FG bindend festgestellt, dass die von der Klägerin bezogene Rente nicht allein einen Mehrbedarf abdeckt, wäre die der Beschwerdebegründung sinngemäß zu entnehmende Rechtsfrage ("Renten, die ausschließlich einen Mehrbedarf abdecken sollen") schon von vornherein nicht entscheidungserheblich.
bb) Diese Beurteilung würde im Ergebnis aber auch dann gelten, wenn eine unmittelbar bindende Tatsachenfeststellung dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen wäre. Denn das FG hat ‑‑in anderem Zusammenhang‑‑ auf den maßgebenden Versicherungsvertrag Bezug genommen. Danach setzt die Gewährung der Rentenzahlungen ‑‑nur‑‑ voraus, dass eine (einzige) Krankheit, die während der Wirksamkeit des Vertrags erstmals ärztlich festgestellt wird, zu einer dauernden Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit (Invalidität) des Versicherten von mindestens 50 % führt. Danach ist die Feststellung eines konkreten krankheitsbedingten Mehrbedarfs weder dem Grunde noch der Höhe nach Voraussetzung für die Rentenzahlungen. Ob der Versicherte die Leistungen als Einkommensersatz ‑‑der auch in Gestalt von Schadensersatzrenten steuerbar wäre (vgl. BFH-Urteil in BFHE 175, 439, BStBl II 1995, 121, unter II.1.c vor aa; Senatsurteil vom 26. November 2008 X R 31/07, BFHE 223, 471, BStBl II 2009, 651, unter II.2.b vor aa)‑‑, zum Ausgleich eines Mehrbedarfs oder zur Erhöhung seines Lebensstandards verwendet, ist von seiner persönlichen Lebenssituation abhängig, nicht aber bereits im Rechtsgrund der Rentenzahlungen selbst angelegt.
Demgegenüber setzt der Tatbestand des § 843 Abs. 1 Alternative 2 BGB eine Vermehrung der Bedürfnisse des Verletzten voraus. Eine solche Vermehrung ist im jeweiligen Einzelfall konkret darzulegen (Palandt/Sprau, Bürgerliches Gesetzbuch, 70. Aufl., § 843 Rz 3) und damit dem Grunde und der Höhe nach maßgebend für die Höhe einer solchen Mehrbedarfs-Schadensersatzrente.
d) Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass in dieser Betrachtungsweise keine Benachteiligung wegen einer Behinderung (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) liegt. Denn der behinderungsbedingte Mehrbedarf wird einkommensteuerrechtlich nach Wahl des Steuerpflichtigen entweder durch den Abzug der konkret dargelegten Beträge nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) oder aber durch Gewährung des Pauschbetrags nach § 33b EStG berücksichtigt und somit steuerfrei gestellt.
2. Bei dem Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) handelt es sich um einen speziellen Unterfall des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache; für seine Darlegung gelten daher regelmäßig die an eine auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO gestützte Beschwerdebegründung zu stellenden Anforderungen (BFH-Beschluss vom 30. November 2010 VI B 100/10, BFH/NV 2011, 574, unter 2.). Da das Vorbringen der Klägerin insoweit über ihren Vortrag zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache nicht hinaus geht, kann eine Zulassung der Revision im Streitfall auch nicht auf das Erfordernis einer Rechtsfortbildung gestützt werden.