BFH X. Senat
FGO § 56, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 155, ZPO § 294 Abs 1
vorgehend FG München, 10. Februar 2010, Az: 11 K 1306/07
Leitsätze
1. NV: Soll ein Fristenkontrollbuch den normalerweise nur durch ein Postausgangsbuch möglichen Beweis erbringen, so muss es den an das Postausgangsbuch gestellten Anforderungen genügen .
2. NV: Die Aufgabe eines Briefes zur Post kann im Regelfall nicht allein mit einer eidesstattlichen Versicherung einer Rechtsanwaltsfachangestellten glaubhaft gemacht werden, sondern es bedarf eines ordnungsgemäßen Postausgangsbuchs .
3. NV: Eine Wiedereinsetzung kommt nicht in Betracht, wenn eidesstattliche Versicherungen und das Fristenkontrollbuch einander widersprechen .
Tatbestand
I. 1. Die als Eheleute zusammen veranlagten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wenden sich gegen ein Urteil, mit dem das Finanzgericht (FG) die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer verspätet eingegangenen Klageschrift versagt hat.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) hatte drei Einspruchsentscheidungen erlassen, am 2. Februar 2007 gegenüber dem Kläger (Gewerbesteuer und Umsatzsteuer 1995 und 1996), am 5. Februar 2007 in der vorliegenden Sache und ebenfalls am 5. Februar 2007 gegenüber der Klägerin (Gewerbesteuer und Umsatzsteuer 1996 und 1997). Die beiden anderen Klagen gingen fristgerecht ein. In dieser Sache erhoben die Kläger nach einem Hinweis der Geschäftsstelle des FG, dass eine Klage nicht vorliege, am 12. April 2007 Klage. Sie legten zur Glaubhaftmachung des Umstandes, dass die Klage rechtzeitig zur Post gegeben worden sei, einen Ausdruck des elektronischen Fristenkalenders des Prozessbevollmächtigten sowie eidesstattliche Versicherungen des sachbearbeitenden Rechtsanwalts, einer Rechtsanwaltsgehilfin sowie der Klägerin vor und beantragten die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das FG folgte dem nicht und wies mit Urteil vom 11. Februar 2010 die Klage ab.
2. Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision machen die Kläger im Kern geltend, das FG habe die lückenlose Glaubhaftmachung der Aufgabe der Klage zur Post durch die nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 294 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) ausreichende Versicherung an Eides statt nicht beachtet. Sie werfen in diesem Zusammenhang verschiedene Fragen auf, die grundsätzliche Bedeutung hätten. Sie berufen sich ferner auf das Bedürfnis nach Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 11. Januar 2001 III ZR 148/00 (Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2001, 1577). Schließlich meinen sie, es liege ein Verfahrensmangel vor, da tatsächlich glaubhaft gemacht worden sei, dass die Klage ordnungsgemäß auf den Postweg gebracht worden sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist insgesamt unbegründet.
1. Soweit die Kläger grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO geltend machen, ist die Beschwerde unzulässig.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn die für die Beurteilung des Streitfalls maßgebliche Rechtsfrage das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, im konkreten Fall klärungsbedürftig und im künftigen Revisionsverfahren klärungsfähig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschluss vom 3. November 2010 X B 101/10, BFH/NV 2011, 285). Nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO sind in der Beschwerde die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO, mithin des jeweiligen Zulassungsgrundes, über bloße Behauptungen hinaus darzulegen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 26). Daran fehlt es.
a) Zu der Frage, ob das Kuvertieren von Post ebenso wie nach Auffassung des BGH in NJW 2001, 1577 das Frankieren der bereits kuvertierten Post kein schädlicher Zwischenschritt zwischen der Ablage in das Postausgangsfach durch den bearbeitenden Rechtsanwalt und der Aufgabe zur Post ist, haben die Kläger grundsätzliche Bedeutung lediglich behauptet. Es fehlen Ausführungen zu allen Voraussetzungen; diese sind auch nicht ohne Weiteres ersichtlich.
Insbesondere ist die Klärungsfähigkeit der Frage im konkreten Fall nicht erkennbar. Im Streitfall lag nach Darstellung der Kläger selbst zwischen der Ablage des fertig gestellten Klageschriftsatzes in den "Postausgang" durch den Bevollmächtigten und der Aufgabe zur Post nicht nur das Kuvertieren und Frankieren. Vielmehr sammelt eine Rechtsanwaltsfachangestellte die von den Rechtsanwälten in deren Postausgang gegebenen Schriftsätze ein und macht diese versandfertig, bevor sie sie in den Postausgang der Kanzlei gibt. Diese Vorgänge gehen über das Kuvertieren und Frankieren deutlich hinaus.
b) Die Kläger werfen weiter die Frage auf, ob entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ein Fristenkontrollbuch den Adressaten eines Schriftstücks enthalten muss.
Die Beschwerde ist in diesem Punkte unschlüssig, da sie von falschen Voraussetzungen ausgeht. Dem Senat ist keine Rechtsprechung zu der Frage bekannt, ob ein Fristenkontrollbuch den Adressaten eines Schriftstücks nennen muss. Eine solche Rechtsprechung kann es auch nicht geben. Die Funktion des Fristenkontrollbuchs liegt in dem Nachweis ordnungsgemäßer Fristenüberwachung, für die der Adressat keine Rolle spielt; die Funktion des Postausgangsbuchs liegt in dem Nachweis der Absendung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 28. November 2003 V R 3/03, BFH/NV 2004, 524, und vom 6. November 2006 VII B 188/06, BFH/NV 2007, 268). Das Postausgangsbuch wiederum muss nach ständiger Rechtsprechung des BFH den Empfänger des abgesandten Schriftstücks nennen (Zwischenurteil des Senats vom 13. November 1996 X R 30/96, BFH/NV 1997, 253; BFH-Beschlüsse vom 13. Dezember 2001 X R 42/01, BFH/NV 2002, 533; vom 3. August 2005 IX B 26/05, BFH/NV 2006, 307). Sollte ein Fristenkontrollbuch ausnahmsweise herangezogen werden (können), den üblicherweise durch ein Postausgangsbuch geführten Beweis zu erbringen, so muss es folgerichtig den an ein Postausgangsbuch gestellten Anforderungen genügen. Dieser Schluss des FG (unter II.2.c, S. 8/9 der Entscheidungsgründe) ist offenkundig zutreffend.
Ob im konkreten Fall ausnahmsweise die Benennung eines Empfängers unter dem Aspekt entbehrlich gewesen sein könnte, dass für eine Klage gegen die Einspruchsentscheidung des FA sinnvoll nur das FG in Betracht kam, ist eine Frage der Rechtsanwendung im Einzelfall, die für sich genommen die Zulassung der Revision grundsätzlich nicht rechtfertigt.
c) Die Frage, ob das konkret geführte Fristenkontrollbuch nach den Anforderungen des BFH eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigt, ist ausschließlich auf den vorliegenden Einzelfall bezogen und lässt schon deshalb grundsätzliche Bedeutung nicht erkennen.
d) Schließlich messen die Kläger der Frage grundsätzliche Bedeutung bei, ob die Verbringung eines Briefes zur Post durch eidesstattliche Versicherung einer zuverlässigen Rechtsanwaltsfachangestellten glaubhaft i.S. von §§ 56, 155 FGO i.V.m. § 294 ZPO gemacht werden kann, namentlich wenn weitere Indizien für die Absendung vorliegen.
Nicht dargelegt haben sie jedoch die Klärungsbedürftigkeit der Frage. Sie ist tatsächlich in der Rechtsprechung des BFH bereits geklärt. Der BFH geht davon aus, dass zwar nicht ausnahmslos, so doch im Regelfall eine eidesstattliche Versicherung nicht ausreicht, es vielmehr eines ordnungsgemäßen Postausgangsbuchs bedarf (vgl. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2006, 307, und vom 1. Oktober 2008 IX B 100/08, Zeitschrift für Steuern und Recht 2008, R1176).
Die Frage, ob im konkreten Fall die abgegebenen eidesstattlichen Versicherungen ausreichten und wie im Zusammenhang damit die Eintragungen in dem Fristenkontrollbuch zu bewerten sind, betrifft wiederum die Rechtsanwendung im Einzelfall und ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
2. Unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit die Kläger Divergenz i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO im Hinblick auf das Urteil des BGH in NJW 2001, 1577 geltend machen. Sie haben nicht nachvollziehbar dargestellt, inwiefern das FG von den jenem Urteil zu Grunde liegenden Grundsätzen abgewichen wäre. Sie behaupten zwar, nach Ansicht des FG seien eidesstattliche Versicherungen kein geeignetes Mittel zur Glaubhaftmachung. Sie übergehen aber, dass das FG sich (unter II.2.b, S. 7/8 der Entscheidungsgründe) im Einzelnen damit auseinandergesetzt hat, ob ein Postausgangsbuch ausnahmsweise entbehrlich war. Damit hat sich das FG dem Grunde nach den Ausführungen des BGH angeschlossen. Es hat die Glaubhaftmachung einer Absendung mit Hilfe (nur) einer eidesstattlichen Versicherung gerade nicht kategorisch abgelehnt.
3. Das FG-Urteil leidet schließlich nicht an einem Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Die Versagung der Wiedereinsetzung war nicht fehlerhaft (vgl. BFH-Beschluss vom 27. Juni 2008 III B 183/07, nicht veröffentlicht). Insoweit ist die Beschwerde der Kläger unbegründet.
Für diese Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob ein Postausgangsbuch im konkreten Fall entbehrlich war. Mit den eidesstattlichen Versicherungen und dem Fristenkontrollbuch haben die Kläger ‑‑selbst wenn diese formell ausreichen könnten‑‑ die Tatsachen zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags entgegen § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht glaubhaft gemacht. Sie widersprechen einander.
Nach dem Fristenkontrollbuch sollen die Fristen für zwei Klagen am 27. Februar 2007 erledigt worden sein. Nach dem Vortrag der Kläger im Klageverfahren, der Gegenstand der eidesstattlichen Versicherung des Prozessbevollmächtigten ist, sollen die Klageschriftsätze für die insgesamt drei Klagen am 21., 23. und 28. Februar 2007 vorbereitet worden sein.
Die erste Klage, diejenige des Klägers vom 21. Februar 2007, ist am 22. Februar 2007 bei dem FG eingegangen. Die dritte Klage, diejenige der Klägerin, ist am 1. März 2007 bei dem FG eingegangen. Die Eintragung in dem Fristenkontrollbuch kann schon zeitlich die erste Klage nicht betreffen. Zudem nennt das Fristenkontrollbuch für die beiden Klagen, die am 27. Februar 2007 erledigt worden sein sollen, nur eine Steuernummer. Dabei handelt es sich tatsächlich um die Nummer, unter der sowohl die Kläger gemeinsam als auch die Klägerin allein geführt wird, während für den Kläger eine andere Steuernummer vergeben ist.
Wenn also das Fristenkontrollbuch sowohl die Klage in der vorliegenden Sache als auch die Klage der Klägerin meint, so ist entweder die Eintragung im Fristenkontrollbuch oder die eidesstattliche Versicherung unrichtig. Eine am 28. Februar 2007 vorbereitete Klage kann nicht am Tage zuvor erledigt worden sein. Falls die Klage tatsächlich früher vorbereitet wurde, könnte zwar die Eintragung im Fristenkontrollbuch richtig sein; allerdings wäre die eidesstattliche Versicherung nicht richtig. Dagegen spricht auch der Eingang der dritten Klage bei dem FG am 1. März 2007, was der eintägigen Postlaufzeit der ersten Klage sowie der Üblichkeit bei dem hier vorliegenden innerstädtischen Versand entspricht. Falls hingegen die dritte Klage tatsächlich erst am 28. Februar 2007 vorbereitet wurde, wäre die Eintragung im Fristenkontrollbuch nicht richtig.
Zwar sind beide Erklärungsmöglichkeiten kein positiver Beweis dafür, dass die zweite, hier streitgegenständliche Klage an dem angegebenen Datum nicht erledigt wurde. Zur Glaubhaftmachung bedarf es jedoch einer vollständigen, substantiierten und in sich schlüssigen Darstellung (vgl. Senatsbeschluss vom 17. August 2010 X B 190/09, BFH/NV 2010, 2285). Diese ist nicht gelungen.