BFH V. Senat
UStG § 3a, EWGRL 388/77 Art 9, UStG § 3a
vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht , 08. September 2009, Az: 5 K 211/04
Leitsätze
1. NV: Medizinische Analysen und Laboruntersuchungen, durch die nicht Feststellungen zum menschlichen, sondern zum tierischen Gesundheitszustand getroffen werden, sind weder Begutachtung noch Arbeiten an beweglichen Gegenständen i.S.v. § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG a.F .
2. NV: Tierärztliche Leistungen, zu denen auch die Labor- und Analysetätigkeit gehört, sind nach der EuGH-Rechtsprechung keine Beratungsleistungen i.S.v. § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG .
Tatbestand
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Tierarzt und betreibt im Inland ein Labor für biomedizinische Diagnostik, in dem er virologische und serologische Untersuchungen an Probenmaterial von Versuchstieren anhand von Prüfverfahren durchführte. Hierdurch sollte festgestellt werden, ob ein Versuchstierbestand frei von Infektionskrankheiten war. Anhand seiner Untersuchungsergebnisse erstellte der Kläger Prüfberichte, die seine Auftraggeber für Tierversuche verwendeten. Stellte der Kläger anhand des Probenmaterials Infektionskrankheiten fest, gab er seinen Auftraggebern weitergehende Empfehlungen.
Unter Hinweis auf ein Schreiben des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) vom 6. Juli 1994, in dem das FA mitteilte, dass es sich bei den "angegebenen Umsätzen" um "steuerfreie Umsätze mit Vorsteuerabzug" und nicht um steuerfreie Umsätze ohne Vorsteuerabzug handele, ging der Kläger davon aus, dass seine Leistungen an im Ausland ansässige Auftraggeber im Inland nicht steuerbar seien. Demgegenüber war das FA im Anschluss an eine Außenprüfung der Auffassung, dass der Kläger auch insoweit in den Streitjahren 1997 bis 2001 Leistungen i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c des Umsatzsteuergesetzes 1993/1999 (UStG) erbracht habe. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) stützte die in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 270 veröffentlichte Entscheidung darauf, dass der Kläger seine Leistungen nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG im Inland erbracht habe, da diese auf eine Begutachtung der von den Auftraggebern übersandten Proben (Seren) gerichtet gewesen seien. Es habe sich um bewegliche körperliche Gegenstände im Sinne dieser Vorschrift gehandelt. Die Regelung gelte nicht nur für Wertgutachten. Eine Selbstbindung der Verwaltung durch das Schreiben des FA vom 6. Juli 1994 bestehe nicht.
Mit seiner Revision macht der Kläger Verletzung materiellen Rechts geltend. Er sei Mikrobiologe und habe nie als Tierarzt praktiziert. Es lägen weder Arbeiten an noch die Begutachtung von beweglichen körperlichen Gegenständen vor. Er habe keine gutachterliche Tätigkeit ausgeübt, da er als Mikrobiologe beratend tätig gewesen sei. Der Leistungserfolg habe sich nicht an den Proben, sondern an den Tierbeständen realisiert, die sich im Ausland befänden. Die Auftraggeber hätten durchgängig ihm gegenüber Umsatzsteuer-Identifikationsnummern (USt-Id-Nr.), die ‑‑wie sich aus den Steuerakten ergebe‑‑ auf Auftragsschreiben, Rechnungen und im Schriftverkehr vermerkt gewesen seien, verwendet. Eine ausdrückliche Vereinbarung über die Verwendung sei nicht erforderlich gewesen. Insoweit sei die Sache zumindest an das FG zurückzuverweisen. Die Proben würden durch die Untersuchung verbraucht oder aber zumindest nach der Prüfung im Inland vernichtet. Eine Rücksendung sei nicht möglich. Schließlich sei das FA an die erteilte Auskunft vom 6. Juli 1994 gebunden.
Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und die Umsatzsteuerbescheide 1997 bis 2000 vom 11. Juli 2002 und den Umsatzsteuerbescheid 2001 vom 8. August 2002 aufzuheben, hilfsweise, den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es verteidigt die Vorentscheidung. Die serologischen Untersuchungen seien keine Beratung. Die Proben seien im Inland verblieben.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Der Kläger hat seine Leistungen nach § 3a Abs. 1 UStG an seinem Unternehmensort im Inland zu versteuern, da es sich bei den von ihm erbrachten Leistungen weder um Arbeiten an noch um die Begutachtung von beweglichen körperlichen Gegenständen handelt und auch keine Beratungsleistungen vorliegen. Der Kläger kann sich gegen die Bescheide auch nicht auf Treu und Glauben berufen. Das Urteil des FG erweist sich deshalb im Ergebnis als zutreffend.
1. Die Voraussetzungen für eine von § 3a Abs. 1 UStG abweichende Ortsbestimmung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG liegen nicht vor.
a) Nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG werden Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände dort ausgeführt, wo der Unternehmer jeweils ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig wird. Verwendet der Leistungsempfänger gegenüber dem leistenden Unternehmer eine ihm von einem anderen Mitgliedstaat erteilte USt-Id-Nr., gilt die unter dieser Nummer in Anspruch genommene Leistung als in dem Gebiet des anderen Mitgliedstaates ausgeführt. Voraussetzung ist hierfür, dass der Gegenstand im Anschluss an die Leistung nicht in dem Mitgliedstaat verbleibt, in dem der leistende Unternehmer jeweils ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig geworden ist.
Diese Regelung beruht auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. c dritter und vierter Gedankenstrich der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), wonach als Ort der Begutachtungen beweglicher körperlicher Gegenstände und der Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen der Ort gilt, an dem diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt wurden, sowie auf Art. 28b Teil F der Richtlinie 77/388/EWG, wonach bei Begutachtungen von oder Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen, die an Empfänger erbracht werden, die eine USt-Id-Nr. in einem anderen Mitgliedstaat als dem haben, in dem diese Dienstleistungen tatsächlich erbracht werden, der Ort der Dienstleistungen als im Gebiet des Mitgliedstaats gelegen gilt, der dem Empfänger der Dienstleistung die USt-Id-Nr. erteilt hat, unter der ihm die Dienstleistung erbracht wurde. Dabei ist diese Abweichung nicht anzuwenden, wenn ein Versand oder eine Beförderung der Gegenstände aus dem Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistungen tatsächlich erbracht wurden, nicht erfolgt.
b) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) umfasst der Begriff "Begutachtung" i.S. von Art. 9 Abs. 2 Buchst. c dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG die Prüfung des körperlichen Zustands oder die Untersuchung der Echtheit eines Gegenstands zur Schätzung seines Wertes oder zur Bewertung etwa vorzunehmender Arbeiten oder des Umfangs eines Schadens (EuGH-Urteil vom 6. März 1997, C-167/95, Linthorst, Slg. 1997, I-1195 Rdnr. 13). Nicht als Begutachtung anzusehen sind die hauptsächlich und gewöhnlich von Tierärzten erbrachten Dienstleistungen. Selbst wenn die Dienstleistungen eines Tierarztes bisweilen in der Schätzung des Wertes eines Tieres oder eines Viehbestands bestehen können, handelt es sich hierbei nicht um die für die Funktion eines Tierarztes kennzeichnende Aufgabe (EuGH-Urteil Linthorst in Slg. 1997, I-1195 Rdnr. 14). Leistungen eines Tierarztes sind weiter auch nicht Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen, da sich dieser Begriff im Allgemeinen nur auf lediglich körperliche Eingriffe in bewegliche körperliche Gegenstände bezieht, die grundsätzlich nicht wissenschaftlicher oder intellektueller Natur sind (EuGH-Urteil Linthorst in Slg. 1997, I-1195 Rdnr. 16), was auf die Heilbehandlung von Tieren nach wissenschaftlichen Regeln nicht zutrifft (EuGH-Urteil Linthorst in Slg. 1997, I-1195 Rdnr. 17).
c) Im Streitfall ist das FG zu Unrecht von einer Begutachtung beweglicher körperlicher Gegenstände i.S. von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG ausgegangen.
Nach der Rechtsprechung des EuGH sind medizinische Analysen, die der vorbeugenden Beobachtung und Untersuchung von Patienten dienen (Laboruntersuchungen), der Art nach "ärztliche Heilbehandlungen" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b und "Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" i.S. von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG erbringt (EuGH-Urteil vom 8. Juni 2006 C-106/05, L. u. P. GmbH, Slg. 2006, I-5123 Rdnrn. 31, 39).
Medizinische Analysen und Laboruntersuchungen, durch die nicht Feststellungen zum menschlichen, sondern zum tierischen Gesundheitszustand getroffen werden, sind daher zwar keine humanärztliche, jedoch eine tierärztliche Leistung. Da diese nach der EuGH-Rechtsprechung weder als Begutachtung von noch ‑‑aufgrund ihrer wissenschaftlichen oder intellektuellen Natur‑‑ als Arbeiten an beweglichen Gegenständen anzusehen sind, kommt eine Leistungsortbestimmung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG nicht in Betracht. Darüber hinaus liegt auch keine Prüfung eines körperlichen Zustands zur Schätzung eines Wertes, zur Bewertung vorzunehmender Arbeiten oder eines Schadensumfangs vor. Die Probenuntersuchungen dienten der Feststellung, ob ein Versuchstierbestand frei von Infektionskrankheiten war.
2. Es handelt sich auch nicht um Beratungsleistungen i.S. von § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG.
a) Nach § 3a Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 Nr. 3 UStG wurden die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer, vereidigter Buchprüfer, Sachverständiger, Ingenieur, Aufsichtsratsmitglied, Dolmetscher und Übersetzer sowie ähnliche Leistungen anderer Unternehmer, insbesondere die rechtliche, wirtschaftliche und technische Beratung dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Die Vorschrift beruht auf Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG, wonach als Ort der Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstiger ähnlicher Leistungen sowie der Datenverarbeitung und der Überlassung von Informationen der Ort gilt, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat.
b) Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH sollen durch die Aufzählung einzelner Berufe in § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG einzelne Arten von Leistungen definiert werden (EuGH-Urteil vom 16. September 1997 C-145/96, von Hoffmann, Slg. 1997, I-4857 Rdnr. 15). Es muss sich um Leistungen handeln, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen eines dieser Berufe erbracht werden (EuGH-Urteil von Hoffmann in Slg. 1997, I-4857 Rdnr. 16). § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG gilt auch, wenn die Leistung einer der Leistungen, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen der ausdrücklich genannten Berufe erbracht werden, ähnlich ist. Maßgeblich ist, dass die Leistung dem gleichen Zweck dient; nicht erforderlich ist eine Ähnlichkeit zu einem § 3a Abs. 4 Nr. 3 UStG insgesamt gemeinsamen Element (vgl. EuGH-Urteil von Hoffmann in Slg. 1997, I-4857 Rdnrn. 20 f.). Weiter reicht nach der Rechtsprechung des EuGH der Umstand, dass die Aufgaben des Tierarztes manchmal Beratungs- oder Studienaspekte enthalten, nicht aus, um die hauptsächlich und gewöhnlich mit dem Tierarztberuf verbundenen Tätigkeiten als Leistungen von "Beratern" oder "Studienbüros" oder als "ähnliche Leistungen" anzusehen (EuGH-Urteil Linthorst in Slg. 1997, I-1195 Rdnr. 22). Der Kläger übt auch nicht als Mikrobiologe eine ähnliche Tätigkeit aus.
Die Voraussetzungen für eine Beratungsleistung liegen im Streitfall nicht vor, weil tierärztliche Leistungen, zu denen auch die Labor- und Analysetätigkeit gehört (s. oben II.1.c), nach der EuGH-Rechtsprechung keine Beratungsleistungen sind.
3. Die angefochtenen Bescheide verstoßen entgegen der Auffassung des Klägers nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben. Hierfür muss ein Verhalten der Finanzbehörde vorliegen, aus dem der Steuerpflichtige bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden soll (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BFH/NV 2009, 1734, unter II.1.c). Dies trifft auf das Schreiben des FA vom 6. Juli 1994 nicht zu. Der Erklärungsinhalt dieses Schreibens erschöpft sich in der Abgrenzung zwischen steuerfreien Umsätzen mit und ohne Recht auf Vorsteuerabzug für Zwecke der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen, ohne sich zur Frage des Leistungsorts zu äußern.