BFH II. Senat
AO § 122 Abs 1, FGO § 47, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, VwZG § 5, AO § 122 Abs 5
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 21. September 2010, Az: 14 K 14053/08
Leitsätze
1. NV: Ein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO liegt vor, wenn über eine zulässige Klage nicht zur Sache, sondern durch Prozessurteil entschieden wird.
2. NV: Wird ein Verwaltungsakt durch Empfangsbekenntnis zugestellt, beginnt eine Rechtsbehelfsfrist mit Ablauf des Tages, an dem der Zustellungsadressat das Empfangsbekenntnis unterzeichnet. § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO ist als Regelung über die Bekanntgabe von Verwaltungsakten durch einfachen Brief nicht anwendbar.
Tatbestand
I. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) lehnte den Antrag des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger), die entstandenen Säumniszuschläge zur Erbschaftsteuer über den bereits erfolgten Teilerlass hinaus in vollem Umfang zu erlassen, durch Bescheid vom 9. Juni 2009 ab und wies den Einspruch durch Einspruchsentscheidung vom 14. September 2009 als unbegründet zurück. Die Einspruchsentscheidung wurde dem damaligen Bevollmächtigten des Klägers, einem Steuerberater, ausweislich des von diesem datierten, unterzeichneten und an das FA zurückgesandten Empfangsbekenntnisses am 15. September 2009 zugestellt.
Mit dem an das FA gerichteten Schreiben vom 16. Oktober 2009, das den Eingangsstempel von diesem Tag erhielt, beantragte der Kläger persönlich erneut den Erlass der Säumniszuschläge. Mit ebenfalls an das FA gerichtetem Schreiben vom 13. November 2009 beantragte der Kläger "nunmehr im Klageweg", ihm die Hälfte der seit 9. Juli 2007 aufgelaufenen Säumniszuschläge zu erlassen. Ferner erhob der Kläger Klage wegen Erbschaftsteuer.
Das Finanzgericht (FG) wies diese Klagen nach Verfahrensverbindung ab. Die auf Erlass der Säumniszuschläge gerichtete Klage sah das FG wegen Versäumung der Klagefrist von einem Monat als unzulässig an. Die zulässigerweise dem Bevollmächtigten des Klägers zugestellte Einspruchsentscheidung sei dem Bevollmächtigten ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 15. September 2009 zugegangen und gelte gemäß § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) als am 17. September 2009 bekanntgegeben. Die Klagefrist von einem Monat sei daher beim Eingang des Schreibens vom 13. November 2009 bereits abgelaufen gewesen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand seien weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Das Schreiben vom 16. Oktober 2009 könne nicht als Klage gewertet werden.
Der Kläger macht mit der auf die Abweisung der Klage wegen des Erlasses der Säumniszuschläge beschränkten Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision geltend, das FG habe die Klage zu Unrecht als unzulässig angesehen. Das Schreiben vom 16. Oktober 2009 an das FA sei als Klage auszulegen und dem FA innerhalb der Klagefrist zugegangen. Da die Einspruchsentscheidung nach § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO erst am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post, mithin am 17. September 2009, als dem Kläger zugegangen gelte, sei die Klagefrist erst am 19. Oktober 2009, einem Montag, abgelaufen.
Das FA vertritt die Auffassung, die Klagefrist habe mit Ablauf des 15. September 2009 geendet, so dass das Schreiben vom 16. September 2009 nicht innerhalb der Frist eingegangen sei.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Es liegt zwar ein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor, wenn das FG zu Unrecht durch Prozess- anstatt durch Sachurteil entschieden und dadurch auch den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 25. August 2010 X S 20/10 (PKH), BFH/NV 2011, 49, und vom 3. November 2010 II B 55/10, BFH/NV 2011, 295, jeweils m.w.N.).
Ein solcher Verfahrensmangel ist im Streitfall aber nicht gegeben. Selbst wenn das Schreiben des Klägers vom 16. Oktober 2009 als gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA angebrachte Klage zu verstehen sein sollte, wurde die Klagefrist, die gemäß § 47 Abs. 1 FGO einen Monat beträgt und mit der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung beginnt, nicht gewahrt.
Die vom FA nach § 122 Abs. 5 Satz 1 AO angeordnete Zustellung der Einspruchsentscheidung vom 14. September 2009 richtete sich gemäß § 122 Abs. 5 Satz 2 AO nach den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG). Zum Nachweis der vom FA nach § 2 Abs. 3 Satz 1 VwZG gewählten Zustellung gegen Empfangsbekenntnis (§ 5 VwZG), genügte gemäß § 5 Abs. 7 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 VwZG das vom seinerzeitigen Bevollmächtigten des Klägers, einem Steuerberater, mit Datum und Unterschrift versehene Empfangsbekenntnis. Die Zustellung an den Bevollmächtigten mit Wirkung für den Kläger beruhte auf § 122 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 80 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 AO und § 7 Abs. 1 Satz 1 VwZG. Die vom FG und vom Kläger angeführte Vorschrift des § 122 Abs. 2 Halbsatz 1 Nr. 1 AO ist bei einer Zustellung durch Empfangsbekenntnis nicht anwendbar; sie betrifft lediglich die Übermittlung schriftlicher Verwaltungsakte durch die Post ohne förmliche Zustellung.
Die Klagefrist begann somit mit Ablauf des 15. September 2009, an dem der Bevollmächtigte des Klägers das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hatte (vgl. BFH-Urteil vom 31. Oktober 2000 VIII R 14/00, BFHE 193, 392, BStBl II 2001, 156), und endete nach § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung und § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 Alternative 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit Ablauf des 15. Oktober 2009. Das Schreiben vom 16. Oktober 2009 ist erst danach beim FA eingegangen. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumens der Klagefrist (§ 56 Abs. 1 FGO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.