BFH V. Senat
AO § 227, AO § 240, FGO § 69 Abs 2
vorgehend FG Düsseldorf, 27. Oktober 2009, Az: 4 K 2797/08 AO
Leitsätze
NV: Der vollständige Erlass von Säumniszuschlägen setzt voraus, dass der Steuerpflichtige in der Hauptsache obsiegt und ein von ihm betriebenes Aussetzungsverfahren zu Unrecht erfolglos geblieben ist. Für die Prüfung, ob eine Aussetzung der Vollziehung wegen "unbilliger Härte" hätte erfolgen müssen, sind die Anforderungen zu beachten, die das BVerfG in den Beschlüssen vom 22. September 2009 1 BvR 1305/09, DStR 2009, 2146 und vom 11. Oktober 2010 2 BvR 1710/10, DStR 2010, 2296 zur Auslegung des Merkmals aufgestellt hat .
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Der geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑), das Finanzgericht (FG) habe seiner Entscheidung entgegen § 96 Abs. 1 FGO einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt, wird nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt.
Werden mit der Beschwerde Verfahrensfehler geltend gemacht, ist nach ständiger Rechtsprechung u.a. darzulegen, dass der behauptete Fehler ausgehend vom materiell-rechtlichen Standpunkt des FG, der für die Prüfung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, maßgeblich ist, überhaupt entscheidungserheblich war (vgl. z.B. Senatsbeschluss vom 26. Mai 2010 V B 70/09, BFH/NV 2010, 1837). Dies hat die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nicht getan. Sie benennt in der Beschwerdebegründung lediglich zwei Feststellungen, die das FG unterstellt haben soll, wegen derer es den Tatbestandsberichtigungsantrag zu Unrecht abgelehnt und auf die es die Entscheidung gestützt habe. Sie geht in ihrer Beschwerdebegründung jedoch nicht darauf ein, warum die aus ihrer Sicht zutreffenden Feststellungen nach dem maßgeblichen rechtlichen Standpunkt des FG zu einem anderen Ergebnis geführt hätten. Hierzu hätte im Streitfall auch deshalb Anlass bestanden, weil das FG die streitigen Tatbestandsberichtigungen mit dem Argument abgelehnt hat, sie seien nicht entscheidungserheblich.
2. Die Klägerin legt nicht hinreichend dar, warum die von ihr formulierte Rechtsfrage grundsätzlich bedeutsam i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO sein soll.
Sie sieht es als grundsätzlich bedeutsam an, "ob ein vollständiger Erlass entstandener Säumniszuschläge aus persönlichen und sachlichen Billigkeitsgründen, die über Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit hinausgehen, dann nicht in Frage kommt, wenn die Erhebung sachlich nicht gerechtfertigter Steuern durch unnachsichtige Vollstreckung die wirtschaftliche und/ oder persönliche Existenz einer Steuerpflichtigen bereits vernichtet hat und ohne Billigkeitsmaßnahme diese auf Dauer nicht mehr wiederherzustellen ist".
Die Klägerin führt nicht aus, warum diese Frage im Streitfall entscheidungserheblich und damit klärungsfähig sein soll (zu dieser Voraussetzung Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 30). Das FG hat für den Senat in bindender Weise (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, dass die wahren Vermögensverhältnisse der Klägerin während des Entstehungszeitraums der Säumniszuschläge nicht zu ermitteln gewesen seien. Da nicht einmal feststeht, ob die wirtschaftliche Existenz der Klägerin vernichtet war, ist die von ihr aufgeworfene Rechtsfrage im Streitfall rechtlich nicht erheblich.
3. Die Revision ist schließlich nicht als Rechtsfortbildungsrevision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO zuzulassen.
a) Bei der Rechtsfortbildungsrevision handelt es sich um einen Spezialtatbestand der Grundsatzrevision (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. April 2007 III B 36/06, BFH/NV 2007, 1518; vom 9. Juni 2010 X B 41/10, BFH/NV 2010, 1783), so dass die Klägerin für den geltend gemachten Zulassungsgrund darlegen muss, warum auf Grundlage der Feststellungen des FG die aufgeworfene Rechtsfrage entscheidungserheblich und klärungsfähig sein soll.
Solche Ausführungen fehlen. Stattdessen geht die Klägerin von einem anderen als dem festgestellten Sachverhalt aus. Sie meint, es stehe fest, dass sie damals "objektiv" nicht mehr in der Lage gewesen sei, die im Senatsbeschluss vom 28. November 1997 V B 61/97 (BFH/NV 1998, 750) angeordnete Sicherheit zu leisten. Das FG hat demgegenüber bindend festgestellt, die wahren Vermögensverhältnisse der Klägerin hätten sich nicht ermitteln lassen.
b) Auf Grundlage der Feststellungen des FG ist eine Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts im Übrigen nicht erforderlich. Denn es steht nicht fest, wie die Vermögensverhältnisse der Klägerin im Zeitpunkt der Anordnung der Sicherheitsleistung waren. Somit kann es dahinstehen, ob die Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht in seiner jüngeren Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 22. September 2009 1 BvR 1305/09, Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2009, 2146; vom 11. Oktober 2010 2 BvR 1710/10, DStR 2010, 2296) für die Prüfung des Merkmals der "unbilligen Härte" zur Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Gebots effektiven Rechtsschutzes in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes aufgestellt hat, dazu hätten führen müssen, dass die Anordnung der Sicherheitsleistung hätte unterbleiben oder aufgehoben werden müssen. Nur wenn die Anordnung der Sicherheitsleistung hätte unterbleiben müssen, käme nach der Rechtsprechung (BFH-Urteile vom 29. August 1999 V R 78/86, BFHE 165, 178, BStBl II 1991, 906; vom 20. Mai 2010 V R 42/08, BFHE 229, 83, BStBl II 2010, 955) ein vollständiger Erlass der Säumniszuschläge in Betracht, weil dann sowohl das Aussetzungsverfahren zu Unrecht erfolglos geblieben wäre als auch die Klägerin in der Hauptsache obsiegt hätte.