BFH I. Senat
AO § 147 Abs 6 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1
vorgehend FG Münster, 30. Juni 2010, Az: 6 K 357/10 AO
Leitsätze
NV: Es ist nicht i.S. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO klärungsbedürftig, dass "nicht für Buchhaltungszwecke unterhaltene EDV-Systeme (Datenmanagementsysteme) als Datenverarbeitungssysteme i.S. der AO" anzusehen sind und dass das "Digitalisieren, Scannen und Speichern von papierenen Eingangsrechnungen als 'Erstellen von Unterlagen mittels eines Datenverarbeitungssystems'" i.S. des § 147 Abs. 6 Satz 1 AO tatbestandsmäßig ist. Diese Rechtsfragen sind durch den Beschluss des erkennenden Senats vom 26. September 2007 I B 53, 54/07 (BFHE 219, 19 BStBl II 2008, 415) und Folgerechtsprechung des BFH in ausreichendem Maße geklärt .
Tatbestand
I. Streitig ist, ob im Rahmen einer Außenprüfung eine Verpflichtung besteht, einen Lesezugriff auf ein betriebliches Dokumentenmanagementsystem einzuräumen, um dort digitalisierte Eingangsrechnungen einsehen zu können.
Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, die … produziert, gehört einer Unternehmensgruppe (Konzern) an. Der Unternehmenssitz befindet sich in A; in B unterhält die Klägerin ihre Produktionsstätte. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) führt seit Mai 2009 im Auftrag des Finanzamts C eine Außenprüfung (Prüfungszeitraum 2004 bis 2007) durch. Die Prüfung findet in den Geschäftsräumen der Klägerin in B statt. Dabei gewährte die Klägerin den Betriebsprüfern sowohl direkten als auch indirekten Zugriff auf die von ihr unterhaltene digitale Buchführung. Die der Buchführung zugrunde liegenden Originalbelege sind am Unternehmenssitz der Klägerin in A archiviert.
Im Zuge der Prüfung forderten die Betriebsprüfer die Klägerin mehrfach zur Vorlage von Eingangsrechnungen auf, um ‑‑nach der Darstellung des FA‑‑ zu klären, ob die in den Jahren 2006 und 2007 angefallenen zweistelligen Millionenbeträge zutreffend als Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten aktiviert oder den Reparaturkosten zugeordnet worden waren. Die Eingangsrechnungen wurden von der Klägerin aus dem Archiv in A herausgesucht und den Betriebsprüfern dann über die Geschäftsleitung der Klägerin als Kopie nach einiger Zeit (anfangs einigen Wochen) zur Verfügung gestellt. Die Klägerin nutzt seit Mitte 2006 ein Dokumentenmanagementsystem. In diesem System werden Dokumente unterschiedlichster Art digitalisiert und verarbeitet. Auch ein Großteil (ca. 85 bis 90 %) der von der Klägerin bezogenen Eingangsrechnungen findet Eingang in das System, in dem die Rechnungen mit einem Barcode versehen, gescannt und im System abgespeichert werden. Das Dokumentenmanagementsystem ist nutzerorientiert ausgestaltet; es ermöglicht unterschiedlichen Nutzern per Kennwort einen (beschränkten) Zugriff auf unterschiedliche Ebenen. Außerdem enthält es eine Suchfunktion (sog. Verschlagwortung).
Am 10. November 2009 baten die Betriebsprüfer die Vertreter der Klägerin zunächst mündlich darum, den Zugriff auf die digitalisierten Eingangsrechnungen für den Zeitraum ab Mitte 2006 zuzulassen. Dadurch würde der aus Sicht der Betriebsprüfung erhebliche Zeitversatz zwischen Beleganforderung und Vorlage von Belegen verkürzt und das Verfahren für die Beteiligten vereinfacht. Nachdem die Klägerin dieser Bitte nicht entsprach, fand am 26. November 2009 eine Besprechung zwischen der Betriebsprüfung und der Geschäftsleitung der Klägerin statt. Im Rahmen dieser Besprechung baten die Betriebsprüfer erneut um die Einräumung eines Lesezugriffs auf die im Dokumentenmanagementsystem digitalisierten Eingangsrechnungen. Die Vertreter der Klägerin erklärten dazu, dass sie zur Einräumung eines entsprechenden Lesezugriffs nicht verpflichtet seien. Sämtliche Eingangsrechnungen seien im Original archiviert und würden auf Anforderung des FA vorgelegt. Die im Dokumentenmanagementsystem eingescannten Belege seien dagegen unvollständig; daneben enthalte das System Unterlagen, die nicht steuerrelevant und mitunter datengeschützt seien (Zertifizierungen, Aktennotizen, Urlaubsanträge von Mitarbeitern etc.). Darüber hinaus sagte man den Betriebsprüfern jedoch zu, dass die Vorlage von angeforderten Unterlagen zukünftig schneller erfolgen und spätestens innerhalb von einer Woche erledigt werde.
Mit Schreiben vom 30. November 2009 forderte das FA die Klägerin auf, der derzeit laufenden Außenprüfung den Lesezugriff auf die im Dokumentenmanagementsystem digitalisiert hinterlegten Eingangsrechnungen spätestens bis zum 9. Dezember 2009 einzuräumen (§ 200 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 147 Abs. 1 und 5 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑). Gleichzeitig machte es deutlich, dass das Angebot der Klägerin zur Vorlage der angeforderten Belege in Papierform aus seiner Sicht nicht ausreichend sei. Seine Aufforderung wiederholte das FA mit Schreiben vom 9. Dezember 2009. Darin drohte es der Klägerin ferner die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000 € für den Fall an, dass der Aufforderung nicht bis zum 5. Januar 2010 entsprochen werde. Die Klage blieb erfolglos (Finanzgericht ‑‑FG‑‑ Münster, Urteil vom 1. Juli 2010 6 K 357/10 AO, Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1961).
Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision gegen das angefochtene Urteil zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde wird als unbegründet zurückgewiesen. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zu.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Fortentwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. März 2006 V B 80/05, BFH/NV 2006, 1250, m.w.N.). Sie muss klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar sein (BFH-Beschluss vom 19. Juli 2007 V B 222/06, BFHE 217, 310, BStBl II 2008, 163, m.w.N.). An einem Klärungsbedürfnis fehlt es, wenn die Rechtsfrage eindeutig so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat.
Die Klägerin hält für i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO klärungsbedürftig, ob "nicht für Buchhaltungszwecke unterhaltene EDV-Systeme (Datenmanagementsysteme) als Datenverarbeitungssysteme i.S. der AO" anzusehen sind und ob das "Digitalisieren, Scannen und Speichern von papierenen Eingangsrechnungen als 'Erstellen von Unterlagen mittels eines Datenverarbeitungssystems'" tatbestandsmäßig ist. Diese Rechtsfragen sind durch den Beschluss des erkennenden Senats vom 26. September 2007 I B 53, 54/07 (BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415) und die Folgerechtsprechung des BFH in ausreichendem Maße geklärt.
Der erkennende Senat hat in seinem Beschluss in BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415 entschieden, dass der Steuerpflichtige gehalten ist, der Außenprüfung im Original in Papierform erstellte und später durch Scannen digitalisierte Ein- und Ausgangsrechnungen über sein Computersystem per Bildschirm lesbar zu machen und dass er diese Verpflichtung nicht durch das Angebot des Ausdruckens auf Papier abwenden könne; darüber hinaus wurde entschieden, dass sich der Datenzugriff der Finanzverwaltung gemäß § 147 Abs. 6 AO "u.a. auf die Finanzbuchhaltung" erstreckt. Dass dieser Beschluss in einem Verfahren zum einstweiligen Rechtsschutz ergangen ist, lässt entgegen der Ansicht der Klägerin nicht ohne weiteres ein Klärungsbedürfnis i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO für die dort entschiedenen Rechtsfragen bestehen.
Auch haben sich in der Zwischenzeit weitere (abweichende) Erkenntnisse für den Senat nicht ergeben. Vielmehr sind in diesem Zusammenhang weitere BFH-Entscheidungen ergangen, die an diesen Senatsbeschluss anschließen. So hat etwa der VIII. Senat des BFH in seinem Urteil vom 24. Juni 2009 VIII R 80/06 (BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452) entschieden, dass zwischen § 147 Abs. 1 und § 146 Abs. 6 AO eine Korrespondenz besteht; dass die im Streitfall erheblichen Eingangsrechnungen zu den Unterlagen zählen, die die Klägerin gemäß § 147 Abs. 1 AO aufzubewahren hat, ist unstreitig. Darüber hinaus hat der IV. Senat in seinem Beschluss vom 12. November 2009 IV B 66/08 (BFH/NV 2010, 671) entschieden, dass die Rechtsfrage nicht klärungsbedürftig ist, ob "die Anforderung von Buchhaltungsunterlagen auf einem maschinell lesbaren Datenträger das Übermaßverbot" verletzt, "wenn der Betriebsprüfer Buchhaltungsunterlagen in Papierform zur Verfügung gestellt bekommen und prüfen kann". Diese Frage lasse sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten. Dieses eröffne nämlich der Finanzverwaltung die Möglichkeit, auf gespeicherte Daten zuzugreifen (§ 147 Abs. 6 AO), ohne danach zu unterscheiden, ob die in § 147 Abs. 1 AO genannten Unterlagen (auch) in Papierform vorliegen würden. Ferner werde in § 200 Abs. 1 Satz 2 AO zwischen der Vorlage der Unterlagen und den Befugnissen nach § 147 Abs. 6 AO unterschieden (Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 225, 302, BStBl II 2010, 452, unter II.1.b aa der Gründe). Der Datenzugriff nach § 147 Abs. 6 AO solle darüber hinaus die Rechte der Finanzbehörde erweitern, nicht aber deren bisher schon bestehende Befugnisse einschränken (Hinweis auf den Senatsbeschluss in BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415, unter B.II.3. der Gründe).