BFH V. Senat
FGO § 62 Abs 4, FGO § 134, ZPO § 87, ZPO § 578 Abs 1, ZPO § 580 Nr 7 Buchst b, ZPO § 586, ZPO § 587, ZPO § 589 Abs 1, ZPO § 579 Abs 1 Nr 4, FGO § 155, GG Art 103 Abs 1, GG Art 19 Abs 4
Leitsätze
1. NV: Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags setzt die schlüssige Darlegung von Tatsachen voraus, aus denen sich der behauptete Wiederaufnahmegrund ergibt .
2. NV: Ein von einem Rechtsanwalt ausdrücklich als "sofortige Beschwerde" bezeichneter Rechtsbehelf kann nicht in eine Gegenvorstellung umgedeutet werden .
3. NV: Der Mangel einer vorschriftsmäßigen Vertretung kann nur von dem nicht vertretenen Beteiligten gerügt werden .
Tatbestand
I. Die Klägerin, Beschwerdeführerin und Restitutionsklägerin (Klägerin) betreibt eine Wiederaufnahme der Verfahren V B 30/07 und V B 65/08.
Mit Beschluss vom 19. Mai 2008 (V B 30/07) hatte der Senat die Beschwerde der Klägerin wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Sächsischen Finanzgerichts (FG) vom 12. Dezember 2006 (4 K 741/02) als unbegründet zurückgewiesen. Die dagegen vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin eingelegte "sofortige Beschwerde" wurde mit Beschluss vom 14. November 2008 (V B 65/08) als unzulässig verworfen.
Zur Begründung ihrer mit Schriftsatz vom 28. September 2009 erhobenen Restitutionsklage trägt die Klägerin vor:
Mit dem am 26. August 2009 veröffentlichten Beschluss V S 10/07 vom 1. Juli 2009 (BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824) habe der V. Senat die Gegenvorstellung anerkannt. Die Voraussetzungen des § 580 Nr. 7 Buchst. b) der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 134 der Finanzgerichtsordnung (FGO) lägen somit vor, da die Gegenvorstellung in der vorliegenden Entscheidung noch als unzulässig angesehen worden sei. Da nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine unzulässige sofortige Beschwerde in eine Gegenvorstellung umzudeuten sei, hätte die sofortige Beschwerde nicht als unzulässig verworfen werden dürfen. Die Restitutionsklage sei auch begründet. Erst durch den BFH-Beschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 sei sie in die Lage versetzt worden, die Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung gegen einen Beschluss des BFH zu beweisen.
Die Beschlüsse V B 30/07 und V B 65/08 verstießen gegen Art. 101, 103 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes. Der aufgrund eines Beteiligtenwechsels "wahre" Beklagte sei nicht in den Prozess einbezogen worden. Dieser Mangel begründe auch eine Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, den Beschluss V B 65/08 über die sofortige Beschwerde/Gegenvorstellung aufzuheben, der sofortigen Beschwerde/Gegenvorstellung stattzugeben, den Beschluss V B 30/07 aufzuheben und die Revision im Verfahren V B 30/07 zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II. Der Senat kann offen lassen, ob die von einem Rechtsanwalt erhobene "Restitutionsklage" bereits wegen fehlender Statthaftigkeit unzulässig ist, da sie sich nicht auf ein Urteil i.S. von § 578 Abs. 1 ZPO bezieht, oder als Antrag zu verstehen ist, die angegriffenen Beschlüsse entsprechend § 134 FGO i.V.m. § 580 ZPO wieder aufzunehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 29. Januar 1992 VIII K 4/91, BFHE 165, 569, BStBl II 1992, 252; vom 16. Februar 1993 XI S 20/92, BFH/NV 1993, 613). Denn auch ein derartiger Antrag ist entsprechend § 134 FGO i.V.m. § 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
1. Die Restitutionsklage findet nach § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO statt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Mit der Restitutionsklage können Anfechtungsgründe, durch die eine dem angefochtenen Urteil vorausgegangene Entscheidung derselben oder einer unteren Instanz betroffen wird, geltend gemacht werden, sofern das angefochtene Urteil auf dieser Entscheidung beruht (§ 583 ZPO).
Gemäß § 589 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob die Klage an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form (§ 587 ZPO) und Frist (§ 586 ZPO) erhoben wurde. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Klage als unzulässig zu verwerfen (§ 589 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeantrags setzt nach der Rechtsprechung des BFH voraus, dass Tatsachen schlüssig dargelegt werden, aus denen sich ‑‑ihre Richtigkeit unterstellt‑‑ der behauptete Wiederaufnahmegrund ergibt (BFH-Beschluss vom 20. Februar 1998 VII K 7/97, BFH/NV 1998, 1248, m.w.N.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 134 FGO Rz 39 und 57).
2. Die Klägerin hat keinen Restitutionsgrund i.S. des § 580 ZPO schlüssig dargelegt.
a) Es kann offen bleiben, ob der Senatsbeschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 überhaupt eine "andere Urkunde" i.S. von § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO darstellt, da diese jedenfalls keine der Klägerin günstigere Entscheidung in der Sache V B 65/08 herbeigeführt haben würde. Die sofortige Beschwerde wäre vielmehr auch dann als unzulässig verworfen worden, wenn zum Zeitpunkt der Entscheidung am 14. November 2008 der Senatsbeschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 bereits vorgelegen hätte.
Die von der Klägerin geltend gemachte Umdeutung des von ihrem Prozessbevollmächtigten ausdrücklich als "sofortige Beschwerde" bezeichneten Rechtsbehelfs in eine Gegenvorstellung scheitert daran, dass es nach ständiger Rechtsprechung des BFH ein Gebot der Rechtssicherheit ist, Rechtskundige mit ihren Prozesserklärungen beim Wort zu nehmen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 18. August 2009 VIII B 95/09, BFH/NV 2010, 217; vom 7. Januar 2007 VIII B 157/06, BFH/NV 2007, 931, m.w.N.).
b) Hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens wegen der als unbegründet zurückgewiesenen Nichtzulassungsbeschwerde V B 30/07 hat die Klägerin nicht einmal ansatzweise Tatsachen vorgetragen, aus denen sich ein Wiederaufnahmegrund ergibt. Der von ihr angeführte BFH-Beschluss in BFHE 225, 310, BStBl II 2009, 824 war für das Verfahren V B 30/07 nicht entscheidungserheblich und hätte daher unter keinen Umständen zu einer für sie günstigeren Entscheidung führen können.
3. Soweit die Klägerin die Rechtswidrigkeit der Beschlüsse V B 30/07 und V B 65/08 wegen eines Vertretungsmangels auf Seiten des Prozessgegners geltend macht, wird ebenfalls kein Wiederaufnahmegrund i.S. von § 580 ZPO schlüssig dargelegt. Ein Vertretungsmangel begründet zwar nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO eine Nichtigkeitsklage. Selbst wenn ein derartiger Mangel vorläge, könnte sich die Klägerin aber im Streitfall nicht darauf berufen, weil der Mangel der vorschriftsmäßigen Vertretung nur vom nichtvertretenen Beteiligten gerügt werden kann (BFH-Urteil vom 7. August 1969 V K 2/68, BFHE 96, 385, BStBl II 1969, 660; BFH-Beschluss vom 27. Oktober 1992 VII R 71/92, BFH/NV 1993, 314, m.w.N.).
4. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom 25. März 2010 mitgeteilt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete. Die Kündigung der Vollmacht erlangt gemäß § 62 Abs. 4, § 155 FGO i.V.m. § 87 ZPO aber erst Wirksamkeit durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten (BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 87/76, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238). Ein anderer Prozessbevollmächtigter ist bisher nicht bestellt worden.