BFH VII. Senat
AO § 228, AO § 229 Abs 1, EStG § 36 Abs 4, EStG § 36 Abs 2
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 07. Dezember 2009, Az: 15 K 6030/06 B
Leitsätze
NV: Die Frist für die Zahlungsverjährung der Einkommensteuer wird durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt. Die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen kann daher nach Ablauf dieser Frist weder zugunsten noch zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden (Bestätigung des Urteils vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08, BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382) .
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) aufgrund ihrer Steuererklärungen von 1990 und 1991 zur Einkommensteuer 1989 und 1990 veranlagt worden. Auf die dabei für 1989 festgesetzte Steuer von rund 450.000 DM sind neben Einkommensteuervorauszahlungen durch entsprechende Steuerbescheinigungen nachgewiesene Kapitalertragsteuer und Körperschaftsteuer, welche angeblich auf vom Kläger im Wege des Dividenden-Stripping erworbene Aktien entrichtet worden waren, angerechnet worden, so dass es zu ei-nem Guthaben von rund 6.000 DM kam, das in der vorgenannten Verfügung ausgewiesen wurde. Als das FA aufgrund von Ermitt-lungen der Steuerfahndung Ende des Jahres 2000 zu der Auffas-sung gelangte, es habe sich bei den betreffenden Aktienge-schäften um Luftgeschäfte mit weder im rechtlichen noch im wirtschaftlichen Eigentum des Verkäufers stehenden Aktien ge-handelt, änderte es mit Bescheid vom 27. Dezember 2000 die An-rechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989, ebenso die angeb-lich in gleicher Weise fehlerhafte Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990, was jedoch insoweit nach dem Urteil des Finanzgerichts (FG), das der Klage gegen diese Änderung stattgegeben hat, nicht mehr Streitgegenstand ist.
Als es wegen der Rechtmäßigkeit der zu den Anrechnungsverfügungen für 1989 und 1990 ergangenen Änderungsbescheide mit den Klägern zum Streit kam, erließ das FA den Abrechnungsbescheid vom 21. Oktober 2005, den es am 25. November 2009 berichtigte, und die gegen den vorgenannten Abrechnungsbescheid von den Klägern erhobenen Einspruch zurückweisende Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005.
Die hiergegen gerichtete Klage hat das FG ‑‑unter Aufhebung der für 1990 ergangenen Bescheide‑‑ abgewiesen. Es sah als er-wiesen an, dass die angerechneten Steuerbeträge tatsächlich nicht entrichtet worden sind, und war der Auffassung, dass die Anrechnung dieser Beträge zugunsten der Kläger in der Anrechnungsverfügung zum Einkommensteuerbescheid 1989 i.S. des § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) auf deren Angaben beruhte. Da der deshalb gerechtfertigten Rücknahme der Anrechnungsverfügung § 130 Abs. 3 AO nicht entgegenstehe ‑‑die dort geregelte Frist sei gewahrt worden‑‑ und die Entscheidung des FA in der Fassung des Bescheides vom 29. November 2009 auch frei von Ermessensfehlern sei ‑‑sie werde durch die Erwägung ausreichend begründet, dass die Kläger Nutznießer der fehlerhaften Anrechnung seien‑‑, sei die Klage insoweit abzuweisen. Zahlungsverjährung sei nicht eingetreten. Denn da sich aus der ursprünglichen Anrechnung ein Erstattungsanspruch zugunsten der Kläger ergeben habe, sei eine Abschlusszahlung i.S. des § 36 Abs. 4 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zunächst nicht, vielmehr erst durch den Wegfall des anzurechnenden Be-trages von 97.500 DM fällig geworden. Den Zahlungsanspruch ha-be das FA auch nicht verwirkt.
Soweit das FG wegen der Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1989 dementsprechend die Klage abgewiesen hat, haben die Kläger Revision eingelegt. Sie berufen sich u.a. auf das Urteil des Senats vom 18. Juli 2000 VII R 32, 33/99 (BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133) und insbesondere das Urteil vom 27. Oktober 2009 VII R 51/08 (BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382), nach welchem im Streitfall die Voraussetzungen der Zahlungsverjährung zweifelsfrei seien. Denn die ‑‑hier zunächst unterbliebene‑‑ Ausweisung einer Abschlusszahlung gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 EStG sei nach dieser Entscheidung für die Dauer der Zahlungsverjährung ohne Bedeutung, welche vielmehr durch die Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt werde.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG aufzuheben, soweit darin die Rechtmäßigkeit des Abrechnungsbescheides zur Einkommensteuer 1989 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 19. Dezember 2005 sowie die Rechtmäßigkeit des geänderten Abrechnungsbescheides vom 25. November 2009 und der vorangegangenen Anrechnungsverfügung vom 27. Dezember 2000 bejaht wird.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Es hat sich zu vorgenanntem Vorbringen der Kläger nicht geäußert.
Entscheidungsgründe
II. Die zulässige Revision der Kläger ist begründet und führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen des FA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO), weil das FG verkannt hat, dass die Änderung der zur Einkommensteuer 1989 ergangenen Anrechnungsverfügung im Jahre 2000 wegen Zahlungsverjährung aus den gleichen Gründen rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt, wie dies das FG für die Anrechnungsverfügung zur Einkommensteuer 1990 angenommen hat.
Nach dem Urteil des erkennenden Senats in BFHE 227, 327, BStBl II 2010, 382 wird die Frist für die Zahlungsverjährung (§ 228 AO) durch die Bekanntgabe der Steuerfestsetzung in Lauf gesetzt, und zwar ungeachtet dessen, ob diese Festsetzung mit der Ausweisung eines Erstattungsanspruchs oder gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG einer Abschlusszahlung verbunden wird. Die Anrechnung kann daher nach Ablauf der in § 228 Satz 2, § 229 Abs. 1 AO geregelten Frist weder zugunsten (so schon Urteil des Senats in BFHE 192, 405, BStBl II 2001, 133) noch zu Lasten des Steuerpflichtigen geändert werden.
Da der Einkommensteuerbescheid 1989, wie sich aus der vom FG stillschweigend in Bezug genommenen Sachakte des FA ergibt, den Klägern bereits im September 1990 bekanntgegeben worden ist, war die Frist der Zahlungsverjährung mithin im Dezember 2000 abgelaufen. Hemmungs- und Unterbrechungstatbestände sind weder geltend gemacht noch ersichtlich. Die im Dezember 2000 vom FA verfügte Änderung der Anrechnungsverfügung ist folglich rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten. Sie ist zusammen mit den dazu ergangenen Abrechnungs-, Änderungs- und Einspruchsentscheidungen aufzuheben.