BFH III. Senat
EStG § 31 S 4, EStG § 32 Abs 6, BGB § 1612b Abs 5, GG Art 1, GG Art 20 Abs 1, GG Art 3 Abs 1, GG Art 6 Abs 1
vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 25. August 2008, Az: 15 K 10511/06 B
Leitsätze
NV: Durch den Beschluss des BVerfG vom 13. Oktober 2009 2 BvL 3/05 (BVerfGE 124, 282) ist geklärt, dass es mit dem verfassungsrechtlichen Gebot, existenznotwendigen Aufwand des Steuerpflichtigen und seiner Familie von der Einkommensteuer freizustellen, vereinbar ist, wenn die Regelungen des § 1612b Abs. 5 BGB und des § 31 Satz 4 EStG (jeweils in der für 2004 geltenden Fassung) dazu führen, dass sich weder die Unterhaltszahlungen eines Steuerpflichtigen für seine Kinder steuermindernd auswirken, noch er seinen Anspruch auf Kindergeld in vollem Umfang mit seiner Barunterhaltspflicht verrechnen kann .
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).
1. Dem Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist wegen der Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 FGO) nach § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, denn er war wegen Mittellosigkeit an der Einhaltung der Fristen gehindert und hat die versäumten Handlungen (Einlegung und Begründung der Beschwerde) rechtzeitig nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt.
2. Dahinstehen kann, ob die Begründung der Beschwerde den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Die Rechtssache hat nach Ergehen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 13. Oktober 2009 2 BvL 3/05 (BVerfGE 124, 282) insbesondere keine grundsätzliche Bedeutung mehr (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO).
a) Dieser Zulassungsgrund ist nur gegeben, wenn die für bedeutsam gehaltene Rechtsfrage im Allgemeininteresse klärungsbedürftig und im Streitfall klärbar ist. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die Rechtsfrage anhand der gesetzlichen Grundlagen und der bereits vorliegenden Rechtsprechung beantwortet werden kann und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung der Rechtsfrage durch den Bundesfinanzhof (BFH) geboten erscheinen lassen (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. März 2009 XI B 89/08, BFH/NV 2009, 976, m.w.N.).
b) Der Kläger macht geltend, dass seine tatsächlichen Unterhaltszahlungen für seine Kinder (100 % des Regelbetrags) im Streitjahr 2004 aufgrund der gesetzlichen Regelungen des § 31 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und des § 1612b Abs. 5 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) ‑‑jeweils in der für das Streitjahr 2004 geltenden Fassung‑‑ bei seiner Veranlagung zur Einkommensteuer nicht steuermindernd berücksichtigt worden seien. Er habe weder die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abziehen noch die tatsächlich gezahlten Barunterhaltszahlungen steuermindernd geltend machen noch die nach seinen persönlichen Einkommensverhältnissen mögliche Barunterhaltspflicht mit seinem (hälftigen) Anspruch auf Kindergeld verrechnen können. Grundsätzliche Bedeutung habe die Frage, ob dieses Ergebnis mit dem verfassungsrechtlichen Gebot vereinbar sei, den existenznotwendigen Bedarf des Steuerpflichtigen und seiner Familie von der Einkommensteuer freizustellen.
"Die Regelungen des EStG im Streitjahr" verstießen insoweit gegen das Grundgesetz (GG), als in Fällen wie dem vorliegenden die tatsächlichen Unterhaltszahlungen eines Steuerpflichtigen nicht von der Einkommensteuer freigestellt würden. "Diese Regelungen" verletzten den Gleichheitssatz, weil diejenigen zum Barunterhalt verpflichteten Steuerpflichtigen, die den Regelsatz nicht zahlen könnten, ohne sachlichen Grund schlechter behandelt würden als diejenigen zum Barunterhalt Verpflichteten, bei denen eine Anrechnung des ihnen zuzurechnenden Kindergeldes auf ihre Unterhaltspflicht erfolge, "sei es als Freibetrag, sei es in sonstiger Weise durch Berücksichtigung der Zahlung des (hälftigen) Kindergeldes bei der Festsetzung des Umfangs der Barunterhaltszahlungspflicht".
Der Beschluss des BVerfG in BVerfGE 124, 282 habe die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht entfallen lassen. Schon seinem Tenor zufolge betreffe dieser Beschluss nur den ‑‑hier gerade nicht vorliegenden‑‑ Fall, dass dem Steuerpflichtigen bei seiner Einkommensteuerberechnung Freibeträge für Kinder gewährt worden seien, die dann "um das ihm zuzurechnende halbe Kindergeld wieder in der Höhe vermindert worden" seien. Auch die Begründung des Beschlusses befasse sich nicht mit der hier streitigen Frage. Weder gehe es im Streitfall um die Zweckbestimmung des Kindergeldes noch um den Umfang der Minderung der Höhe des Freibetrags für Kinder bei einem zum Barunterhalt verpflichteten Steuerpflichtigen. Da beim Kläger überhaupt kein Freibetrag berücksichtigt worden sei, habe auch die Aussage des BVerfG, Änderungen der individuellen Unterhaltslast berührten das System der steuerlichen Entlastung des Unterhaltspflichtigen im Wege generalisierter Freibeträge nicht, solange diese das Existenzminimum angemessen abdecken, keine Auswirkung auf die hier zu klärende Rechtsfrage.
c) Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist durch den Beschluss des BVerfG in BVerfGE 124, 282 geklärt. Dieser Beschluss betraf zwar einen Fall, in dem die steuerliche Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes einschließlich der Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung durch das Kindergeld nicht in vollem Umfang bewirkt worden war, so dass bei der Veranlagung die Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG abgezogen wurden und die tarifliche Einkommensteuer um das "gezahlte" Kindergeld (im Streitjahr 2004: um den Anspruch auf Kindergeld) erhöht wurde. Es ist jedoch nicht ersichtlich, weshalb die Ausführungen des BVerfG, insbesondere zu § 1612b Abs. 5 BGB, nicht ebenso für einen Fall wie den des Klägers gelten, in dem die Günstigerprüfung ergeben hat, dass die steuerliche Freistellung bereits durch das Kindergeld bewirkt wurde.
aa) Das BVerfG führt aus, die Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB treffe eine Zweckbestimmung für die Verwendung des Kindergeldes. Hinter dieser Ausgestaltung stehe die materielle Verpflichtung des Barunterhaltspflichtigen, im Mangelfall den gemäß § 1612a Abs. 1, § 1612b Abs. 1 BGB geschuldeten Unterhalt auf das Barexistenzminimum (135 % des Regelsatzes nach der Regelsatz-Verordnung) aufzustocken. Insofern stelle sich die Regelung wirtschaftlich als Erhöhung der Unterhaltsverpflichtung des Barunterhaltspflichtigen dar. Es sei dem Gesetzgeber auch nicht verwehrt, bei der steuerlichen Berücksichtigung von Unterhaltsleistungen auf Wertungen des Familienrechts zurückzugreifen. Die Entscheidung des Steuergesetzgebers, die den Barunterhaltspflichtigen gemäß § 1612b Abs. 5 BGB treffende Last nicht gesondert zu erfassen, könne als Nachvollzug der familienrechtlichen Entscheidung verstanden werden, im Interesse der Existenzsicherung des Kindes dem Barunterhaltspflichtigen in Mangelfällen aufzugeben, den dem halben Kindergeld entsprechenden Betrag zur Aufstockung des Unterhalts einzusetzen (BVerfG in BVerfGE 124, 282).
Der Steuerpflichtige wird durch die Regelung des § 1612b Abs. 5 BGB also so behandelt, als habe er das (halbe) Kindergeld erhalten, es aber zur Aufstockung des Unterhalts verwendet. Auch der Kläger hat danach (mindestens) in dem Umfang, wie dies zur steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums seiner Kinder einschließlich der Bedarfe für Betreuung, Erziehung oder Ausbildung erforderlich war, in diesem Sinne Kindergeld erhalten. Dass bei ihm die steuerliche Freistellung bereits durch das Kindergeld und nicht erst durch die Freibeträge des § 32 Abs. 6 EStG bewirkt wurde, ist insoweit nicht entscheidend.
bb) Auch der behauptete Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich. Die steuerliche Entlastung kindesbedingter Minderung der Leistungsfähigkeit der von § 1612b Abs. 5 BGB betroffenen Steuerpflichtigen erfolgt nach denselben Bestimmungen wie diejenige anderer Unterhaltspflichtiger. Die durch diese Vorschrift bewirkten finanziellen Einschränkungen Betroffener sind Konsequenz ihrer geringen Leistungsfähigkeit. Nicht ersichtlich ist, inwiefern daraus eine Verpflichtung des Gesetzgebers folgen könnte, für diesen Personenkreis zur Wahrung des Gleichheitssatzes besondere, von den allgemeinen Bestimmungen des Familienleistungsausgleichs abweichende Regelungen zu schaffen (BVerfG in BVerfGE 124, 282).