BFH VI. Senat
FGO § 94a, FGO § 116 Abs 6, FGO § 119 Nr 3, FGO § 119 Nr 4
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 08. September 2010, Az: 12 K 3545/05
Leitsätze
1. NV: Auf Antrag eines Beteiligten muss auch bei einer Klage mit geringem Streitwert mündlich verhandelt werden (§ 94a Satz 2 FGO) .
2. NV: Wird in einem Schriftsatz eine Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt, kommt damit hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden soll .
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wendet sich mit seiner Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gegen das Urteil des Hessischen Finanzgerichts (FG) vom 9. September 2010 12 K 3545/05. Das FG hat in dem Verfahren nach billigem Ermessen gemäß § 94a der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung die Klage abgewiesen.
Dem Urteil vorangehend hatte das FG mit Verfügung vom 19. August 2010 einen Termin auf mündliche Verhandlung für den 14. September 2010 anberaumt. Mit Schreiben vom 7. September 2010 wies der Kläger darauf hin, dass ihm diese Verfügung erst am 6. September 2010 zugestellt worden sei und die Ladungsfristen damit nicht eingehalten worden seien. Aufgrund eines seit längerem feststehenden Termins beantrage er eine Verlegung der anberaumten mündlichen Verhandlung. Weiter vertrat der Kläger die Auffassung, dass aufgrund der Verfahrensdauer von 58 Monaten "die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage überflüssig geworden und dem Klageantrag in jedem Fall stattzugeben" sei. Mit Schreiben vom 8. September 2010 teilte das FG dem Kläger mit, dass der anberaumte Termin aufgehoben worden sei und nunmehr beabsichtigt sei, wegen des geringen Streitwertes nach § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Das FG begründet in seinem Urteil das Ergehen der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 94a FGO mit dem geringen Streitwert und der Bestätigung durch den Kläger im Schreiben vom 7. September 2010, dass "er einen mündlichen Verhandlungstermin für überflüssig" halte.
Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass das FG ohne mündliche Verhandlung entschieden und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe. Der Kläger habe nicht auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, sondern ausweislich des Schreibens vom 7. September 2010 die Auffassung vertreten, dass eine mündliche Verhandlung dann überflüssig sei, wenn dem Klagebegehren des Klägers stattgegeben werde.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung des FG nach § 116 Abs. 6 FGO.
1. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör und stellt eine Rechtsverletzung i.S. von § 119 Nr. 4 FGO dar. Das FG hätte nicht nach § 94a FGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen.
Nach § 94a Satz 2 FGO muss auch in den Fällen, in denen der Streitwert bei einer auf eine Geldleistung gerichteten Klage 500 € nicht übersteigt, auf Antrag eines Beteiligten mündlich verhandelt werden. Der Antrag kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent gestellt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. September 1999 XI R 24/99, BFHE 190, 17, BStBl II 2000, 32, m.w.N.).
Im Streitfall hat der Kläger mit Schreiben vom 7. September 2010 eine Verlegung des anberaumten Termins zur mündlichen Verhandlung beantragt. Mit diesem Antrag hat er hinreichend klar und deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine mündliche Verhandlung stattfinden soll. Die weiteren Ausführungen des Klägers, aufgrund der überlangen Verfahrensdauer sei "die mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage überflüssig geworden und dem Klageantrag in jedem Fall stattzugeben", berühren den (konkludenten) Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung nicht. Sie sind ‑‑wie vom Kläger vorgetragen‑‑ so zu verstehen, dass im Fall der Stattgabe der Klage aufgrund der überlangen Verfahrensdauer eine mündliche Verhandlung entbehrlich sei.
2. Es liegt ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 4 FGO vor, weil die Beteiligten nicht wirksam vertreten waren und das rechtliche Gehör verweigert wurde (§ 119 Nr. 3 FGO; vgl. Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 94a FGO Rz 8, m.w.N.). Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 116 Abs. 6 FGO). Durch die verfahrensfehlerhafte Versagung der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung war es dem Kläger nicht möglich, hinreichend an der Ermittlung des Gesamtergebnisses des Verfahrens i.S. des § 96 FGO mitzuwirken und sich insbesondere zu dem entscheidungserheblichen Sachverhalt zu äußern.