BFH IX. Senat
EStG § 10d Abs 1 S 1, EStG § 2 Abs 3, EStG § 52 Abs 1, EStR R 115 Abs 6
vorgehend FG Köln, 07. Dezember 2004, Az: 14 K 3823/02
Leitsätze
1. Im Rahmen des nach § 10d EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 zu beurteilenden Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 ist § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nicht anzuwenden (entgegen R 115 Abs. 6 EStR 1999) .
2. Voraussetzung für einen Rücktrag von negativen Einkünften ist nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG, dass diese bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte tatsächlich nicht ausgeglichen werden .
Tatbestand
I.
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) erzielte im Streitjahr (1998) Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 510.836 DM, Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von ./. 375.431 DM, Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 71.645 DM, Einkünfte aus Kapitalvermögen in Höhe von 50.977 DM sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von ./. 72.337 DM. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) setzte die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 68.998 DM fest.
Im Zuge der Abgabe der Einkommensteuererklärung für 1999 beantragte der Kläger, im Jahr 1999 angefallene Verluste in Höhe von 242.405 DM in das Streitjahr zurückzutragen. Mit Bescheid vom 24. Januar 2002 stellte das FA den zum 31. Dezember 1999 verbleibenden Verlustabzug zur Einkommensteuer für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb mit ./. 242.095 DM und für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung mit ./. 310 DM fest. Mit Bescheid vom 1. Februar 2002 wurde die Feststellung für die Einkünfte aus Gewerbebetrieb auf ./. 369.885 DM und für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung auf ./. 474 DM geändert. Unter dem 24. Januar 2002 erließ das FA einen geänderten Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr, mit dem die Steuer unverändert mit 68.988 DM festgesetzt wurde. Der Verlustrücktrag aus 1999 wurde mit 0 DM angesetzt. Zur Erläuterung verwies der Bescheid auf R 115 Abs. 6 der Einkommensteuer-Richtlinien 1999, wonach der Verlustrücktrag aus 1999 nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vorgenommen werden könne.
Mit seinem hiergegen gerichteten Einspruch beantragte der Kläger erfolglos, einen Teilbetrag des Verlustes aus 1999 in Höhe von nunmehr 160 963 DM auf das Streitjahr zurückzutragen.
Die Klage hatte überwiegend Erfolg. Das Finanzgericht (FG) vertrat in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2005, 436 veröffentlichten Urteil die Auffassung, die durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 eingeführten Verlustabzugsbeschränkungen in § 10d Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG fänden auch für den Verlustrücktrag vom Veranlagungszeitraum 1999 auf das Streitjahr Anwendung. Allerdings sei § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erst für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden; daher könne nur der Verlust des Jahres 1999 der Mindestbesteuerung unterworfen werden. Mithin ergebe sich auch unter Anwendung des § 10d EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 im Streitfall ein berücksichtigungsfähiger Verlustrücktrag im Rahmen einer Höchstbetragsberechnung nach § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002.
Mit der Revision rügt das FA zuletzt nur noch, dass mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zu § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 (Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 9. März 2011 IX R 56/05, BFHE 233, 152, BStBl II 2011, 649) dem Kläger bei zutreffender Einkommensteuerveranlagung des Jahres 1999 lediglich ein Rücktragsvolumen in Höhe von ./. 68.384 € zur Verfügung gestanden hätte. Dieser Betrag sei im Wege einer "Schattenrechnung" zu bestimmen. Zur weiteren Ermittlung des Rücktragsvolumens sei der Rechtsstreit an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Der BFH hat das Revisionsverfahren durch Beschluss vom 21. Februar 2007 XI R 3/05 bis zum Ergehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in dem Vorlageverfahren 2 BvL 59/06 ausgesetzt. Nach Abschluss dieses Verfahrens (s. BVerfG-Beschluss vom 12. Oktober 2010 2 BvL 59/06, BFH/NV 2010, 2387) hat der Senat das Revisionsverfahren mit Beschluss vom 18. Januar 2011 IX R 53/05 wieder aufgenommen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist im Ergebnis unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen.
1. Im Rahmen des Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in das Streitjahr ist § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002 nicht anzuwenden.
a) Nach § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 2 Mio. DM vom Gesamtbetrag der Einkünfte des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen. Dieser Grundsatz wird durch Abs. 1 Sätze 2 und 3 der Vorschrift dahin eingeschränkt, dass die negativen Einkünfte zunächst von den positiven Einkünften derselben Einkunftsart abzuziehen sind, die "nach der Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG verbleiben". Soweit in diesem Veranlagungszeitraum "durch einen Ausgleich nach § 2 Abs. 3 Satz 3" oder einen Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG die dort genannten Beträge nicht ausgeschöpft sind, mindern die nach § 10d Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 verbleibenden negativen Einkünfte die positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten bis zu einem Betrag von 100.000 DM, darüber hinaus bis zur Hälfte des 100.000 DM übersteigenden Teils der Summe der positiven Einkünfte aus anderen Einkunftsarten.
b) Die in § 10d Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 in Bezug genommene Regelung in § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist nach § 52 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden. Eine abweichende, das Streitjahr erfassende Anwendungsregelung ist dem Gesetz nicht zu entnehmen; der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf sein Urteil vom 9. März 2011 IX R 72/04 (BFHE 233, 147). Eine Anwendung des § 2 Abs. 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 im Rahmen des nach § 10d EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu beurteilenden Rücktrags eines 1999 erzielten Verlustes in den Veranlagungszeitraum 1998 ist daher nicht möglich.
2. Zwar ist das FG teilweise von anderen Grundsätzen ausgegangen, wenn es das Verlustausgleichspotential anhand der positiven Einkünfte des Veranlagungszeitraums 1998 im Rahmen einer Höchstbetragsberechnung nach § 10d Abs. 2 Satz 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ermittelt; die Revision ist gleichwohl als unbegründet zurückzuzuweisen.
a) Das FA vermag mit seiner Auffassung, der Rechtsstreit sei zur weiteren Ermittlung des Rücktragsvolumens an das FG zurückzuverweisen, nicht durchzudringen. Nach der Regelung in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 stehen für einen ‑‑wahlweisen, vgl. Abs. 1 Satz 7 der Vorschrift‑‑ Verlustrücktrag in das Vorjahr solche negativen Einkünfte zur Verfügung, die bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte "nicht ausgeglichen werden". Diese Formulierung in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 weist ‑‑anders als § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG (s. hierzu BFH-Urteil vom 29. Juni 2011 IX R 38/10, Deutsches Steuerrecht 2011, 1517)‑‑ keinen materiell-rechtlichen Bezug zu den Verlusten des Verlustentstehungsjahres auf. Dies folgt nicht nur unmittelbar aus dem Wortlaut des Abs. 1 Satz 1, sondern auch aus der Gesamtstruktur der Norm, die in Abs. 4 Satz 2 den verbleibenden Verlustvortrag definiert und dabei in dem beschriebenen Sinne differenziert zwischen den nach Abs. 1 (im Wege des Verlustrücktrags tatsächlich) abgezogenen und den nach Abs. 2 (im Wege des Verlustvortrags materiell-rechtlich) abziehbaren Beträgen. Erforderlich für einen Verlustrücktrag ist danach, dass es an einem tatsächlichen Ausgleich der genannten negativen Einkünfte fehlt. Ändert sich der (tatsächliche) Ausgleich der negativen Einkünfte im Verlustentstehungsjahr, ist auch der Verlustrücktrag zu ändern (§ 10d Abs. 1 Satz 5 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002).
Vor diesem Hintergrund kommt im Streitjahr die Berücksichtigung eines nach den Grundsätzen des BFH-Urteils in BFHE 233, 152, BStBl II 2011, 649 geänderten Ausgleichspotenzials aus dem Verlustentstehungsjahr 1999 nicht schon im Wege einer "Schattenrechnung", sondern nur dann in Betracht, wenn für dieses Jahr ein geänderter Einkommensteuerbescheid ergeht, in dem die negativen Einkünfte des Klägers in größerem Maße als bisher ‑‑tatsächlich‑‑ ausgeglichen werden.
b) Eine für den Kläger günstigere Entscheidung im Revisionsverfahren scheidet aus, weil dieser sich der Revision des FA nicht angeschlossen hat.