Zum Hauptinhalt springen Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen
auf der Richterbank liegen Barett und Arbeitsmappe, dahinter ein Richterstuhl, auf dem eine Robe hängt

Entscheidungen
des Bundesfinanzhofs

Entscheidungen online

Zur Hauptnavigation springen Zum Footer springen

Urteil vom 22. Juni 2011, I R 43/10

Umfang der Gewerbesteuerbefreiung von Altenheimen, Altenwohnheimen und Pflegeeinrichtungen

BFH I. Senat

AO § 68 Nr 1 Buchst a, KStG § 5 Abs 1, GewStG § 3 Nr 20 Buchst c, GewStG § 3 Nr 20 Buchst d

vorgehend FG Bremen, 11. Mai 2010, Az: 3 K 51/09 (1)

Leitsätze

Die Gewerbesteuerbefreiung des § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG 2002 umfasst nur Tätigkeiten, die für den Betrieb einer der dort aufgeführten Altenheime, Altenwohnheime und Pflegeeinrichtungen notwendig sind. Nicht erfasst von der Steuerbefreiung werden daher Überschüsse aus Tätigkeiten, die bei einer von der Körperschaftsteuer befreiten Körperschaft als steuerpflichtige wirtschaftliche Geschäftsbetriebe zu behandeln sind.

Tatbestand

I.

  1. Die Klägerin, Revisionsklägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) wurde im Jahr 1953 als Stiftung privaten Rechts gegründet. Sie betrieb im Streitjahr 2002 selbst oder durch Tochtergesellschaften Alten-, Altenpflege- und Altenwohnheime sowie Stiftungsresidenzen. Daneben vermietete sie Wohnungen im Rahmen des "Wohnens mit Service" (betreutes Wohnen). Außerdem unterhielt sie eine Schule für Altenpflege und eine Schule für Physiotherapie.

  2. Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen darüber, dass die Klägerin im Streitjahr nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke i.S. der §§ 51 ff. der Abgabenordnung (AO) verfolgt hat. Die von der Klägerin betriebenen Alten-, Altenpflege- und Altenwohnheime fallen unter § 3 Nr. 20 Buchst. c bzw. d des Gewerbesteuergesetzes (GewStG 2002), weil im Streitjahr mindestens 40 % der Leistungen den in § 61 Abs. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder den in § 53 Nr. 2 AO genannten Personen zugute kamen bzw. die Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil getragen wurden.

  3. Ausweislich ihrer zusammen mit der Körperschaftsteuererklärung für 2002 beim Beklagten, Revisionskläger und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) eingereichten Gewinnermittlung für das Streitjahr erzielte die Klägerin Überschüsse aus verschiedenen steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, u.a. aus Gästeessen und Gästeübernachtung, Werbeerträge aus der Hauszeitung, Lieferungen von Gas, Strom und Wasser aus einem Blockheizkraftwerk an Dritte sowie einem Bäderbetrieb, der auch durch Dritte genutzt wurde. Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb "Lieferung Gas, Strom und Wasser an Dritte" umfasst zum einen Energieverkäufe aus dem Betrieb des Blockheizkraftwerks und zum anderen Energieverkäufe der Klägerin an die Verpächterin der Räumlichkeiten eines Altenheims. Die zuletzt genannten Energieverkäufe der Klägerin betrafen die Durchleitung von Strom, Gas und Wasser zu anteilig umgelegten Einstandskosten. Die Klägerin erklärte aus ihren wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben einen Gewinn von 6.046,93 €. In ihrer Gewerbesteuererklärung für das Streitjahr zog sie hiervon die Ergebnisse der o.g. wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe sowie (geschätzte) Verwaltungskosten ab und erklärte einen Gewerbeertrag in Höhe von ./. 15.124,50 €. Das FA ging abweichend hiervon von gewerbesteuerpflichtigen Einkünften aus und setzte für das Streitjahr einen Steuermessbetrag in Höhe von 960 € fest. Dabei berücksichtigte es auch den aus dem Verkauf von Getränken und der Überlassung von Telefonen an Heimbewohner erzielten Überschuss.

  4. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Finanzgericht (FG) Bremen mit in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 1526 veröffentlichtem Urteil vom 12. Mai 2010  3 K 51/09 (1) zum überwiegenden Teil ab. Es war der Auffassung, nur der aus dem Verkauf von Getränken und der Überlassung von Telefonen an Heimbewohner erzielte Überschuss, nicht hingegen die Erträge aus den anderen streitigen wirtschaftlichen Tätigkeiten seien gewerbesteuerfrei.

  5. Hiergegen richten sich die Revisionen der Klägerin und des FA, mit denen jeweils eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als es der Klage nicht stattgegeben hat, und den Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag für 2002 vom 17. April 2009 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. September 2009 in der Weise zu ändern, dass der Steuermessbetrag nach dem Gewerbeertrag 2002 um denjenigen Betrag herabgesetzt wird, der sich ergibt, wenn der Gewinn aus Gewerbebetrieb 2002 um 22.439,40 € vermindert wird.

  6. Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

  7. Im Übrigen beantragen die Beteiligten wechselseitig, die Revision des jeweils anderen zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und deshalb zurückzuverweisen (§ 126 Abs 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des FG und zur Abweisung der Klage insgesamt (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FGO). Das FG hat die grundsätzliche Befreiung der Klägerin von der Gewerbesteuer zu Unrecht auf den Verkauf von Getränken und die Überlassung von Telefonen an Heimbewohner erstreckt.

  2. 1. Gemäß § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG 2002 sind u.a. Altenheime, Altenwohnheime, Pflegeheime sowie Einrichtungen zur ambulanten Pflege kranker und pflegebedürftiger Personen unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen von der Gewerbesteuer befreit. Zwischen den Beteiligten besteht Einvernehmen darüber, dass die von der Klägerin betriebenen Einrichtungen diese Voraussetzungen erfüllen. Von der Steuerbefreiung nicht umfasst sind jedoch diejenigen Gewinne, die die Klägerin aus den hier streitigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben erzielt hat.

  3. 2. a) § 3 Nr. 20 GewStG 2002 enthält keine unbeschränkte persönliche Steuerbefreiung. Von der Gewerbesteuer wird nicht der Träger der in § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG 2002 genannten Einrichtungen mit seinem gesamten Gewerbeertrag befreit; begünstigt werden vielmehr nur die aus dem Betrieb der Einrichtung resultierenden Erträge. Soweit der Träger der Einrichtung außerhalb derselben Erträge erzielt, unterliegen diese der Gewerbesteuer (Senatsurteil vom 10. März 2010 I R 41/09, BFHE 229, 358, BStBl II 2011, 181 mit Hinweis auf Senatsurteil vom 20. September 1966 I R 34/66, BFHE 87, 215, BStBl III 1967, 90; Urteil des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 19. März 2002 VIII R 57/99, BFHE 198, 137, BStBl II 2002, 662). Eine sachliche Rechtfertigung, auch diese gewerblichen Erträge in die Steuerbefreiung einzubeziehen, ist nicht ersichtlich. Sinn und Zweck des § 3 Nr. 20 GewStG 2002 ist es, die bestehenden Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen zu verbessern und die Sozialversicherungsträger von Aufwendungen zu entlasten (Senatsurteil vom 22. Oktober 2003 I R 65/02, BFHE 204, 278, BStBl II 2004, 300). Hieraus lässt sich ableiten, dass nur diejenigen Erträge begünstigt sind, die aus dem Betrieb der jeweiligen Einrichtung selbst erzielt werden, denn nur insoweit entstehen für die Sozialversicherungsträger Kosten. Eine wirtschaftliche Betätigung mit anderem Gegenstand ist dagegen steuerpflichtig.

  4. b) Wie das FG zu Recht ausgeführt hat, können damit von vornherein nur diejenigen Einnahmen und Ausgaben gewerbesteuerfrei sein, die mit Leistungen in den jeweiligen Einrichtungen gegenüber den dort untergebrachten und/oder behandelten Personen zusammenhängen, nicht dagegen solche Erträge, die aus Leistungen gegenüber Dritten erwirtschaftet wurden. Es mag zwar für den Betrieb eines Altenheims förderlich sein, wenn Besucher gegen Entgelt im Heim übernachten und mit den Heimbewohnern verköstigt werden können. Gleichwohl handelt es sich nicht um Erträge aus dem Betrieb einer derartigen Einrichtung. Gleiches gilt für die Einkünfte aus der Abgabe von Wärme an Dritte aus dem Betrieb des Blockheizkraftwerks und aus dem Bäderbetrieb, soweit es sich um Einkünfte aus der Nutzung von nicht in den Einrichtungen untergebrachten Personen handelt.

  5. c) Entgegen der Auffassung des FG sind auch diejenigen Gewinne, die die Klägerin aus dem Verkauf von Getränken und der Vermietung von Telefonen an Heimbewohner erzielt hat, gewerbesteuerpflichtig (Senatsurteil in BFHE 87, 215, BStBl III 1967, 90; Verfügung der Oberfinanzdirektion Magdeburg vom 9. März 2010 G 1412-10-St 216, juris; Blümich/von Twickel, § 3 GewStG Rz 102; vgl. auch Senatsurteil vom 27. März 1996 I R 182/94, BFHE 180, 444, BStBl II 1997, 449). Denn auch insoweit handelt es sich um Erträge aus einer Tätigkeit, die vom eigentlichen Betrieb der Einrichtung geschieden werden kann und vom Zweck der Steuerbefreiung in § 3 Nr. 20 GewStG 2002 nicht gedeckt ist. Auch insoweit ist die Klägerin daher partiell gewerbesteuerpflichtig.

  6. aa) Die Befreiungsvorschriften des § 3 GewStG 2002 sind hinsichtlich des Inhalts und Umfangs der Steuerbefreiung an den Katalog des § 5 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) angelehnt. Dementsprechend werden z.B. bei steuerbefreiten gemeinnützigen Körperschaften ebenso wie in § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 KStG Gewinne aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben nicht von der Gewerbesteuer befreit. Aus dem Umstand, dass sich ein entsprechender Vorbehalt in § 3 Nr. 20 GewStG 2002 nicht findet, kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht geschlossen werden, § 3 Nr. 20 GewStG 2002 wolle auch Erträge aus wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben, die nicht zu den in der Vorschrift genannten zählen, in die Steuerfreiheit einbeziehen. Denn anders als andere Steuerbefreiungen des § 3 GewStG 2002 können auch einkommen- oder körperschaftsteuerpflichtige Betreiber die Gewerbesteuerbefreiung des § 3 Nr. 20 GewStG 2002 beanspruchen. Der Umfang der Steuerfreiheit kann daher in dieser Vorschrift nicht in Anlehnung an die gemeinnützigkeitsrechtliche Unterscheidung zwischen ideeller Sphäre einerseits und wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb andererseits getroffen werden. Er ist vielmehr vor dem Hintergrund des Ziels der Vorschrift zu bestimmen. Erträge aus anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten in die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 GewStG 2002 einzubeziehen, ist danach sachlich nicht gerechtfertigt. Weder führte die Steuerfreiheit dieser gewerblichen Erträge zu einer Verbesserung der Versorgungsstrukturen bei der Behandlung kranker und pflegebedürftiger Personen noch ist ersichtlich, dass hierdurch Sozialversicherungsträger von Aufwendungen entlastet werden könnten (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 21. Januar 2009  8 K 6250/06 B, EFG 2009, 769; Thüringer FG, Urteil vom 20. Mai 2010  4 K 807/08, EFG 2010, 2022).

  7. Im Übrigen bezeichnet auch der u.a. für die Körperschaftsteuerbefreiung einschlägige § 68 Nr. 1 Buchst. a AO Alten-, Altenwohn- und Pflegeheime einschränkungslos als Zweckbetriebe, sofern sie in besonderem Maße den in § 53 AO genannten Personen dienen. Gleichwohl umfasst die Begünstigung nur solche Tätigkeiten, die für den Betrieb einer der genannten Einrichtungen notwendig sind (Senatsurteil vom 24. Januar 1990 I R 33/86, BFHE 159, 467, BStBl II 1990, 470). Dementsprechend hat die Klägerin die aus den hier streitigen Tätigkeiten resultierenden Überschüsse als Einkünfte aus wirtschaftlichem Geschäftsbetrieb behandelt. Es bestehen keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Gesetzgeber habe abweichend hiervon in die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 20 Buchst. c GewStG 2002 trotz nahezu identischen Wortlauts beider Vorschriften auch die Erträge aus körperschaftsteuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben einbeziehen wollen.

  8. bb) Aus dem Einwand der Klägerin, auch bei anderen Steuerbefreiungen wie z.B. Selbstversorgungsbetrieben (§ 68 Nr. 2 AO) seien Leistungen an Dritte in bestimmtem Umfang von der Steuerbefreiung mit umfasst, folgt nichts anderes. Denn § 68 Nr. 2 AO regelt ausdrücklich, dass Leistungen an Außenstehende bis zu 20 % der gesamten Lieferungen und sonstigen Leistungen unschädlich sind (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2009 V R 46/06, BFHE 224, 176, BStBl II 2009, 560). Das Fehlen einer vergleichbaren Regelung in § 3 Nr. 20 GewStG 2002 spricht eher dafür, dass § 3 Nr. 20 GewStG 2002 nur die in den Krankenhäusern, Heimen und Einrichtungen erbrachten Leistungen gegenüber Bewohnern und Patienten befreien will.

  9. cc) Auch der Hinweis der Klägerin auf das BFH-Urteil vom 15. September 2010 X R 21/08 (BFH/NV 2011, 235), nach dem das Betreiben eines Elektrounternehmens und einer Fotovoltaikanlage einen einheitlichen Gewerbebetrieb bilde, kann der Revision nicht zum Erfolg verhelfen. § 3 Nr. 20 Buchst. c und d GewStG 2002 enthalten keine Steuerbefreiung von Gewerbebetrieben, sondern regeln die Steuerbefreiung einzelner gewerblicher Tätigkeiten. Wollte man dies anders sehen, wäre eine Kapitalgesellschaft, die stets nur einen einheitlichen Gewerbebetrieb unterhält (§ 2 Abs. 1 Satz 1 GewStG 2002), mit sämtlichen gewerblichen Tätigkeiten steuerbefreit, sofern sie auch nur ein Altenheim betreibt. Dieses Auslegungsergebnis wäre weder sachlich gerechtfertigt noch sind Anhaltspunkte für eine dementsprechende Absicht des Gesetzgebers vorhanden.

  10. 3. Soweit das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben und die Klage auch insoweit abzuweisen.

Seite drucken