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Beschluss vom 14. April 2011, VI R 8/10

Pflegekosten als außergewöhnliche Belastungen

BFH VI. Senat

EStG § 33

vorgehend FG Köln, 14. Dezember 2009, Az: 12 K 4176/07

Leitsätze

Aufwendungen wegen Pflegebedürftigkeit sind nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, als die Pflegekosten die Leistungen der Pflegepflichtversicherung und das aus einer ergänzenden Pflegekrankenversicherung bezogene Pflege(tage)geld übersteigen .

Tatbestand

I.

  1. Die Beteiligten streiten um die Anrechnung von erhaltenem Pflegegeld auf die als außergewöhnliche Belastungen abzugsfähigen Pflegekosten.

  2. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Beide Eheleute beziehen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, der Kläger als Versorgungsbezüge. Der Kläger ist pflegebedürftig (Pflegestufe III) und lebt in einem Pflegeheim in B. Die für die Pflege entstehenden Aufwendungen werden ihm teilweise durch die Beihilfe und die Pflegeversicherung ersetzt. Er hat außerdem eine private Pflegezusatzversicherung abgeschlossen. Die hierfür gezahlten Beiträge hat er in den Jahren vor Eintritt des Versicherungsfalls in seinen Einkommensteuererklärungen als Sonderausgaben in der Rubrik "Kranken- und Pflegeversicherung" geltend gemacht. Aus dieser Versicherung bezieht er ein monatliches Pflegegeld. Für das Jahr 2004 erhielt er insgesamt 7.335 € und für das Jahr 2005  8.144 €. Die Versicherungsbedingungen lauten auszugsweise wie folgt: "Allgemeine Versicherungsbedingungen für die ergänzende Pflegekrankenversicherung Teil I: Musterbedingungen 1997 (MB/EPV 97) Der Versicherungsschutz § 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungsschutzes (1) Der Versicherer leistet im Versicherungsfall in vertraglichem Umfang Ersatz von Aufwendungen für Pflege oder ein Pflegegeld oder ein Pflegetagegeld sowie sonstige im Tarif vorgesehene Leistungen. (2) Versicherungsfall ist die Pflegebedürftigkeit einer versicherten Person. Pflegebedürftig sind Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, nach Maßgabe der Absätze 6 bis 8 in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen. (3) Die Hilfe im Sinne des Absatzes 2 Satz 2 besteht in der Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen. ... (8) Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt ... in der Pflegestufe III mindestens fünf Stunden betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mindestens vier Stunden entfallen. (9) Der Versicherungsfall beginnt mit der ärztlichen Feststellung der Pflegebedürftigkeit. Er endet, wenn Pflegebedürftigkeit nicht mehr besteht. ... § 5 Einschränkungen der Leistungspflicht (1) Keine Leistungspflicht besteht ... f) während der Durchführung einer vollstationären Heilbehandlung im Krankenhaus sowie von stationären Rehabilitationsmaßnahmen, Kur- oder Sanatoriumsbehandlungen und während der Unterbringung aufgrund richterlicher Anordnung, es sei denn, dass diese ausschließlich auf Pflegebedürftigkeit beruht; ... Allgemeine Versicherungsbedingungen für die ergänzende Pflegekrankenversicherung Teil II TARIF ... mit Tarifbedingungen ... II. Versicherungsleistungen 1. Es kann ein monatliches Pflegegeld von 300,- DM oder einem Vielfachen davon versichert werden. Bei Pflegebedürftigkeit wird das monatliche Pflegegeld

    in der Pflegestufein Höhe von
    III100 %  
    II60 %
    I30 %

    des vereinbarten Betrages gezahlt, wenn pflegerische Leistungen jeweils für den vollen Kalendermonat erbracht wurden. Die Pflegestufen sind in § 1 Abs. 6 MB/EPV 97 festgelegt. Eine Unterscheidung zwischen vollstationärer, teilstationärer und häuslicher Pflege wird nicht vorgenommen. ... 4. Bestehen die Voraussetzungen für die Zahlung des Pflegegeldes nicht für den vollen Kalendermonat, wird das Pflegegeld anteilig gezahlt. Dabei wird die Monatsleistung durch 30 geteilt und mit der Anzahl der Tage im Monat multipliziert, an denen pflegerische Leistungen erbracht wurden."

  3. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) führte die Einkommensteuerveranlagung der Streitjahre mit Einkommensteuerbescheiden 2004 vom 14. Dezember 2006 und 2005 vom 23. März 2007 zunächst erklärungsgemäß durch und berücksichtigte für den Kläger jeweils einen Pflege-Pauschbetrag in Höhe von 924 €. Gegen die Bescheide legten die Kläger fristgerecht Einspruch ein und machten im Einspruchsverfahren Krankheitskosten, insbesondere für die stationäre Pflege des Klägers, nach § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wie folgt geltend:  

    in €20042005
    Aufwendungen99.270,0199.677,06
    Erstattung/Beihilfe55.889,4553.677,06
    Erstattung Krankenkasse ohne Pflegegeld 19.812,6922.655,03
    verbleiben23.567,8723.344,97
    bereits mit Pflegepauschale berücksichtigt  924924
    Mehraufwand vor zumutbarer Belastung22.643,8722.420,97

                     

  4. Die Einsprüche waren überwiegend erfolgreich, das FA erkannte in der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 die Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen an, brachte jedoch entgegen der von den Klägern durchgeführten Berechnung noch das von der Pflegezusatzversicherung erhaltene Pflegegeld zum Abzug. Vor Berücksichtigung der zumutbaren Belastung kam es somit auf noch zu berücksichtigende Aufwendungen von 15.308,23 € in 2004 und 14.276,14 € in 2005.

  5. Die hiergegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 644 veröffentlichten Gründen abgewiesen.

  6. Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung von § 33 EStG.

  7. Die Kläger beantragen sinngemäß,

    das Urteil des FG Köln vom 15. Dezember 2009  12 K 4176/07 aufzuheben und die Einkommensteuerbescheide 2004 vom 14. Dezember 2006 und 2005 vom 23. März 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2007 dahingehend zu ändern, dass weitere außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 7.335 € für 2004 und in Höhe von 8.144 € für 2005 berücksichtigt werden.

  8. Das FA beantragt,

    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Der Senat entscheidet gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss. Er hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet worden; sie hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

  2. 1. Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Leistungen aus der ergänzenden Pflegekrankenversicherung auf die als außergewöhnliche Belastungen geltend gemachten Pflegekosten des Klägers anzurechnen sind.

  3. a) Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung) erwachsen. Zwangsläufig erwachsen dem Steuerpflichtigen Aufwendungen dann, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

  4. b) Aufwendungen für die Pflege eines pflegebedürftigen Steuerpflichtigen sind ebenso wie Krankheitskosten eine außergewöhnliche Belastung im o.g. Sinne (BFH-Urteil vom 10. Mai 2007 III R 39/05, BFHE 218, 136, BStBl II 2007, 764). Ist ein Steuerpflichtiger ‑‑wie vorliegend der Kläger‑‑ krankheitsbedingt in einem Altenpflegeheim untergebracht, kann er die dadurch entstehenden Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen geltend machen. Dies ist zwischen den Beteiligten zu Recht auch nicht streitig.

  5. c) Außergewöhnliche Belastungen i.S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG sind jedoch nur insoweit abzugsfähig, als der Steuerpflichtige die Aufwendungen endgültig selbst tragen muss (Wüllenkemper, Rückfluss von Aufwendungen im Einkommensteuerrecht, S. 117 ff.; Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach ‑‑HHR‑‑, § 33 EStG Rz 42, 44; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 33 Rz B 18). Deshalb sind Vorteile oder Kostenerstattungen, die der Steuerpflichtige als Ausgleich für die eingetretene Belastung erhält, belastungsmindernd anzurechnen (BFH-Urteil vom 30. Juni 1999 III R 8/95, BFHE 189, 371, BStBl II 1999, 766, m.w.N.). Diese Vorteilsanrechnung gründet auf der zweckgerichteten Auslegung des Begriffs der Aufwendungen und dem Merkmal der Außergewöhnlichkeit. Denn der Abzugstatbestand des § 33 EStG erfordert die verminderte subjektive Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen. Der Steuerpflichtige ist im Ergebnis lediglich um die Differenz von außergewöhnlichem Aufwand und Ersatzleistung belastet. Nur insoweit trägt er den außergewöhnlichen Aufwand tatsächlich und nur insoweit ist seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit vermindert (Wüllenkemper, Rückfluss von Aufwendungen im Einkommensteuerrecht, S. 117 ff.; HHR/Kanzler, § 33 EStG Rz 42, 44; Arndt, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 33 EStG Rz B 18).

  6. d) Die Vorteilsanrechnung, die der Vermeidung einer steuerlichen Doppelentlastung dient, ist jedoch nur geboten, wenn (steuerfreie) Ersatzleistung und Aufwand auf dem nämlichen Ereignis beruhen. Anzurechnen sind deshalb nur Vorteile in Geld oder Geldeswert, die der Steuerpflichtige erhält, um die entstandenen außergewöhnlichen Aufwendungen auszugleichen (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteile vom 19. Juli 1957 VI 106/55 U, BFHE 65, 250, BStBl III 1957, 329, und vom 15. September 1961 VI 231/60 U, BFHE 73, 687, BStBl III 1961, 516 betr. Beihilfeleistungen von Arbeitgeber und Krankenkasse auf Krankheitskosten; vom 22. Oktober 1971 VI R 242/69, BFHE 104, 63, BStBl II 1972, 177 betr. Leistungen aus einer Krankenhaustagegeldversicherung auf Krankenhauskosten und Schadensersatzleistungen des Unfallverursachers auf den Schaden; vom 19. Oktober 1990 III R 93/87, BFHE 162, 326, BStBl II 1991, 140 betr. Leistungen einer Sterbegeldversicherung, und vom 22. Februar 1996 III R 7/94, BFHE 180, 298, BStBl II 1996, 413 betr. Leistungen einer Kapitallebensversicherung, soweit diese Leistungen auf die eigentlichen <als außergewöhnliche Belastung> anzuerkennenden Beerdigungskosten entfallen; in BFHE 189, 371, BStBl II 1999, 766 betr. Zahlungen der Hausratversicherung auf die Wiederbeschaffungskosten von Hausrat und Kleidung, und vom 18. April 2002 III R 15/00, BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70 betr. Pflegezulage nach § 35 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges auf Kosten der krankheitsbedingten Unterbringung in einem Alters(wohn)heim).

  7. 2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise entschieden, dass die Pflegekosten des Klägers nur insoweit als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG zu berücksichtigen sind, als die Aufwendungen das aus der ergänzenden Pflegekrankenversicherung bezogene Pflegegeld übersteigen.

  8. a) Denn im Streitfall besteht ein enger wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den durch die Pflege entstandenen Kosten und den Leistungen aus der ergänzenden Pflegekrankenversicherung. Bei dieser handelt es sich um eine so genannte Pflegetagegeldversicherung. Der Versicherer leistet im Versicherungsfall unabhängig von der Höhe der tatsächlichen Pflegekosten einen in fester Höhe vereinbarten Betrag als monatliches "Pflegegeld". Versicherungsfall ist nach § 1 Abs. 2 MB/EPV 97 die Pflegebedürftigkeit der versicherten Person. Damit wird das Pflegetagegeld unter den nämlichen Voraussetzungen wie die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung und der privaten Pflegepflichtversicherung gewährt. Es handelt sich allerdings um eine freiwillige Zusatzversicherung, die darauf zielt, die Differenz zwischen den erwarteten tatsächlichen Pflegekosten und der gesetzlichen Grundsicherung (so genannte Pflegelücke) zu schließen (vgl. www.debeka.de/produkte/ versichern/krankenversicherung/tarif_pvz). Denn gesetzliche Pflegeversicherung und private Pflegepflichtversicherung sind als so genanntes Kernsicherungssystem ausgestaltet (BTDrucks 16/7439, S. 37). Eigenanteile und -leistungen der Pflegebedürftigen sind nach wie vor erforderlich, da die Pflegepflichtversicherung nur einen Teil der entstehenden Pflegekosten abdeckt.

  9. Damit wurzeln Pflegeaufwand und Pflegetagegeld im nämlichen Ereignis, der Pflegebedürftigkeit des Steuerpflichtigen. Auch soll das zusätzliche Pflegetagegeld die durch die Pflegebedürftigkeit anfallenden Mehrkosten, im Streitfall die dem Kläger entstandenen Kosten der Heimunterbringung, ausgleichen. Wegen dieses engen Zusammenhangs zwischen Versicherungsleistung und Aufwand ist nach dem Belastungsprinzip das in den Streitjahren geleistete Pflegetagegeld anzurechnen.

  10. b) Der Vorteilsanrechnung steht im Streitfall ‑‑im Gegensatz zur Ansicht der Kläger‑‑ nicht entgegen, dass der Versicherer das streitige Pflegetagegeld unabhängig von den tatsächlichen Pflegekosten leistet. Die ergänzende Pflegekrankenversicherung bleibt auch bei nicht verwendungsgebundenen Leistungen ihrer Art nach eine zusätzliche Pflegekostenversicherung. Der Versicherungsnehmer muss lediglich den verbleibenden Eigenanteil nicht belegmäßig nachweisen und kann die Versicherungsleistung deshalb auch in Anspruch nehmen, wenn er sich durch Angehörige statt durch professionelle Pflegekräfte betreuen lässt.

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