BFH III. Senat
AufenthG § 4 Abs 2, AufenthG § 32, AufenthG § 101, AuslG § 31 Abs 1, AuslG § 69 Abs 3, EStG § 62 Abs 2, FGO § 44
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 27. April 2009, Az: 13 K 2726/05
Leitsätze
Besitzt ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer einen Aufenthaltstitel, der nicht kraft Gesetzes zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit berechtigt, so hat er nur dann unter den weiteren Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG einen Anspruch auf Kindergeld, wenn ihm die Erwerbstätigkeit tatsächlich erlaubt worden ist .
Tatbestand
I.
Die im Juni 1986 geborene, aus dem Jemen stammende Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) reiste als Asylbewerberin in die Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) ein. Ab Dezember 2002 war ihr Aufenthalt geduldet, im März 2003 erhielt sie eine Aufenthaltsbefugnis für Familienangehörige nach § 31 Abs. 1 des Ausländergesetzes (AuslG 1990), die bis zum 17. Juni 2004 verlängert wurde. Im April 2004 wurde der Klägerin außerdem eine Bescheinigung erteilt, wonach ihr Aufenthalt gemäß § 69 Abs. 3 AuslG 1990 als erlaubt galt. Eine Arbeitsaufnahme war ihr nur mit gültiger Arbeitserlaubnis gestattet, ab dem Jahr 2005 hätte eine Beschäftigung mit Zustimmung der Arbeitsverwaltung erlaubt werden können. Tatsächlich war die Klägerin bis Oktober 2008 nicht im Besitz einer derartigen Erlaubnis.
Die Klägerin beantragte im Oktober 2004 Kindergeld für ihre im März 2004 geborene Tochter. Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 9. November 2004 ab, der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg. Im August 2005 stellte die Klägerin nicht nur für ihre Tochter, sondern auch für ihren im Juni 2005 geborenen Sohn einen weiteren Kindergeldantrag, über den die Familienkasse nach Aktenlage nicht entschieden hat.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, mit der die Klägerin Kindergeld für ihre beiden Kinder begehrte. Es war der Ansicht, die Aufenthaltsbefugnis der Klägerin nach § 31 Abs. 1 AuslG 1990 entspreche einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), die nur in Verbindung mit der Erlaubnis einer Erwerbstätigkeit zum Anspruch auf Kindergeld führe. Eine solche Erlaubnis habe jedoch nicht vorgelegen.
Zur Begründung der Revision trägt die Klägerin vor, es sei bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden, ob die Tatbestandsvoraussetzung nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), wonach sich die Berechtigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit aus der Aufenthaltserlaubnis ergeben müsse, auch in den Fällen zum Tragen komme, in denen die Ausländerbehörde in den Aufenthaltstitel einen Genehmigungsvorbehalt bzw. eine Auflage oder eine Nebenbestimmung aufgenommen habe. Im Streitfall sei eine Erwerbstätigkeit grundsätzlich gestattet gewesen, nur die individuelle Arbeitsaufnahme sei aufgrund der Nebenbestimmung eingeschränkt gewesen. Es sei nicht beabsichtigt gewesen, dass die Familienkassen jede beschränkende Nebenbestimmung in Aufenthaltstiteln überprüfen und als Ausschlussgrund berücksichtigen sollten. Unstreitig habe sie, die Klägerin, nie die Genehmigung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beantragt.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil, den Ablehnungsbescheid vom 9. November 2004 sowie die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 11. August 2005 aufzuheben und die Familienkasse zu verpflichten, Kindergeld für ihre Tochter ab März 2004 bis August 2005 und für ihren Sohn ab Juni 2005 zu gewähren.
Die Familienkasse beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für den Sohn gilt dies gemäß § 126 Abs. 4 FGO mit der Maßgabe, dass die Klage insoweit nicht unbegründet, sondern unzulässig ist.
1. Zu Unrecht hat das FG die Klage insoweit als unbegründet abgewiesen, als die Klägerin die Festsetzung von Kindergeld für ihren Sohn begehrt. Die Klage ist vielmehr mangels Durchführung eines Vorverfahrens gemäß § 44 Abs. 1 FGO als unzulässig abzuweisen.
Nach § 44 Abs. 1 FGO ist die Klage in den Fällen, in denen ein außergerichtlicher Rechtsbehelf gegeben ist, vorbehaltlich der §§ 45 und 46 FGO nur zulässig, wenn ein Vorverfahren über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ganz oder zum Teil erfolglos geblieben ist. Daran fehlt es im Streitfall. Die Familienkasse hat nach Aktenlage über den Kindergeldantrag für den Sohn nicht entschieden.
2. Zu Recht hat das FG einen Kindergeldanspruch der Klägerin für ihre Tochter verneint.
a) Die Neuregelung der Kindergeldberechtigung von Ausländern in § 62 Abs. 2 EStG ist mit Wirkung vom 1. Januar 2006 in Kraft getreten und erfasst gemäß § 52 Abs. 61a Satz 2 EStG alle Sachverhalte, bei denen ‑‑wie im Streitfall‑‑ das Kindergeld noch nicht bestandskräftig festgesetzt worden ist.
Die Neuregelung ist verfassungsgemäß. Die verfassungsrechtlichen Zweifel des Bundessozialgerichts (BSG) an der wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 des Gesetzes zum Erziehungsgeld und zur Elternzeit (BErzGG) ‑‑s. Vorlagebeschlüsse des BSG nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R (juris)‑‑ kommen beim steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen, da das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird (Senatsurteil vom 28. April 2010 III R 1/08, BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980, m.w.N.).
b) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis erhält nach § 62 Abs. 2 Nr. 2 EStG Kindergeld nur, wenn die Aufenthaltserlaubnis zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt oder berechtigt hat, es sei denn, es handelt sich um eine Aufenthaltserlaubnis i.S. des § 62 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG.
c) Im Streitfall hatte die Klägerin keine ausländerrechtliche Aufenthaltsgenehmigung, die ohne Hinzukommen weiterer zu erfüllender Voraussetzungen einen Anspruch auf Kindergeld einräumt.
aa) Betrifft der Sachverhalt ‑‑wie hier‑‑ einen Zeitraum vor 2005, in dem noch das AuslG 1990 galt, sind Aufenthaltsgenehmigungen i.S. des § 5 AuslG 1990 entsprechend den Fortgeltungsregelungen in § 101 AufenthG in Aufenthaltstitel im Sinne des AufenthG umzuqualifizieren (Senatsurteile vom 15. März 2007 III R 93/03, BFHE 217, 443, BStBl II 2009, 905, sowie vom 22. November 2007 III R 54/02, BFHE 220, 45, BStBl II 2009, 913).
bb) Die Klägerin war bis Juni 2004 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 31 AuslG 1990, die u.a. minderjährigen, ledigen Kindern erteilt wurde, die im Wege des Familiennachzugs in die Bundesrepublik eingereist waren. Diese Aufenthaltsbefugnis entspricht, wie das FG zutreffend entschieden hat, einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 AufenthG (vgl. Funke-Kaiser in Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, § 101 Rz 24; Albrecht in Storr/Wenger/Eberle/Albrecht/Harms/ Kreuzer, ZuwG, § 101 AufenthG Rz 31; BRDrucks 224/07, 365). Ein solcher Aufenthaltstitel berechtigt nicht kraft Gesetzes zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit ist Ausländern mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 32 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 AufenthG nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Ausländerbehörde gestattet (s. Senatsurteil vom 26. August 2010 III R 47/09, BFHE 230, 563, BFH/NV 2010, 2342, zur Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG). Unter Geltung des AuslG 1990 benötigten Ausländer mit einer Aufenthaltserlaubnis nach § 31 AuslG 1990 eine Arbeitserlaubnis der Bundesanstalt für Arbeit.
cc) Eine solche Erlaubnis lag im Streitfall nicht vor. Unerheblich ist, ob die Klägerin einen Anspruch darauf gehabt hätte. Ebenso, wie es für den Bezug von Kindergeld allein auf den tatsächlichen Besitz eines Aufenthaltstitels ankommt und nicht darauf, ob ein Anspruch auf einen solchen Titel bestand (s. Senatsurteil in BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980, m.w.N.), ist für die Arbeitserlaubnis oder die Erlaubnis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit allein deren tatsächliches Vorliegen entscheidend. Die Klägerin erfüllte somit nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 62 Abs. 2 EStG. Eine analoge Anwendung der Vorschrift zu ihren Gunsten ist nicht geboten (s. Senatsurteil in BFHE 230, 563, BFH/NV 2010, 2342).
dd) Die Fiktionsbescheinigung nach § 69 Abs. 3 AuslG 1990, die der Klägerin ab April 2004 erteilt worden war, führte ebenfalls nicht zu einem Anspruch auf Kindergeld (s. Senatsurteil vom 17. April 2008 III R 16/05, BFHE 221, 43, BStBl II 2009, 918).