BFH III. Senat
EStG § 70 Abs 2 S 1, EStG § 70 Abs 3, EStG § 70 Abs 1, EStG § 32 Abs 4 Nr 2, EStG § 32 Abs 4 Nr 1
vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz , 15. Mai 2006, Az: 6 K 2809/05
Leitsätze
1. Eine positive Kindergeldfestsetzung hat als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung Bindungswirkung für die Zukunft. Sie ist damit zugleich Rechtsgrundlage für die fortlaufende monatliche Zahlung des Kindergeldes (Monatsprinzip). Durch die fortlaufende Zahlung wird daher nicht monatlich eine neue Festsetzung vorgenommen .
2. Ist die Kindergeldfestsetzung zunächst rechtmäßig und wird sie nachträglich unrichtig, weil die Anspruchsvoraussetzungen im Nachhinein entfallen sind (Änderung der Verhältnisse), so ist die Festsetzung ab dem Folgemonat der Änderung, also gegebenenfalls auch rückwirkend, aufzuheben (§ 70 Abs. 2 Satz 1 EStG) .
Tatbestand
I.
Die im September 1986 geborene Tochter ... (T) des Klägers und Revisionsbeklagten (Kläger) wechselte nach Erlangung des Realschulabschlusses Ende August 2004 auf das Gymnasium, das sie voraussichtlich bis Ende März 2007 besuchen sollte. Die Beklagte und Revisionsklägerin (Familienkasse) setzte antragsgemäß mit interner Verfügung vom August 2004 für T ‑‑nach Vollendung deren 18. Lebensjahres‑‑ Kindergeld für den Zeitraum ab Oktober 2004 bis März 2007 fest.
Tatsächlich besuchte T das Gymnasium nur bis einschließlich Januar 2005. Im März 2005 bewarb sie sich für ein freiwilliges soziales Jahr bei den Johannitern und absolvierte dort im April 2005 ein kurzes Praktikum. Gegenüber der Familienkasse gab der Kläger an, T werde voraussichtlich ab Mai 2005 ein freiwilliges soziales Jahr ableisten. Daraufhin verfügte die Familienkasse in einer Gesprächsnotiz aus März 2005, die Zahlungen "weiterlaufen" zu lassen.
Ende Juni 2005 fragte die Familienkasse an, ob T das freiwillige soziale Jahr zwischenzeitlich aufgenommen habe, woraufhin der Kläger Anfang Juli 2005 erläuterte, dies sei noch nicht der Fall, da die in Aussicht gestellte Stelle bis August 2005 für Zivildienstleistende frei gehalten werden müsse. Noch im Juli 2005 wies die Familienkasse darauf hin, eine Weitergewährung des Kindergeldes sei in diesem Fall nur dann möglich, wenn der Kläger nachweise, dass T Arbeit oder Ausbildungsplatz suchend sei. Nachdem der Kläger dies im September 2005 verneinte, hob die Familienkasse die Kindergeldfestsetzung für T unter Verweis auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Bescheid vom 7. September 2005 ab Februar 2005 auf und forderte das für die Monate Februar bis September 2005 bereits gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 1.232 € zurück. Der Einspruch des Klägers blieb erfolglos.
Die Klage, mit welcher der Kläger die Aufhebung des Bescheids vom 7. September 2005 und der Einspruchsentscheidung begehrte, hatte insoweit Erfolg, als das Finanzgericht (FG) die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Monat August 2005 mangels Vorliegens einer Änderungsnorm für rechtswidrig erachtete und der Klage insoweit durch Urteil vom 16. Mai 2006 6 K 2809/05 stattgab.
Seine Entscheidung begründete das FG in diesem Punkt im Wesentlichen damit, Anfang Juli 2005 habe bereits festgestanden, dass T weder die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStG noch die der Nr. 2 Buchst. d EStG erfülle. Die Zahlung des Kindergeldes für den Monat August 2005 sei somit "rechtsgrundlos" erfolgt. Eine spätere Änderung der Verhältnisse habe nicht stattgefunden, die Voraussetzungen für eine Änderung nach § 70 Abs. 2 EStG hätten mithin bei Erlass des Aufhebungsbescheids nicht vorgelegen. Gemäß § 70 Abs. 3 EStG könne eine fehlerhafte Festsetzung nur mit Wirkung für die Zukunft ‑‑nicht aber wie von der Familienkasse rückwirkend‑‑ korrigiert werden.
Mit ihrer Revision rügt die Familienkasse hinsichtlich des Monats August 2005 eine Verletzung des § 70 Abs. 2 EStG in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung. Die Entscheidung des FG stehe im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ (Urteile vom 25. Juli 2001 VI R 78/98, BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88, und VI R 164/98, BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89; vom 26. Juli 2001 VI R 163/00, BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174).
Die Familienkasse beantragt, das Urteil des FG insoweit aufzuheben, als für den Monat August 2005 die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Tochter T aufgehoben wurde, und auch diesen Teil der Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung betreffend den Kindergeldanspruch des Klägers für den Monat August 2005 und zur Abweisung der Klage auch insoweit (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Die Familienkasse hat die Festsetzung des Kindergeldes zu Recht rückwirkend auch für August 2005 aufgehoben.
Die Familienkasse hat die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 EStG im Ergebnis zutreffend als gegeben angesehen. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung des Kindergeldes mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben oder zu ändern, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eintreten. Die Regelung betrifft den Fall, dass eine ursprünglich rechtmäßige Festsetzung durch Änderung der für den Bestand des Kindergeldanspruchs maßgeblichen Verhältnisse des Anspruchsberechtigten oder des Kindes nachträglich unrichtig wird (Senatsurteil vom 20. November 2008 III R 53/05, BFH/NV 2009, 564). Dies ist vorliegend der Fall.
a) Nachdem T den Schulbesuch Ende Januar 2005 "abgebrochen" hatte, stand dem Kläger ab Februar 2005 kein Kindergeld mehr zu, da T keinen der in § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 EStG aufgeführten Tatbestände erfüllte.
b) Insoweit haben sich die Verhältnisse gegenüber denen, die der ursprünglichen Festsetzung zugrunde lagen, in erheblicher Weise i.S. des § 70 Abs. 2 EStG geändert. Maßgeblich ist insoweit die Entscheidung der Familienkasse im August 2004, dem Kläger auf seinen ersten Fortzahlungsantrag angesichts der fortdauernden Schulausbildung Kindergeld für T ab Vollendung von deren 18. Lebensjahr an zu gewähren. Die antragsgemäße Festsetzung verfügte die Familienkasse in der Kindergeldakte, sah aber von einer schriftlichen Bescheiderteilung ab (§ 70 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG a.F.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH hat eine solche positive Kindergeldfestsetzung entsprechend der gesetzlichen Konzeption des § 70 Abs. 1 bis 3 EStG als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung Bindungswirkung für die Zukunft (BFH-Urteile in BFHE 196, 253, BStBl II 2002, 88, und BFHE 196, 257, BStBl II 2002, 89; s. auch Wendl in Herrmann/Heuer/Raupach, § 70 EStG Rz 6; Pust in Littmann/Bitz/ Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 70 EStG Rz 29). Die Festsetzung ist damit zugleich Rechtsgrundlage für die fortlaufende monatliche Zahlung des Kindergeldes (Monatsprinzip); durch die monatliche Zahlung des Kindergeldes wird die ursprüngliche Festsetzung nur jeweils konkludent bestätigt, es wird aber ‑‑entgegen der Ansicht des FG‑‑ insoweit nicht monatlich eine neue Festsetzung vorgenommen (Greite in Korn, § 70 EStG Rz 11).
Somit handelt es sich auch nicht um einen Fall der Änderung nach § 70 Abs. 3 EStG. Diese Änderungsnorm betrifft die Fälle, in denen der zutreffende Sachverhalt der Familienkasse bekannt ist, sie die ihr bekannten Tatsachen jedoch rechtlich unzutreffend würdigt, oder ihrer Entscheidung irrtümlich einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legt (BFH-Urteil in BFHE 196, 274, BStBl II 2002, 174). Im Zeitpunkt der Festsetzung des Kindergeldes lagen indes die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG vor, das Kindergeld wurde ursprünglich mithin zu Recht gewährt.
c) Die rückwirkende Aufhebung des Kindergeldes scheitert auch nicht daran, dass der Kläger seinen Mitwirkungspflichten stets zeitnah nachgekommen ist; eine Verletzung von Mitwirkungspflichten ist nicht erforderlich (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123; Blümich/Treiber, § 70 EStG Rz 21).
d) Da aufgrund der rechtmäßigen Aufhebung der Kindergeldfestsetzung der rechtliche Grund für die Zahlung des Kindergeldes weggefallen ist, ist das zuviel gezahlte Kindergeld von dem Kläger auch für August 2005 zurückzuzahlen (§ 37 Abs. 2 der Abgabenordnung). Insoweit ist es unerheblich, dass die Familienkasse das Kindergeld zunächst weiterhin auszahlte, obwohl sie bereits Anfang Juli 2005 davon Kenntnis hatte, dass T das freiwillige soziale Jahr nicht wie geplant im Mai oder Juni 2005 angetreten hatte. Die bloße Weiterzahlung trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, steht der Rückforderung nicht entgegen (Senatsurteil vom 21. Januar 2010 III R 17/07, BFH/NV 2010, 1423; Senatsbeschluss vom 28. Januar 2010 III B 37/09, BFH/NV 2010, 837, m.w.N.) ; insoweit liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben vor.