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Urteil vom 13. Januar 2011, V R 63/09

Ort der sonstigen Leistung bei Übernahme von radioaktiven Strahlenquellen - Begriff "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" - Kennzeichnende Merkmale des Ingenieurberufs - Tauschähnlicher Umsatz

BFH V. Senat

FGO § 96 Abs 1, FGO § 118 Abs 2, FGO § 121 S 1, UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG § 1 Abs 1 Nr 1, UStG § 3a Abs 1, UStG § 3a Abs 1, UStG § 3a Abs 2 Nr 3 Buchst c, UStG § 3a Abs 2 Nr 3 Buchst c, UStG § 3a Abs 3, UStG § 3a Abs 3, UStG § 3a Abs 4 Nr 3, UStG § 3a Abs 4 Nr 3, EWGRL 388/77 Art 9 Abs 1, EWGRL 388/77 Art 9 Abs 2 Buchst c, EWGRL 388/77 Art 9 Abs 2 Buchst e, EGRL 122/2003 Art 6 Buchst e, UStG § 3 Abs 12 S 2, UStG § 3 Abs 12 S 2

vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 10. November 2009, Az: 1 K 1237/08

Leitsätze

1. Die Übernahme von ausgedienten Strahlenquellen durch einen inländischen Unternehmer im Ausland kann im Verhältnis zu den in diesem Zusammenhang erbrachten weiteren Leistungen als Hauptleistung anzusehen sein, die gemäß § 3a Abs. 1 Satz 1 UStG im Inland ausgeführt wird .

2. Bei dem Ausbau und der Übernahme von Strahlenquellen handelt es sich nicht um Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen i.S. von § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG .

3. Der Ausbau und die Übernahme von Strahlenquellen als maßgebliche Hauptleistung gehören nicht zu den Tätigkeiten, die im Rahmen des Ingenieurberufs hauptsächlich und gewöhnlich erbracht werden .

Tatbestand

I.

  1. Streitig ist der Ort der von der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den Streitjahren (2003 bis 2005) erbrachten sonstigen Leistungen.

  2. Die Klägerin ist eine juristische Person in der Rechtsform einer GmbH, ihre Geschäftstätigkeit besteht u.a. in der Übernahme und Verwertung von radioaktiven Strahlenquellen. In den Streitjahren übernahm sie über 200 Strahlenquellen von im Ausland ansässigen Auftraggebern und beförderte diese ins Inland. Zwischen 10 % und 20 % der Strahlenquellen waren nicht mehr für die weitere Nutzung geeignet und wurden entsorgt, der Rest wurde wieder aufbereitet und befand sich noch im Bestand der Klägerin.

  3. Mit ihren Auftraggebern vereinbarte die Klägerin in einem einheitlichen Vertrag gegen Zahlung eines Gesamtpreises im Wesentlichen die Erbringung folgender Leistungen:

  4. - Einholung von Genehmigungen

    -      Bereitstellung eines Spezialcontainers

    -      Ausbau und Umladung der Strahlenquelle in den Container

    mit Besitzübergang auf die Klägerin, in einigen Fällen

    auch Rückbau der Einheit

    -      Abtransport des Containers aus dem Bestrahlungsraum

    -      Freimessung (Nachweis, dass der Raum, in dem sich die

    Strahlenquelle befunden hat, frei von radioaktiven Stoffen

    ist)

    -      Transportleistungen (Gefahrguttransport der Strahlenquelle

    einschließlich Versicherung) im Aus- und Inland.

  5. In Erfüllung dieser Vereinbarungen holte die Klägerin zunächst behördliche Transportgenehmigungen ein, organisierte dann einen Spezialcontainer, baute bei dem jeweiligen Auftraggeber die Strahlenquelle ‑‑und ggf. auch die sonstigen im Bestrahlungsraum vorhandenen Gerätschaften‑‑ aus, brachte diese in den Transportcontainer und schloss mit dem Auftraggeber einen sog. Abgrenzungsvertrag, wonach die von der Strahlenquelle ausgehende Gefahr auf die Klägerin übergeht. Die Strahlenquellen wurden zunächst zur Prüfung einer Wiederverwendung in das H-Institut nach X/Inland gebracht und anschließend entweder aufbereitet, entsorgt oder bei der Klägerin gelagert.

  6. Die aus dieser Tätigkeit erzielten Umsätze behandelte die Klägerin als nicht steuerbare Umsätze. Die im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Leistungsempfänger verwendeten gegenüber der Klägerin keine Umsatzsteuer-Identifikationsnummer. Im Ausland wurde die Klägerin insoweit nicht zur Umsatzsteuer herangezogen.

  7. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung und eine Betriebsprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) davon aus, dass die im Zusammenhang mit der Übernahme der Strahlenquellen im Gemeinschaftsgebiet erzielten Umsätze steuerbar seien und änderte daher am 11. Juli 2007 die Umsatzsteuerbescheide der Streitjahre nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung. Die hiergegen erhobenen Einsprüche wies das FA als unbegründet zurück.

  8. Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, die den ausländischen Auftraggebern erbrachten Leistungen seien nach § 3a Abs. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999/2005 (UStG) im Inland ausgeführt und damit steuerbar und steuerpflichtig.

  9. Die Klägerin habe gegenüber ihren Auftraggebern jeweils eine einheitliche Leistung erbracht. Hauptzweck der von der Klägerin erbrachten Leistungen sei ‑‑aus Sicht des Leistungsempfängers‑‑ die Übertragung der ausgedienten Strahlenquellen auf einen anderen Besitzer. Denn Besitzer ausgedienter Strahlenquellen seien aufgrund Art. 6 Buchst. e der Richtlinie 2003/122/EURATOM zur Kontrolle hochradioaktiver umschlossener Strahlenquellen nach Beendigung der Nutzung zur Rückgabe an den Lieferanten bzw. zur Weitergabe an einen anderen zugelassenen Besitzer verpflichtet. In der Weitergabe der Strahlenquellen und ggf. der mit diesen in Kontakt gekommenen Geräte an einen anderen zugelassenen Besitzer erschöpfe sich daher der Zweck, der für die Qualifizierung der Leistung der Klägerin heranzuziehen sei. Ob und wo die Klägerin die ausgedienten Strahlenquellen und Geräte entsorge, weiter- oder wiederverwende, spiele für die Auftraggeber keine Rolle. Für diese sei nur entscheidend, dass sie mit der Weitergabe der Strahlenquellen an die Klägerin ihren atomrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen seien. Die hierfür notwendigen Teilleistungen (Ausbau der Strahlenquelle, Anmietung eines Spezialcontainers, Einholen der Genehmigungen, Freimessung der Räumlichkeiten, Transport usw.) hätten für die Auftraggeber keinen eigenen Zweck, sondern stellten lediglich das Mittel dar, um die Hauptleistung ‑‑die Übergabe an einen zugelassenen Übernehmer‑‑ unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können und teilten damit das Schicksal dieser Hauptleistung.

  10. Bei der einheitlichen Leistung handele es sich nicht um Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen i.S. des § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG. Strahlenquellen und Geräte seien zwar bewegliche Gegenstände, die Weitergabe stelle aber mangels körperlichen Eingriffs in den Gegenstand keine Arbeit an einem beweglichen körperlichen Gegenstand dar. Der Ausbau der Strahlenquelle und der Geräte falle zwar unter den Begriff "Arbeiten an einem Gegenstand", er stelle jedoch für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck dar, sondern das Mittel, um die Hauptleistung "Weitergabe" in Anspruch nehmen zu können. Als "Arbeiten" an einem Gegenstand sei auch nicht die Entsorgung der radioaktiven Strahlenquellen anzusehen. Maßgebend für die Beurteilung der Leistungen könne nur sein, welche Leistungen gegenüber dem Auftraggeber aus dessen Sicht erbracht würden. Im Streitfall zählten dazu weder die Verschrottung noch die Wiederverwertung oder Lagerung der Strahlenquellen.

  11. Auch § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG für Leistungen aus der Tätigkeit als Ingenieur greife im Streitfall nicht ein. Bei den von der Klägerin erbrachten Leistungen handele es sich um eine Vielzahl von Leistungen, die einheitlich zu beurteilen seien und deren Hauptleistung in der Weitergabe der Strahlenquellen liege. Diese Hauptleistung sei keine Leistung aus der Tätigkeit eines Ingenieurs.

  12. Das Urteil ist veröffentlicht in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 1362.

  13. Mit ihrer Revision macht die Klägerin im Wesentlichen geltend:

  14. Bei den von ihr erbrachten Leistungen handele es sich um Arbeiten an beweglichen Gegenständen. Dazu zähle auch die Entsorgung, die Verschrottung oder die Vernichtung beweglicher Gegenstände. Der Abbau der Strahleneinrichtung (mit anschließendem Recycling bzw. Entsorgung) stelle den intensivsten körperlichen Eingriff in die Strahlenvorrichtung dar, sodass auch nach der Begriffsbestimmung des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ (Urteil vom 6. März 1997 C-167/95, Linthorst, Slg. 1997, I-1195) Arbeiten an beweglichen Gegenständen vorlägen. Die Strahlenquelle selbst einschließlich der sie umgebenden Betriebsvorrichtung würden ‑‑wie bei der Verschrottung‑‑ vollständig demontiert und die Voraussetzungen für den Einbau einer anderen Bestrahlungsvorrichtung vorbereitet. Der Ausbau der Strahlenquelle einschließlich Demontage der Einheit bildete das prägende Leistungselement.

  15. Soweit keine Arbeiten an beweglichen Sachen vorliegen sollten, handele es sich jedenfalls um Leistungen aus der Tätigkeit als Ingenieur i.S. von § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG. Im Zusammenhang mit der Begutachtung und dem Ausbau der Strahlenquelle seien nur Ingenieure und unter deren Aufsicht ingenieurmäßig vorgebildete Personen eingesetzt worden.

  16. Die Klägerin beantragt,

    unter Aufhebung des Urteils des Sächsischen FG vom 11. November 2009 die Umsatzsteuerbescheide 2003 bis 2005 vom 11. Juli 2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. Juni 2008 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2003 um 252.241,76 €, für 2004 um 155.174,32 € und für 2005 um 69.857,76 € herabgesetzt wird.

  17. Das FA beantragt sinngemäß,

    die Revision zurückzuweisen.

  18. Es verweist auf die Einspruchsentscheidung vom 11. Juli 2007 und trägt ergänzend vor: Es liege eine einheitliche, komplexe sonstige Leistung im Sinne des EuGH-Urteils vom 25. Januar 2001 C-429/97, Kommission/Frankreich (Slg. 2001, I-00637) vor, deren Ortsbestimmung sich nach § 3a Abs. 1 UStG richte. Das Wesen der komplexen Leistung "Abholung der Strahlenquelle" liege nicht in der Arbeit an beweglichen Gegenständen oder in einer Begutachtung dieser Gegenstände.

Entscheidungsgründe

II.

  1. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die sonstigen Leistungen steuerbar sind, da die Klägerin ihr Unternehmen von einem Ort im Inland (L) aus betreibt (§ 3a Abs. 1 UStG).

  2. 1. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer Lieferungen und sonstige Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt.

  3. a) Die von der Klägerin gegenüber ihren Auftraggebern erbrachten Leistungen sind vom FG zu Recht als einheitliche Leistung beurteilt worden.

  4. Nach der Rechtsprechung des EuGH, der sich der Bundesfinanzhof (BFH) angeschlossen hat, ist jeder Umsatz in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten; allerdings darf eine wirtschaftlich einheitliche Dienstleistung im Interesse eines funktionierenden Mehrwertsteuersystems nicht künstlich aufgespalten werden. Eine einheitliche Leistung liegt insbesondere dann vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung, ein oder mehrere andere Teile dagegen Nebenleistungen sind, die das steuerliche Schicksal der Hauptleistung teilen. Eine Leistung ist als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistenden unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (vgl. EuGH-Urteile vom 25. Februar 1999 C-349/96, Card Protection Plan (CPP), Slg. 1999, I-973 Rdnrn. 29, 30; vom 27. Oktober 2005 C-41/04, Levob, Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnrn. 19 bis 22; BFH-Urteile vom 15. Oktober 2009 XI R 52/06, BFHE 227, 231, BStBl II 2010, 869; vom 13. Juli 2006 V R 24/02, BFHE 213, 430, BStBl II 2006, 935, unter II.2.c aa).

  5. Die nach dieser Rechtsprechung erforderliche Gesamtbetrachtung, ob aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers eine einheitliche Leistung vorliegt (vgl. EuGH-Urteil Levob in Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnr. 19, m.w.N.), ist im Wesentlichen das Ergebnis einer tatsächlichen Würdigung durch das FG, die den BFH grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindet (z.B. BFH-Urteile vom 17. April 2008 V R 39/05, BFH/NV 2008, 1712, unter II.2.d; vom 24. Januar 2008 V R 12/05, BFHE 221, 310, BStBl II 2009, 60, unter II.2.b; vom 6. September 2007 V R 14/06, BFH/NV 2008, 624, unter II.2. und 3.; vom 6. Dezember 2007 V R 66/05, BFHE 221, 60, BStBl II 2008, 638, unter II.3.).

  6. b) Ausgehend hiervon ist die Würdigung des FG, dass die Übertragung der ausgedienten Strahlenquellen auf die Klägerin aus der maßgeblichen Sicht des Durchschnittsverbrauchers den Hauptzweck der klägerischen Leistungen darstellt und die in diesem Zusammenhang erbrachten weiteren Leistungen als Nebenleistungen anzusehen sind, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden:

  7. aa) Das FG ist von den dargelegten Abgrenzungsgrundsätzen des EuGH und des BFH ausgegangen und dabei zu dem Ergebnis gelangt, es liege eine aus Haupt- und Nebenleistung zusammengesetzte einheitliche Leistung vor, weil der Ausbau der Strahlenquelle, die Anmietung eines Spezialcontainers, das Einholen der erforderlichen Genehmigungen, die Freimessung der Räumlichkeiten, der Transport und die übrigen Teilleistungen keinen eigenen Zweck erfüllen, sondern aus Sicht der Leistungsempfänger lediglich das Mittel darstellten, um die Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch nehmen zu können. Das FG hat hierzu weiter ausgeführt, dass die jeweiligen Besitzer ausgedienter Strahlenquellen aufgrund Art. 6 Buchst. e) der Richtlinie 2003/122/EURATOM zur Kontrolle hochradioaktiver umschlossener Strahlenquellen nach Beendigung der Nutzung zur Weitergabe der Strahlenquellen an einen anderen zugelassenen Besitzer verpflichtet seien. In der Abgabe der Strahlenquellen und ggf. der mit diesen in Kontakt gekommenen Geräte an einen zugelassenen Besitzer erschöpfe sich der für die Qualifizierung der Leistung der Klägerin maßgebende Zweck. Ob und wo die Klägerin die ausgedienten Strahlenquellen und Geräte entsorge, ob sie diese weiter- oder wiederverwende, spiele für die Auftraggeber keine Rolle. Für diese sei nur entscheidend, dass sie mit der Weitergabe der Strahlenquellen ihren atomrechtlichen Verpflichtungen nachkomme.

  8. bb) Diese Würdigung des FG lässt Rechtsfehler nicht erkennen, sie verstößt insbesondere nicht gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze (vgl. § 118 Abs. 2 FGO; BFH-Urteile vom 6. März 2007 IX R 38/05, BFH/NV 2007, 1281, unter II.2.c; vom 4. Dezember 2001 IX R 70/98, BFH/NV 2002, 635, unter II.2., m.w.N.).

  9. cc) Auch wenn ‑‑entgegen der Würdigung des FG‑‑ keines der von der Klägerin erbrachten Leistungselemente dominierte und damit der einheitlichen Leistung als Hauptleistung das Gepräge gäbe, würde sich der Ort der sonstigen Leistung nach § 3a Abs. 1 UStG bestimmen. Denn in diesem Fall wäre von einer komplexen sonstigen Leistung im Sinne des EuGH-Urteils Kommission/ Frankreich in Slg. 2001, I-00637 auszugehen. Danach bestimmt sich der Ort der Leistung für verschiedene Dienstleistungen auf dem Gebiet der Abfallbehandlung ‑‑wie das Einsammeln, das Sortieren, die Beförderung, die Lagerung, die Bearbeitung, die Wiederverwertung und die eigentliche Beseitigung‑‑ gemäß Art. 9 Abs. 1 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG) nach dem Ort, an dem das Hauptunternehmen den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat (EuGH-Urteil Kommission/ Frankreich in Slg. 2001, I-00637 Rdnr. 49).

  10. 2. Eine von § 3a Abs. 1 UStG abweichende Ortsbestimmung nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c UStG oder § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG hat das FG zu Recht abgelehnt.

  11. a) Nach § 3a Abs. 2 Nr. 3 Buchst. c Satz 1 UStG werden Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen und die Begutachtung dieser Gegenstände dort ausgeführt, wo der Unternehmer jeweils ausschließlich oder zum wesentlichen Teil tätig wird. Unionsrechtliche Grundlage dieser Vorschrift ist Art. 9 Abs. 2 Buchst. c vierter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG. Danach befindet sich der Ort der Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen dort, wo diese Dienstleistungen tatsächlich bewirkt werden.

  12. aa) Die in § 3a Abs. 2 UStG verwendeten Begriffe "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" sind unionsrechtlich auszulegen. Nach der EuGH-Entscheidung Linthorst in Slg. 1997, I-1195 wird mit "Arbeiten an beweglichen körperlichen Gegenständen" im Allgemeinen ein Eingriff in bewegliche körperliche Gegenstände bezeichnet, der grundsätzlich nicht wissenschaftlicher oder intellektueller Natur ist. Dazu gehören insbesondere Reparatur- und Wartungsarbeiten an Maschinen und sonstigen beweglichen Sachen (vgl. Birkenfeld in Umsatzsteuer-Handbuch, § 74 UStG Rz 633; Leonard in Bunjes/Geist, UStG, 9. Aufl., § 3a Rz 22).

  13. bb) Die Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 UStG liegen ‑‑entgegen der Ansicht der Klägerin‑‑ nicht vor. Denn nach den vom FG in Bezug genommenen Vereinbarungen der Klägerin mit den Leistungsempfängern gehören weder die Entsorgung noch die Vernichtung der ausgedienten Strahlenquellen zu den von ihr geschuldeten Leistungen. Mit körperlichen Einwirkungen auf bewegliche Sachen verbunden ist lediglich der Ausbau der jeweiligen Strahlenquelle. Insoweit handelt es sich jedoch um eine Nebenleistung, die auch hinsichtlich der Ortsbestimmung das Schicksal der Hauptleistung teilt. Diese besteht in der Übernahme von Strahlungsquellen und ist, wie das FG zu Recht entschieden hat, kein körperlicher Eingriff in den Gegenstand.

  14. b) Die Leistungen der Klägerin fallen auch nicht unter § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG. Danach werden u.a. die sonstigen Leistungen aus der Tätigkeit als Ingenieur, sofern deren Empfänger ein Unternehmer ist, dort ausgeführt, wo der Empfänger sein Unternehmen betreibt. Diese Norm dient der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG. Abweichend von der Grundregel des Leistungsortes für sonstige Leistungen in Abs. 1 gilt danach als Ort der Leistungen von Beratern, Ingenieuren, Studienbüros, Anwälten, Buchprüfern und sonstigen ähnlichen Leistungen der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.

  15. aa) Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG bezieht sich nach der Rechtsprechung des EuGH nicht auf Berufe wie Anwalt, Berater, Buchprüfer oder Ingenieur, sondern auf Leistungen. Der Unionsgesetzgeber habe nicht alle freiberuflichen Tätigkeiten, sondern nur die hauptsächlich und gewöhnlich zu diesem Beruf gehörenden Leistungen erfassen wollen. Entscheidend sei deshalb, ob die betreffenden Leistungen zu den Leistungen gehören, die hauptsächlich und gewöhnlich im Rahmen der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e dritter Gedankenstrich der Richtlinie 77/388/EWG angeführten Berufe erbracht werden (EuGH-Urteile vom 7. Oktober 2010 C-222/09, Kronospan, BFH/NV 2010, 2377 Rdnr. 19; vom 16. September 1997 C-145/96, Hoffmann, Slg. 1997, I-4857 Rdnrn. 16 und 17; EuGH-Urteil Levob in Slg. 2005, I-9433, BFH/NV Beilage 2006, 38 Rdnr. 37). Diese Grundsätze sind auch bei der Auslegung des § 3a Abs. 3 und Abs. 4 Nr. 3 UStG zu berücksichtigen (vgl. BFH-Urteil vom 5. Juni 2003 V R 25/02, BFHE 202, 191, BStBl II 2003, 734, unter II.2.b a.E.).

  16. bb) Die Ausübung des Ingenieurberufs ist nach der EuGH-Rechtsprechung dadurch gekennzeichnet, Kenntnisse und bestehende Prozesse auf konkrete Probleme anzuwenden sowie neue Kenntnisse zu erwerben und neue Prozesse zur Lösung dieser und neuer Probleme zu entwickeln (EuGH-Urteil Kronospan in BFH/NV 2010, 2377 Rdnr. 19). Dies ist insbesondere der Fall, wenn auf der Grundlage natur- und technikwissenschaftlicher Erkenntnisse und unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Belange technische Werke geplant, konstruiert, oder ihre Fertigung überwacht wird oder aufgrund dieser Kenntnisse konkrete Probleme gelöst oder entwickelt werden (vgl. z.B. auch BFH-Urteile vom 17. Januar 2007 XI R 5/06, BFHE 216, 334, BStBl II 2007, 519; vom 4. Mai 2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989; vom 9. Februar 2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270 zu den charakteristischen Merkmalen des Ingenieurberufs).

  17. cc) Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die einheitliche Leistung der Klägerin nicht unter § 3a Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 UStG fällt. Die im Streitfall maßgebliche Hauptleistung der Klägerin, die Übernahme der Strahlenquellen, gehört nicht zu den Tätigkeiten, die im Rahmen des Ingenieurberufs hauptsächlich und gewöhnlich erbracht werden. Es ist daher nicht entscheidungserheblich, ob einzelne Teilleistungen typischerweise auch von Ingenieuren ausgeführt werden. Auch wenn für den Ausbau der Strahlenquellen natur- und technikwissenschaftliche Erkenntnisse erforderlich sein können und Arbeiten an Strahlenquellen gemäß den atomrechtlichen Vorschriften nur von Ingenieuren bzw. unter deren Aufsicht von ingenieurmäßig vorgebildeten Fachpersonen ausgeführt werden dürfen, hat das FG zu Recht ausgeführt, dass der Ausbau für den Leistungsempfänger keinen eigenen Zweck, sondern nur das Mittel darstellt, um die Hauptleistung in Anspruch nehmen zu können. Andere Arbeiten an Strahlenquellen fallen erst nach der Übernahme der Strahlenquellen und deren Beförderung ins Inland im Rahmen einer etwaigen Entsorgung bzw. Wiederverwertung an und gehören somit ‑‑wie bereits ausgeführt wurde‑‑ nicht zu den von der Klägerin geschuldeten Leistungen.

  18. 3. Nach den Verhältnissen des Streitfalls ist nicht darüber zu entscheiden, ob im Hinblick auf die der Klägerin zur weiteren Verwendung überlassenen Strahlenquellen eine Lieferung der Leistungsempfänger an die Klägerin vorliegt. Dies würde zu einem tauschähnlichen Umsatz und damit ggf. zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage für die erbrachten Leistungen führen. Im Hinblick auf das auch im Revisionsverfahren geltende Verböserungsverbot (§ 121 Satz 1 i.V.m. § 96 Abs. 1 Satz 2 FGO) ist es dem BFH jedoch versagt, über das erstinstanzliche Klagebegehren hinauszugehen.

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