BFH V. Senat
UStG § 15, AO § 163, AO § 347, FGO § 46
vorgehend Sächsisches Finanzgericht , 11. Oktober 2009, Az: 1 K 30/08
Leitsätze
1. NV: § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sieht eine Berücksichtigung des Guten Glaubens an das Vorliegen der Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges nicht vor.
2. NV: Beruft sich der Stpfl. darauf, der Vorsteuerabzug sei trotz Fehlens der Voraussetzungen im Billigkeitswege zu gewähren, ist die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme, bei der es sich um einen selbstständigen Verwaltungsakt handelt, mit der Entscheidung über den Vorsteuerabzug zu verbinden.
3. NV: Hat das FA über einen ausdrücklich oder konkludent gestellten Billigkeitsantrag nicht entschieden, kann der Stpfl. Untätigkeitseinspruch (§ 347 Abs. 1 AO) und ggf. Untätigkeitsklage (§ 46 FGO) erheben.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.
1. Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob die Vorlage eines deutschen Kraftfahrzeugbriefes bei der Abwicklung eines Kaufvertrages über Kfz die Annahme rechtfertigt, dass die Unternehmereigenschaft des Veräußernden bereits ausreichend durch behördliche Maßnahmen geprüft worden ist und ob aus diesem Aspekt ein derartiger Vertrauenstatbestand erwächst, dass ein Vorsteuerabzug zumindest aus Billigkeitsgründen gewährt werden kann, kann in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden. Nach den den Senat bindenden (§ 118 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) Feststellungen des Finanzgerichts (FG) waren Rechnungsaussteller und Leistender nicht identisch. Damit wäre der Vorsteuerabzug selbst dann zu versagen, wenn die Überlassung des Kfz-Briefes ein schutzwürdiges Vertrauen in die Unternehmereigenschaft des Verkäufers rechtfertigen würde.
Im Übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass § 15 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) im ‑‑hier vorliegenden‑‑ Festsetzungsverfahren keinen Schutz des guten Glaubens an die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorsieht (Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 8. Oktober 2008 V R 63/07, BFH/NV 2009, 1473; vom 30. April 2009 V R 15/07, BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744; vom 8. Juli 2009 XI R 51/07, BFH/NV 2010, 256).
2. Als Verfahrensfehler des FG rügt der Kläger sinngemäß das Fehlen von Entscheidungsgründen, weil das FG "zu zentral vorgebrachten Vertrauensschutzaspekten nicht abschließend Stellung" genommen habe. Das Fehlen der erforderlichen Begründung ist ein Verfahrensmangel, der gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zur Zulassung der Revision führen kann (BFH-Beschlüsse vom 17. Juni 2010 X B 218/09, BFH/NV 2010, 1633; vom 19. Oktober 2001 V B 48/01, BFH/NV 2002, 369). Ein solcher Mangel liegt zwar vor, wenn das FG ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat oder wenn die gegebene Begründung so substanzlos ist, dass es die maßgeblichen Feststellungen und Erwägungen des FG nicht erkennen lässt (BFH-Beschluss in BFH/NV 2010, 1633; BFH-Urteil vom 2. Oktober 2001 IX R 25/99, BFH/NV 2002, 363). Beides ist nicht der Fall.
Das FG hat zum Einwand des Klägers, der Gedanke des Vertrauensschutzes gebiete im Streitfall die Gewährung des Vorsteuerabzugs ‑‑zumindest im Billigkeitsweg‑‑ unter II.3. des FG-Urteils Stellung genommen und auf die Rechtsprechung des BFH (Urteil in BFHE 225, 254, BStBl II 2009, 744) verwiesen.
Danach sieht § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG einen Schutz des guten Glaubens an die Erfüllung des Vorsteuerabzuges nicht vor und es kommt ‑‑wenn die materiellen Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug wegen unzutreffender Rechnungsangaben nicht vorliegen‑‑ unter Berücksichtigung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nur ein Vorsteuerabzug im Billigkeitsverfahren (§§ 163, 227 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑) in Betracht.
Macht der Steuerpflichtige im Festsetzungsverfahren geltend, ihm sei der Vorsteuerabzug trotz Nichtvorliegens der materiell-rechtlichen Voraussetzungen zu gewähren, ist die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme zwar nach § 163 Satz 3 AO regelmäßig mit der Steuerfestsetzung zu verbinden. Gleichwohl sind Steuerfestsetzung und Billigkeitsentscheidung zwei Verwaltungsakte. Hat der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) über einen bereits im Festsetzungsverfahren ausdrücklich oder konkludent ‑‑wegen der Berufung auf Vertrauensschutz‑‑ gestellten Antrag auf eine Billigkeitsentscheidung nicht entschieden, hat der Steuerpflichtige verfahrensrechtlich die Möglichkeit des Untätigkeitseinspruchs (§ 347 Abs. 1 Satz 2 AO) und ggf. der Untätigkeitsklage (§ 46 FGO).
Im Streitfall war Gegenstand des Klageverfahrens jedoch allein die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides. Dass das FG in Bezug auf den beanspruchten Vertrauensschutz lediglich auf die Rechtsprechung des BFH verwiesen und über die Billigkeitsmaßnahme nicht entschieden hat, begründet daher keinen Verfahrensmangel.