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Beschluss vom 19. Juli 2010, I B 92, 93/09

Darlegung grundsätzlicher Bedeutung

BFH I. Senat

FGO § 46 Abs 1, FGO § 68, FGO § 70 S 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 116 Abs 3 S 3, AO § 365 Abs 3 S 1

vorgehend FG Münster, 12. Mai 2009, Az: 6 K 2131/08 AO

Leitsätze

NV: Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung muss u.a. vorgetragen werden, dass sich die Antwort auf die konkret entscheidungserhebliche Frage nicht schon aus der bisherigen BFH-Rechtsprechung ergibt.

Tatbestand

  1. I. Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Abrechnungsbescheids.

  2. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine KG. Sie war ursprünglich eine GmbH und hat durch eine auf den 30. Dezember 2000 wirkende Umwandlung ihre heutige Rechtsform erhalten. Im Streitjahr (2000) war ihre persönlich haftende Gesellschafterin eine GmbH; Kommanditistin war eine GmbH & Co. KG.

  3. Unternehmensgegenstand der Klägerin war der Erwerb und das Halten von Anteilen an Kapitalgesellschaften im Rahmen eines "Rücklagenmanagements". Dabei wurde im Anschluss an den Erwerb geringfügiger Beteiligungen an den betreffenden Kapitalgesellschaften ("Zielgesellschaften") diesen zunächst Kapital zugeführt, das die Gesellschaften sodann für Ausschüttungen verwenden sollten. Dadurch sollten bei den "Zielgesellschaften" vorhandene Körperschaftsteuerguthaben steuermindernd realisiert werden. Wegen der Einzelheiten des von der Klägerin verfolgten Konzepts wird auf das Senatsurteil vom 28. Juni 2006 I R 97/05 (BFHE 214, 276) verwiesen. Die Geschäftstätigkeit der Klägerin wurde durch eine Bank finanziert, die das Finanzgericht (FG) zum Klageverfahren beigeladen hat.

  4. Die "Zielgesellschaften" schütteten im Streitjahr insgesamt (Vorzugs-)Dividenden in Höhe von 738.286.233,09 DM (1.002.765.653,61 DM Brutto-Dividende abzüglich 250.691.393,40 DM Kapitalertragsteuer und 13.788.027,13 DM Solidaritätszuschlag) aus und führten die Kapitalertragsteuer an die zuständigen Finanzämter ab. Die Klägerin verwendete die erhaltenen Dividendenzahlungen zur Ablösung ihrer Verbindlichkeiten gegenüber der Beigeladenen. Ferner trat sie am 31. Januar 2001 einen Teil der ihr aus der Körperschaftsteuer-Veranlagung für das Streitjahr zustehenden Steuererstattungsansprüche in Höhe von 557.882.000 DM an die Beigeladene ab.

  5. In ihrer Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr machte die Klägerin Anrechnungsbeträge in Höhe von 429.756.675 DM (Körperschaftsteuer), 250.691.393 DM (Kapitalertragsteuer), 394.237 DM (Zinsabschläge) und 13.809.710 DM (Solidaritätszuschläge) geltend. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) folgte diesem Begehren nicht vollständig. In diesem Zusammenhang erließ er am 27. Juni 2007 einen Abrechnungsbescheid, der inhaltlich an einen Körperschaftsteuerbescheid vom 25. Juni 2007 anschloss. Die Klägerin focht den Abrechnungsbescheid zunächst mit einer Sprungklage und später mit einer Untätigkeitsklage an. Die Sprungklage wurde mangels Zustimmung des FA als Einspruch behandelt, den das FA anschließend zurückwies. Über die Untätigkeitsklage hat das FG inzwischen zugunsten der Klägerin entschieden; diese Entscheidung (FG Münster, Urteil vom 13. Mai 2009  6 K 4808/07 AO) ist Gegenstand eines unter dem Aktenzeichen I R 54/09 beim beschließenden Senat anhängigen Revisionsverfahrens.

  6. Am 16. November 2007 erging gegenüber der Klägerin ein geänderter Körperschaftsteuerbescheid für das Streitjahr. Die dort vorgenommenen Änderungen setzte das FA in einem entsprechend geänderten Abrechnungsbescheid vom 8. Februar 2008 um. Diesen Bescheid griff die Klägerin mit einer Sprungklage an, die mangels Zustimmung des FA als Einspruch behandelt wurde. Am 24. April 2008 erhob die Klägerin zudem eine gegen den Bescheid vom 8. Februar 2008 gerichtete Untätigkeitsklage. Nachdem schließlich das FA den Einspruch gegen jenen Bescheid als unzulässig verworfen hatte, focht die Klägerin die Einspruchsentscheidung ebenfalls mit einer Klage an.

  7. Das FG wies sowohl die Untätigkeitsklage (Aktenzeichen 6 K 1539/08 AO) als auch die gegen die Einspruchsentscheidung gerichtete Klage (Aktenzeichen 6 K 2131/08 AO) ab. Mit ihren deshalb erhobenen Nichtzulassungsbeschwerden macht die Klägerin geltend, dass die Revision gegen beide Urteile nach § 115 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zuzulassen sei.

  8. Die Klägerin hat ferner angeregt, die Beschwerdeverfahren bis zum Abschluss des Verfahrens I R 54/09 zum Ruhen zu bringen. Dem hat das FA widersprochen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Verfahren I B 92/09 und I B 93/09 werden gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO analog zur gemeinsamen Entscheidung miteinander verbunden. Das von der Klägerin begehrte Ruhen der Verfahren kann nicht angeordnet werden, da es an dem dafür notwendigen Antrag des FA (§ 155 FGO i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung) fehlt.

III.

  1. Die Nichtzulassungsbeschwerden sind unzulässig. Die Klägerin hat die geltend gemachten Gründe für die Zulassung der Revision nicht in der gebotenen Form dargelegt.

  2. 1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (Nr. 2) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3). Im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO). Wird kein Zulassungsgrund dargelegt, so ist die Nichtzulassungsbeschwerde unzulässig.

  3. 2. Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO muss der Beschwerdeführer ausführen, inwieweit im konkreten Fall eine Rechtsfrage entscheidungserheblich ist, die im Interesse der Allgemeinheit der Klärung bedarf. Dies erfordert insbesondere eine Auseinandersetzung mit der bisherigen Rechtsprechung zu der betreffenden, vom Beschwerdeführer zu bezeichnenden Frage. Eine grundsätzliche Bedeutung nur zu behaupten genügt ebenso wenig wie der Hinweis, dass eine bestimmte Frage noch nicht höchstrichterlich entschieden sei. Den danach zu stellenden Anforderungen wird der Vortrag der Klägerin nicht gerecht.

  4. Die Klägerin sieht eine grundsätzlich bedeutsame Rechtsfrage darin, ob eine "Klage gegen einen geänderten Bescheid zulässig" sei, "wenn gegen den vorausgehenden Bescheid eine Untätigkeitsklage anhängig ist und seit Einlegung des Einspruchs gegen den vorausgehenden Bescheid mehr als sechs Monate vergangen sind". Ferner hält sie für klärungsbedürftig, ob "mehrere Abrechnungsbescheide betreffend die Abrechnung derselben Abzugssteuer ... jedenfalls fakultativ selbständig anfechtbar" sind. Ihre Beschwerdebegründung verhält sich aber nicht dazu, inwieweit die Klärung dieser Fragen im Interesse der Allgemeinheit liegen könnte. Ausführungen zu diesem Punkt wären vor allem deshalb notwendig gewesen, weil es im Streitfall um einen in verfahrensrechtlicher Hinsicht atypisch gelagerten Sachverhalt geht, an dessen Beurteilung die Allgemeinheit möglicherweise kein Interesse hat.

  5. Abgesehen davon ergibt sich aus der Rechtsprechung des BFH, dass ein geänderter Abrechnungsbescheid gemäß § 68 FGO zum Gegenstand eines anhängigen Klageverfahrens (vgl. Senatsurteil vom 31. Juli 1991 I R 4/89, BFHE 165, 387, BStBl II 1992, 98) und dem entsprechend ebenso eines anhängigen Einspruchsverfahrens werden kann (§ 365 Abs. 3 Satz 1 der Abgabenordnung). Zudem wurde bereits entschieden, dass ein eine Untätigkeitsklage (§ 46 Abs. 1 FGO) betreffendes Verfahren fortzusetzen ist, wenn nach Klageerhebung der dort streitige Verwaltungsakt zum Gegenstand einer Einspruchsentscheidung wird; in einem solchen Fall wird die Einspruchsentscheidung zum Gegenstand des Klageverfahrens (BFH-Beschluss vom 28. Oktober 1988 III B 184/86, BFHE 155, 12, BStBl II 1989, 107; BFH-Urteil vom 19. August 2003 VIII R 44/01, BFH/NV 2004, 925). Diese Rechtsprechung könnte für die Beantwortung der von der Klägerin aufgeworfenen Fragen von maßgeblicher Bedeutung sein.

  6. Aus ihr dürfte nämlich für den Streitfall zunächst folgen, dass der Einspruch gegen den Bescheid vom 8. Februar 2008 zum Gegenstand des damals anhängigen Einspruchsverfahrens gegen den Abrechnungsbescheid vom 27. Juni 2007 geworden ist, das durch die gegen diesen Bescheid gerichtete Sprungklage eingeleitet worden war. Auf dieser Basis könnten die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sodann dazu führen, dass die das Einspruchsverfahren abschließende Einspruchsentscheidung zum Gegenstand des seinerzeit beim FG anhängigen Verfahrens betreffend die Untätigkeitsklage (6 K 4808/07 AO) wurde und nicht erneut mit einer eigenständigen Klage angefochten werden konnte. Und schließlich liegt zumindest nahe, dass spätestens mit dem Eingang des geänderten Abrechnungsbescheids in das gerichtliche Verfahren die zuvor erhobene Untätigkeitsklage gegen den Änderungsbescheid unzulässig geworden ist; eine andere Handhabung würde dem Verbot der doppelten Rechtshängigkeit (§ 70 Satz 1 FGO i.V.m. § 17 Abs. 1 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes) zuwiderlaufen. Angesichts dessen hätte die Klägerin dartun müssen, dass aus der genannten Rechtsprechung keine Lösung der von ihr bezeichneten Problematik abgeleitet werden kann. Das ist nicht geschehen. Stattdessen hat die Klägerin die grundsätzliche Bedeutung der von ihr formulierten Frage lediglich behauptet, was den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht genügt.

  7. 3. Aus denselben Gründen scheidet eine Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) im Streitfall aus. Ebenso fehlt es an der Darlegung eines Verfahrensmangels i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO. Auf weitere Ausführungen dazu wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO verzichtet.

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