BFH V. Senat
FGO § 105 Abs 2 Nr 4, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 62 Abs 4, FGO § 155, ZPO § 87, ZPO § 227
vorgehend Finanzgericht des Saarlandes , 22. September 2008, Az: 1 K 1305/05
Leitsätze
1. NV: Die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung kann eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen und damit ein Grund für die Zulassung der Revision i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sein. Für die Beantwortung der Frage, ob ein langfristig gebuchtes Seminar des alleinigen Prozessbevollmächtigten als erheblicher Grund für die Verlegung des Termins anzusehen ist, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an .
2. NV: Der Tatbestand ist gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO Bestandteil des Urteils. Er kann deshalb vor der mündlichen Verhandlung nicht - auch nicht zur Information der ehrenamtlichen Richter über den wesentlichen Inhalt der Akten - vorliegen .
Tatbestand
I. Mit Urteil vom 15. Mai 2008 wies das Finanzgericht (FG) die Klage der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wegen Umsatzsteuer 1997 und 1998 (1 K 1305/05) als unzulässig ab. Das Urteil wurde der Klägerin am 16. Juni 2008 zugestellt. Mit einem am 30. Juni 2008 per Telefax beim FG eingegangenen, aber nicht unterschriebenen Schriftsatz beantragte die Klägerin Urteilsergänzung. Am 1. Juli 2008 übermittelte die Klägerin den Antrag auf Urteilsergänzung erneut, diesmal mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Mit Urteil vom 23. September 2008 wies das FG die Klage wegen Ergänzung des Urteils vom 15. Mai 2008 ab, weil der Antrag wegen Fristversäumnisses unzulässig, jedenfalls aber unbegründet sei.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde, mit der sie Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) geltend macht.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Soweit das Vorbringen der Klägerin den gesetzlichen Begründungsanforderungen genügt, liegen die geltend gemachten Verfahrensmängel nicht vor. Auf die Ausführungen in den zwischen den Verfahrensbeteiligten ergangenen Senatsbeschlüssen vom 19. Mai 2008 V B 28/07 (BFH/NV 2008, 1451) und V B 29/07 (BFH/NV 2008, 1501), vom 6. August 2009 V B 88/08 (BFH/NV 2010, 217) und vom 19. August 2009 V B 78/08 (BFH/NV 2010, 218) wird verwiesen. Die Besonderheiten des vorliegenden Falles geben zu folgenden Ergänzungen Anlass:
2. a) Soweit die Klägerin geltend macht, das Fax(empfangs)gerät des FG sei gestört gewesen, so dass ein fristgerechter Antrag unmöglich gewesen sei und ihr aus diesem Grund Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hätte gewährt werden müssen, führt das schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision, weil das FG den Antrag auf Urteilsergänzung nicht nur mit der Begründung, er sei wegen Fristversäumnis unzulässig, sondern auch mit der Begründung, er sei unbegründet, abgewiesen hat. Hat das FG sein Urteil kumulativ begründet, muss wegen jeder der Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden und vorliegen (ständige Rechtsprechung, z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 21. November 2007 XI B 101/06, BFH/NV 2008, 396; vom 22. April 2008 X B 64/07, BFH/NV 2008, 1345, m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
b) Soweit die Klägerin geltend macht, die mündliche Verhandlung hätte vertagt werden müssen, liegt der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht vor. Die Ablehnung eines Antrags auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung kann zwar eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darstellen und damit ein Grund für die Zulassung der Revision i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sein. Die Aufhebung oder Verlegung eines Termins setzt einen erheblichen, auf Verlangen glaubhaft zu machenden Grund voraus (§ 155 FGO, § 227 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑). Liegt ein erheblicher Grund vor, so verdichtet sich das grundsätzlich dem Gericht eingeräumte Ermessen zu einer Rechtspflicht, den Termin zu verlegen (BFH-Beschluss vom 19. November 2001 IX B 42/01, BFH/NV 2002, 515). Für die Beantwortung der Frage, ob ein langfristig gebuchtes Seminar des alleinigen Prozessbevollmächtigten als erheblicher Grund in diesem Sinne anzusehen ist, kommt es auf die Umstände des Einzelfalles an.
Im Streitfall liegt eine ermessensgerechte Versagung der beantragten Terminsänderung vor. Das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass wegen des Grundsatzes der Verfahrensbeschleunigung der Terminplanung des Gerichts in der Regel Vorrang gebührt (BFH-Beschluss vom 29. Juli 2003 V B 11/02, BFH/NV 2004, 59; vgl. auch BFH-Beschluss vom 22. März 2005 X B 166/04, juris zum Urlaub des Prozessbevollmächtigten). Es hat außerdem berücksichtigt, dass in dem rechtlich einfach gelagerten Verfahren noch hinreichend Zeit bestanden hat, um einen anderen Prozessbevollmächtigten, ggf. einen Korrespondenzanwalt, zu beauftragen. Es hat auch berücksichtigt, dass sich die Klägerin in anderen Verfahren vor dem FG bereits anderer Rechtsanwälte bedient hat und deren Einschaltung nicht von vornherein unzumutbar erschien (zur Zumutbarkeit einer Untervertretung Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss vom 22. Oktober 2001 21 ZB 01.31340, juris, m.w.N.).
Schließlich hat das FG unter Hinweis auf seine Ausführungen im Urteil vom 15. Mai 2008 1 K 1305/05 und die dort beschriebenen Verfahrensabläufe den Eindruck gewonnen, dass es der Klägerin und ihrem Prozessbevollmächtigten auf eine Verschleppung der Verfahren ankommt. Allerdings kann der Vorwurf der Prozessverschleppung, der auf eine Vorgehensweise des Prozessvertreters in anderen Fällen gestützt wird, kein Grund dafür sein, einem Steuerpflichtigen seinen Anspruch auf rechtliches Gehör zu versagen (BFH-Beschluss vom 29. September 2008 X B 203/07, BFH/NV 2008, 2049). Vorliegend hat das FG mit der Berücksichtigung der in seinem Urteil vom 15. Mai 2008 1 K 1305/05 dargestellten Abläufe aber kein Verhalten des Prozessbevollmächtigten der Klägerin "in anderen Fällen" gewürdigt. Es handelt sich vielmehr um Vorgänge in Finanzgerichtsprozessen derselben Klägerin gegen dasselbe Finanzamt mit im Wesentlichen gleichgelagerten Streitpunkten. Das FG durfte deshalb die in seinem Urteil vom 15. Mai 2008 1 K 1305/05 dargestellten Vorgänge in seine Ermessenserwägungen einbeziehen. Bei Berücksichtigung all dieser Gesichtspunkte erscheint die Ablehnung des Vertagungsantrags ermessensgerecht.
c) Soweit die Klägerin rügt, vor der mündlichen Verhandlung hätten noch keine vollständigen und zutreffenden Tatbestände vorgelegen, genügt der Hinweis, dass der Tatbestand gemäß § 105 Abs. 2 Nr. 4 FGO Bestandteil des Urteils ist. Er kann deshalb vor der mündlichen Verhandlung nicht ‑‑auch nicht zur Information der ehrenamtlichen Richter über den wesentlichen Inhalt der Akten‑‑ vorliegen.
3. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe sieht der Senat nach § 116 Abs. 5 Satz 2 FGO ab.
4. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom 28. Januar 2010 mitgeteilt, dass er die Klägerin nicht mehr vertrete. Die Kündigung der Vollmacht erlangt gemäß § 62 Abs. 4, § 155 FGO i.V.m. § 87 ZPO aber erst Wirksamkeit durch die Anzeige der Bestellung eines anderen Prozessbevollmächtigten (BFH-Urteil vom 13. Januar 1977 V R 87/76, BFHE 121, 20, BStBl II 1977, 238). Ein anderer Prozessbevollmächtigter ist bisher nicht bestellt worden.