BFH X. Senat
GG Art 103 Abs 1, AO § 173 Abs 1 Nr 1, EStG § 10 Abs 3 Nr 2, FGO § 96 Abs 2, FGO § 115 Abs 2 Nr 3, FGO § 119 Nr 3, FGO § 126 Abs 4
vorgehend FG Köln, 18. März 2009, Az: 10 K 3718/08
Leitsätze
NV: Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt vor, wenn das Gericht Sachverhalt und Sachvortrag, auf den es ankommen kann, nicht nur nicht ausdrücklich bescheidet, sondern überhaupt nicht berücksichtigt .
Tatbestand
I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehren die Zulassung der Revision gegen ein Urteil, mit dem das Finanzgericht (FG) von einer Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen Steuerhinterziehung ausgegangen ist.
Der Kläger war einer von zwei Gesellschafter-Geschäftsführern einer GmbH. Nach Aufnahme eines dritten Gesellschafters zum 1. Dezember 1998 war der Kläger noch zu einem Drittel beteiligt. Bei der Geschäftsführung der beiden Altgesellschafter blieb es. Zum selben Datum wurde den Geschäftsführern eine betriebliche Altersversorgung zugesagt.
Bis zum Veranlagungszeitraum 1998 einschließlich betreuten zwei verschiedene Steuerbüros die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH auf der einen Seite und der Kläger (persönlich) auf der anderen Seite. Vom Veranlagungszeitraum 1999 an nahm beide Aufgaben dasselbe Büro wahr.
In den Anlagen N zu den Einkommensteuererklärungen 1998 bis 2000, die das jeweilige Steuerberatungsbüro vorbereitet hatte und die die Kläger auf dem Mantelbogen unterschrieben hatten, war angekreuzt, dass keine gesetzliche Rentenversicherungspflicht und auch keine Anwartschaft auf Altersversorgung oder eine Anwartschaft nur aufgrund eigener Beitragsleistungen aus der Tätigkeit als GmbH-Geschäftsführer bestanden habe. Die Erklärungen wurden in dem auf den Veranlagungszeitraum folgenden Jahr eingereicht. Die Veranlagungen erfolgten zunächst erklärungsgemäß. Ab 2001 erklärten die Kläger in ihren Steuererklärungen (zutreffend), dass eine betriebliche Altersversorgung teils ohne eigene Beitragsleistung bestanden habe.
Im Jahre 2008 änderte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung die Einkommensteuerbescheide im Hinblick auf den Vorwegabzug nach § 10 Abs. 3 Nr. 2 des Einkommensteuergesetzes. Er ging davon aus, dass dem Kläger und dem jeweiligen Steuerberater diesbezüglich Steuerhinterziehung zur Last fielen, so dass die Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen gewesen sei.
Einspruch und Klage blieben erfolglos. Mit der Klage hatten die Kläger geltend gemacht, ihnen sei lediglich Nachlässigkeit, nicht aber eine Vorsatztat zum Vorwurf zu machen. Sie hatten hierzu unter anderem unbestritten vorgetragen, das Steuerberatungsbüro, das die Erklärung für 1998 erstellt habe, habe keine Kenntnis von der Versorgungszusage gehabt, da es nicht auch die Angelegenheiten der GmbH betreut habe. Das andere Büro, das die Erklärungen 1999 und 2000 erstellt habe, habe die Versorgungszusage aufgrund der Firmenunterlagen gekannt. Die Kläger hätten damit ihre Informationspflichten erfüllt. Allerdings seien für die private Einkommensteuererklärung auf der einen Seite und für die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH auf der anderen Seite zwei unterschiedliche Sachbearbeiter zuständig gewesen. Dieser organisatorische Umstand, verbunden mit einer offenbar nicht ausreichenden Kommunikation innerhalb des Büros, sei von den Klägern nicht unmittelbar zu vertreten.
In den Feststellungen des angegriffenen Urteils heißt es im Zusammenhang mit dem Informationsfluss zwischen Kläger und Berater: "Der Kläger teilte seinem damaligen Steuerberater nicht mit, dass er am 1. Dezember 1998 eine betriebliche Altersversorgung zugesagt erhalten hatte."
In den Entscheidungsgründen hat das FG ausgeführt, unabhängig von der Frage, wie das Verhalten seines damaligen Steuerberaters zu bewerten sei, habe der Kläger selbst auch den subjektiven Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt. Er habe den damaligen Steuerberater nicht davon unterrichtet, dass eine Änderung der Verhältnisse dadurch eingetreten sei, dass er im Dezember 1998 eine Altersversorgungszusage durch "seine" GmbH erhalten habe. Der Kläger habe also seinen Steuerberater wissentlich über diese steuerlich erhebliche Tatsache nicht unterrichtet. Gleichwohl habe er die Steuererklärung, die auf seinen falschen Angaben beruht habe, unterschrieben. Damit habe er zumindest billigend in Kauf genommen, dass durch die falschen Angaben die Einkommensteuer 1998 bis 2000 verkürzt worden sei.
Nach Zustellung des Urteils beantragten die Kläger die Berichtigung des Terminsprotokolls, das abgesehen von den Anträgen keine Äußerungen der Verfahrensbeteiligten enthielt. Sie begehrten Aufnahme folgenden Satzes: "Auf Frage des Gerichts erklärte der Prozessbevollmächtigte der Kläger, daß die Information über die Änderung der Verhältnisse bezüglich der Altersversorgungszusage dadurch erfolgte, dass der neue mit der persönlichen Steuererklärung beauftragte Steuerberater zugleich auch die Steuererklärung 'seiner' GmbH erstellte."
Zur Begründung führten die Kläger aus, das Urteil stütze sich auf eine angebliche, auch im unstreitigen Teil des Tatbestandes enthaltene Äußerung des Prozessvertreters, der/die damaligen Steuerberater seien über die Änderung der Verhältnisse nicht unterrichtet worden. Eine solche (verkürzte) Aussage habe der Vertreter im Termin nicht gemacht. Es könne lediglich eingeräumt werden, dass im Umkehrschluss aus der mündlichen Erklärung wie auch aus dem vorherigen schriftsätzlichen Vorbringen geschlossen werden könne, dass der für den Veranlagungszeitraum 1998 tätige Steuerberater ‑‑versehentlich‑‑ nicht informiert worden sei.
Das FG hat den Berichtigungsantrag abgelehnt. Der Satz, den die Kläger in das Protokoll aufzunehmen begehrten, sei kein vorgeschriebener Inhalt des Protokolls und sei auch nicht zur Entscheidungsgrundlage gemacht worden. Entscheidungsgrundlage sei vielmehr, was nunmehr erneut eingeräumt werde, dass nämlich der Kläger seinem damaligen Steuerberater die Zusage einer betrieblichen Altersversorgung nicht mitgeteilt habe. Unerheblich sei, warum dies dem neuen Berater aufgefallen sei.
Mit ihrer äußerlich ohne Beschränkung auf bestimmte Streitjahre eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügen die Kläger als Verfahrensmangel gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) die Versagung rechtlichen Gehörs in Form der Verletzung der Beachtungspflicht des Gerichts.
Die im unstreitigen Teil des Tatbestandes enthaltene Aussage, die Kläger hätten ihrem damaligen Steuerberater nicht mitgeteilt, dass der Kläger am 1. Dezember 1998 eine betriebliche Altersversorgung zugesagt erhalten habe, entspreche weder dem schriftsätzlichen Vortrag noch sei sie dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen. Wie bereits in einem vorangegangenen Schriftsatz habe der Prozessvertreter vielmehr erklärt, das neue Steuerberaterbüro habe aufgrund des Umstandes, dass es gleichzeitig die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH von dem Veranlagungszeitraum 1999 an zu betreuen gehabt habe, zwangsläufig Kenntnis von der Zusage der Altersversorgung gehabt. Es seien also zwei unterschiedliche Sachverhalte vorgetragen worden, einmal für das Jahr 1998, in dem die Information des persönlichen Steuerberaters versehentlich unterblieben sei, zum anderen hinsichtlich der Jahre 1999 und 2000, für die dem Steuerberaterbüro die schriftlichen Unterlagen vorgelegen hätten.
Diesem differenzierten Sachvortrag würden die Entscheidungsgründe des FG-Urteils nicht gerecht, wenn es undifferenziert für alle drei Jahre auf eine Nichtunterrichtung des Steuerberaters abstelle. Die Rechtsansicht des FG fuße auf der Wertung, dass die Nichtinformation des Steuerberaters zumindest als bedingter Vorsatz anzusehen sei. Sollte diese Wertung richtig sein, so könne sie nur die Entscheidung für das Jahr 1998 begründen, nicht aber für die Jahre 1999 und 2000 mit ihrem anders gelagerten und übergangenen Sachverhalt. Vielmehr hätte auf der Grundlage dieser Wertung bei Berücksichtigung des klägerischen Vortrags der Klage entsprochen werden müssen.
Das FA tritt der Nichtzulassungsbeschwerde entgegen. Es liege allenfalls ein Beweiswürdigungsfehler vor.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
1. Der Senat geht davon aus, dass die Nichtzulassungsbeschwerde sich lediglich auf die Jahre 1999 und 2000, nicht hingegen auf das Jahr 1998 bezieht.
Das FG-Urteil betrifft die Veranlagungszeiträume 1998 bis 2000. Die Beschwerdebegründung, die bereits im Schriftsatz vom 17. April 2009 enthalten ist, durch den die Beschwerde eingelegt wurde, betrifft ausschließlich 1999 und 2000. Zu dem Jahr 1998 haben die Kläger geäußert, die Rechtsansicht des FG fuße auf einer bestimmten Wertung. Sie haben diese Wertung aber nicht mehr gesondert angegriffen, sondern haben die Beschwerdebegründung auf die Jahre 1999 und 2000 beschränkt.
2. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
Es liegt ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Das FG-Urteil enthält eine Verletzung rechtlichen Gehörs gemäß § 119 Nr. 3 FGO in Gestalt eines Verstoßes gegen die sogenannte Beachtungspflicht gemäß Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO. Die Rechtserheblichkeit dieses Verfahrensmangels wird unwiderleglich vermutet (Beschluss des Großen Senats des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 3. September 2001 GrS 3/98, BFHE 196, 39, BStBl II 2001, 802).
a) Die Beachtungspflicht ist verletzt, wenn das FG Äußerungen eines Verfahrensbeteiligten zu entscheidungserheblichen Fragen nicht zur Kenntnis nimmt bzw. bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung zieht.
Das Gebot rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht nicht, sich mit Ausführungen auseinanderzusetzen, auf die es für die Entscheidung nicht ankommt. Das Gericht ist auch nicht verpflichtet, sich mit jedem Vorbringen in den Entscheidungsgründen ausdrücklich auseinanderzusetzen (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 15. September 2006 III B 197/05, BFH/NV 2007, 28 sowie vom 13. April 2007 V B 122/05, BFH/NV 2007, 1517). Eine Verletzung rechtlichen Gehörs liegt jedoch dann vor, wenn das Gericht Sachverhalt und Sachvortrag, auf den es ankommen kann, nicht nur nicht ausdrücklich bescheidet, sondern überhaupt nicht berücksichtigt (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. März 2006 VIII B 21/05, BFH/NV 2006, 1256; vom 27. Februar 2006 IV B 106/04, BFH/NV 2006, 1275; vom 11. Dezember 2006 IX B 128/06, BFH/NV 2007, 738). So verhält es sich hier.
b) Die Feststellungen des FG sind hinsichtlich der Frage, in welcher Weise der Kläger oder die Kläger ihre steuerlichen Vertreter für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 über die Existenz der betrieblichen Altersversorgung informiert haben, lückenhaft.
Das FG hat festgestellt, dass bis einschließlich zum Veranlagungszeitraum 1998 zwei verschiedene Steuerbüros für die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH auf der einen Seite und diejenigen der Kläger persönlich auf der anderen Seite zuständig waren. Es hat weiter festgestellt, dass für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 ein Büro für beiderlei Angelegenheiten zuständig war. Schließlich hat das FG festgestellt, der Kläger habe seinem damaligen Steuerberater nicht mitgeteilt, dass er am 1. Dezember 1998 eine betriebliche Altersversorgung zugesagt erhalten habe. Dieser Sachverhalt entspricht ohne weiteres dem Akteninhalt für das Jahr 1998. Zu Art und Inhalt von Mitteilungen der Kläger gegenüber dem mit der Erstellung der Steuererklärungen 1999 und 2000 betrauten Steuerbüro hat das FG nichts festgestellt.
c) Seine Entscheidung hat das FG für alle drei Streitjahre auf den für das Jahr 1998 festgestellten Sachverhalt gestützt. Da es für die Jahre 1999 und 2000 nichts festgestellt hat, hat es den Vortrag der Kläger, aus dem abweichenden Sachverhalt folgten rechtlich erhebliche Unterschiede, nicht gewürdigt.
aa) Hierbei handelt es sich nicht lediglich um eine Frage der Richtigkeit der Sachverhalts- oder Beweiswürdigung, die allenfalls einen materiell-rechtlichen Fehler darstellen könnte (vgl. u.a. BFH-Beschlüsse vom 14. August 2006 III B 198/05, BFH/NV 2006, 2281, und vom 1. September 2006 VIII B 81/05, BFH/NV 2006, 2297). Die Würdigung ist vielmehr ‑‑mangels entsprechender Feststellung‑‑ ausgefallen. Dies spiegelt auch der Beschluss betreffend den Protokollberichtigungsantrag wider.
bb) Es ist auch nicht davon auszugehen, dass das FG sich mit den Unterschieden inhaltlich auseinandergesetzt und dies lediglich in seiner Entscheidung nicht im Einzelnen niedergelegt hat. Weder bietet das Urteil dafür Anhaltspunkte noch liegen sie auf der Hand.
3. Falls das FG seine Feststellungen in dem entscheidenden Punkte anders verstanden wissen wollte als der beschließende Senat sie versteht, wäre es entgegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO von einem nicht dem klaren Akteninhalt entsprechenden Sachverhalt ausgegangen. Darin läge ebenfalls ein Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 2003 X R 7/99, BFHE 204, 419, BStBl II 2004, 408; BFH-Beschluss vom 13. April 2007 V B 122/05, BFH/NV 2007, 1517).
Sollte das FG festgestellt haben wollen, der Kläger habe die Existenz der betrieblichen Altersversorgung (auch) seinem für die Veranlagungszeiträume 1999 und 2000 zuständigen Steuerberater nicht mitgeteilt, so wäre dies nicht nur verkürzt, sondern unrichtig. Unstreitig war in dem für die Steuererklärungen 1999 und 2000 zuständigen Steuerberatungsbüro in seiner Gesamtheit die Altersversorgung bekannt, da dasselbe Büro auch die GmbH steuerlich betreute. Nicht bekannt war sie dem für die Einkommensteuer zuständigen Sachbearbeiter. Das ist ein wesentlich anderer Sachverhalt. Was aus ihm für die weitere Beurteilung des Falles folgt, ist eine andere Frage.
4. Da im Falle der Zulassung der Revision aller Voraussicht nach das FG-Urteil aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen werden müsste (vgl. BFH-Urteil vom 8. November 1989 I R 14/88, BFHE 159, 112, BStBl II 1990, 386), verweist der Senat zur Straffung des Verfahrens nach § 116 Abs. 6 FGO die Sache bereits im Beschwerdeverfahren zurück.
Eine Zurückweisung der Beschwerde in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 4 FGO kommt nicht in Betracht. Die Frage, ob die Verhältnisse der Jahre 1999 und 2000 den Schluss auf eine Steuerhinterziehung rechtfertigen, ist vornehmlich eine Frage der tatsächlichen Würdigung, die dem FG als Tatsacheninstanz obliegt.