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Beschluss vom 25. Mai 2010, IX B 179/09

Kein Verlustausgleich zwischen Basisgeschäften und Einkünften als Stillhalter - Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung von Options- und Termingeschäft - Abzug des durch einen Barausgleich vermittelten Verlustes im Basisgeschäft im Rahmen der Einkunftsart des § 22 Nr. 2 EStG

BFH IX. Senat

EStG § 22 Nr 3, EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 2, EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr 4, EStG § 22 Nr 2, GG Art 3 Abs 1

vorgehend FG München, 11. August 2009, Az: 1 V 1193/09

Leitsätze

NV: Es ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass nach § 22 Nr. 3 EStG a.F. zu versteuernde Einkünfte aus Stillhalterprämien nicht mit Verlusten aus Basisgeschäften auszugleichen sind (Bestätigung der ständigen Rechtsprechung des BFH).

Tatbestand

  1. I. Die Antragsteller und Beschwerdegegner (Antragsteller) sind in den Streitjahren (2002 bis 2004) zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute. Der Antragsteller unternahm in den Streitjahren Stillhaltergeschäfte auf Terminkontrakte und Devisentermingeschäfte über mehrere Banken. Er erhielt als Stillhalter bei Abschluss des Optionsgeschäfts Prämien und verpflichtete sich, am festgelegten Fälligkeitstermin bei Ausübung der Option durch den Käufer das Basisgeschäft (Lieferung oder Abnahme des Basiswerts zum festgelegten Preis) durchzuführen oder einen entsprechenden Ausgleich in Geld zu leisten. Er vereinnahmte in den Streitjahren Stillhalterprämien in Höhe von 18.015.940 € (2002), 20.466.199 € (2003) und 53.096.641 € (2004). Die Verluste aus den Basisgeschäften betrugen 9.477.720 € (2002), 43.402.481 € (2003) sowie 40.459.122 € (2004).

  2. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) erfasste in den geänderten Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre die Stillhalterprämien bei den Einkünften aus § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Streitjahre (EStG) und ließ eine Verrechnung mit den Verlusten aus den privaten Veräußerungsgeschäften (Basisgeschäften) nicht zu, sondern stellte die Verluste gesondert fest. Über die Einsprüche der Antragsteller gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre ist noch nicht entschieden. Das FA lehnte einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) ab.

  3. Das Finanzgericht (FG) gewährte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 2035 veröffentlichten Beschluss AdV. Es ließ darin die Verrechnung von Verlusten aus den Basisgeschäften mit den Prämien aus den Stillhaltergeschäften bis zur Höhe der Prämien zu. Zur Begründung führte es aus, es bestehe ein Wertungswiderspruch, zwar die Aufwendungen für das Glattstellungsgeschäft bei den Optionsprämien als Erwerbsaufwand abzuziehen, das Basisgeschäft indes nicht steuerlich zu berücksichtigen. Zur Auflösung dieses Wertungswiderspruchs seien Verluste aus dem Basisgeschäft dem Stillhaltergeschäft steuerrechtlich zuzuordnen. Handele es sich bei dem Basisgeschäft um ein Veräußerungsgeschäft nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, seien die Verluste bis zur Höhe der im Eingangsgeschäft erhaltenen Stillhalterprämie dieser und damit den Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG zuzuordnen; der überschießende Verlust bleibe dem § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verhaftet. Dementsprechend unterfalle bei einem Barausgleich der die Prämien übersteigende Betrag § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG.

  4. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des FA. Die vom FG aufgeführten Wertungswidersprüche bestünden nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht. Überdies sei der Gesetzgeber mit der Umgestaltung der §§ 20 bis 23 EStG im Zuge der Einführung der Abgeltungssteuer der ständigen Rechtsprechung gefolgt.

  5. Das FA beantragt,

    den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Antrag auf AdV abzulehnen.

  6. Die Antragsteller beantragen,

    die Beschwerde zurückzuweisen.

  7. Nach ihrer Auffassung würden die Steuerbescheide in verfassungswidriger Weise in das Existenzminimum eingreifen und zu einer Übermaßbesteuerung führen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung ist aufzuheben und der Antrag abzuweisen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Ernstliche Zweifel an den angefochtenen Einkommensteuerbescheiden für die Streitjahre bestehen nicht.

  2. 1. Gemäß § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO kann das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsakts wegen ernstlicher Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit aussetzen. Ernstliche Zweifel liegen vor, wenn neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken. Die Entscheidung hierüber ergeht bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 1. Oktober 2009 IX B 124/09, BFH/NV 2010, 179).

  3. 2. Es ist entgegen der Auffassung des FG nicht ernstlich zweifelhaft, dass nach § 22 Nr. 3 EStG zu versteuernde Einkünfte aus Stillhalterprämien nicht mit Verlusten aus Basisgeschäften auszugleichen sind.

  4. a) Nach § 23 Abs. 3 Satz 8 EStG dürfen Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften nur bis zur Höhe des Gewinns, den der Steuerpflichtige im gleichen Kalenderjahr aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat, ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Nach § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG mindern die Verluste nach Maßgabe des § 10d EStG jedoch die Einkünfte, die der Steuerpflichtige in dem unmittelbar vorangehenden Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften nach § 23 Abs. 1 EStG erzielt hat oder erzielt.

  5. Dieser Gesetzeslage widerspricht der angefochtene Beschluss: Die vom Antragsteller vereinnahmten Stillhalterprämien sind nach § 22 Nr. 3 EStG steuerbar (vgl. die ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Urteil vom 17. April 2007 IX R 40/06, BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608) und können deshalb nicht mit Verlusten aus den Basisgeschäften ausgeglichen werden, die nach § 23 Abs. 1 EStG der Besteuerung unterliegen, und zwar je nachdem, ob sie sich auf eine Veräußerung von Wirtschaftsgütern beziehen, nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, oder ob sie sich als Termingeschäfte lediglich auf die Differenz zwischen verschiedenen Preisen (Verhältnis des Basispreises zum Börsenpreis) oder Werten veränderlicher Bezugsgrößen richten, nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG. Unter das Termingeschäft fällt auch der sog. Barausgleich (eingehend zum Vorstehenden BFH-Urteil vom 13. Februar 2008 IX R 68/07, BFHE 220, 436, BStBl II 2008, 522, unter II. 1. c, m.w.N.).

  6. b) Eine Umqualifizierung der Einkünfte gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder 4 EStG in solche nach § 22 Nr. 3 EStG in Höhe der vom Steuerpflichtigen im Eröffnungsgeschäft kassierten Stillhalterprämien kommt nicht in Betracht.

  7. aa) Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 220, 436, BStBl II 2008, 522 eingehend dargelegt hat, sind Ausgleichszahlungen (als Barausgleich), die der Steuerpflichtige im Rahmen des Basisgeschäfts leistet, nicht durch seine Einkünfte als Stillhalter veranlasst und deshalb nicht als Werbungskosten gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 EStG bei seinen Einkünften nach § 22 Nr. 3 EStG abziehbar. Hieran hält der Senat fest. Diese Grundsätze gelten entsprechend für Verluste aus einem Basisgeschäft i.S. des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Auch insoweit entsteht kein bei den Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG abziehbarer Erwerbsaufwand. Zwar hatte der Senat diese Rechtsfrage für einen Veranlagungszeitraum entschieden, als § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG noch nicht anwendbar, ein reiner Barausgleich nicht steuerbar war und auf der Vermögensebene lag.

  8. Indes gilt das erst recht für Zeiträume, in denen ‑‑wie im Streitfall‑‑ § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG Termingeschäfte der Besteuerung unterwirft. Ist maßgebend für die Abgrenzung die Einkunftsart, die im Vordergrund steht und die Beziehungen zu den anderen Einkünften verdrängt (ständige Rechtsprechung, BFH-Urteile vom 5. April 2006 IX R 111/00, BFHE 213, 341, BStBl II 2006, 654, und vom 5. April 2006 IX R 80/01, BFH/NV 2006, 1817, m.w.N.), so haben Einkünfte aus privaten Veräußerungsgeschäften bereits systematisch Vorrang vor den sonstigen Einkünften, wie sich aus § 22 Nr. 3 EStG explizit ergibt. Überdies hat der Senat in seinem Urteil in BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608, unter II. 2., eingehend zu § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG Stellung bezogen und dort ausgeführt, dass ein Steuerpflichtiger, der einem anderen eine Option einräumt und dafür eine Prämie vereinnahmt, die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG (Erwerb des Rechts) nicht erfüllt. Nun kann man nicht umgekehrt das nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG (oder nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) steuerbare Basisgeschäft in den Anwendungsbereich des § 22 Nr. 3 EStG einbeziehen. Dagegen spricht neben der   Subsidiarität   des § 22 Nr. 3 EStG gegenüber § 22 Nr. 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 EStG das von der Rechtsprechung seit jeher zugrunde gelegte systemtragende   Trennungsprinzip   zwischen Eröffnungs-, Basis- und Gegengeschäft (vgl. dazu BFH-Urteile in BFHE 217, 566, BStBl II 2007, 608, unter II. 1., und in BFHE 220, 436, BStBl II 2008, 522, unter II. 1. b, jeweils m.w.N.). Zwischen das die Prämienzahlung auslösende Eröffnungsgeschäft (Stillhaltergeschäft) und die erlittenen Verluste tritt das Basisgeschäft als eigenständige Erwerbsquelle. Überdies führt die Lösung des FG durch Umqualifizierung der Einkünfte aus den Basisgeschäften in Höhe der vereinnahmten Stillhalterprämien in solche aus § 22 Nr. 3 EStG (vgl. dazu auch Zanzinger, Deutsches Steuerrecht 2010, 149 ff.) ‑‑worauf das FA in seiner Beschwerdeerwiderung zutreffend hinweist‑‑ zu Widersprüchen: Stünden nämlich die Verluste aus allen Basisgeschäften tatsächlich in wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Stillhalterprämien, müsste man sie ‑‑ohne sie aufzusplitten‑‑ auch in vollem Umfang § 22 Nr. 3 EStG zurechnen. Es liegt auf der Hand, dass ein derartiges Ergebnis die Systematik des § 22 Nr. 2 und 3 EStG contra legem umkehren würde.

  9. bb) Die vom FG angeführten Wertungswidersprüche zum Glattstellungsgeschäft bestehen nicht. Damit hatte sich der Senat bereits in seinem Urteil in BFHE 220, 436, BStBl II 2008, 522 (unter II. 1. d) ausführlich auseinandergesetzt. Darauf nimmt er Bezug. Ebenso wenig verstößt die Besteuerung der Options- und Termingeschäfte gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes. Vielmehr ist ihr Ergebnis (kein Abzug der im Basisgeschäft erlittenen Verluste bei den Einkünften aus § 22 Nr. 3 EStG) die   folgerichtige Ausprägung der Systematik des § 22 Nr. 2 und 3 EStG. Auch die Beschränkung des Verlustausgleichs bei privaten Veräußerungsgeschäften durch § 23 Abs. 3 Sätze 8 und 9 EStG ist verfassungsgemäß (BFH-Urteil vom 18. Oktober 2006 IX R 28/05, BFHE 215, 202, BStBl II 2007, 259). Die Ausprägungen des Trennungsprinzips führen deshalb entgegen der Auffassung der Antragsteller auch nicht zu einer übermäßigen Besteuerung. Im Gegenteil: Anders noch als zur früheren Rechtslage vor Geltung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG fällt ein durch ein Barausgleich vermittelter Verlust im Basisgeschäft nicht mehr in die nicht steuerbare Vermögensebene, sondern kann im Rahmen der Einkunftsart des § 22 Nr. 2 EStG (private Veräußerungsgeschäfte, § 23 Abs. 1 EStG) ausgeglichen oder abgezogen werden.

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