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Beschluss vom 14. April 2010, VIII B 91/08

Zur grundsätzlichen Bedeutung und Klärungsbedürftigkeit von Rechtsfragen

BFH VIII. Senat

EStG § 20 Abs 1 Nr 1 S 2, FGO § 74, FGO § 76, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 155, ZPO § 295

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg , 18. März 2008, Az: 8 K 10120/01 B

Leitsätze

1. NV: Keine grundsätzliche Bedeutung hat eine Frage, die auf tatsächliche Umstände abstellt, die nur den Einzelfall betreffen.

2. NV: Eine Frage ist nicht klärungsbedürftig, wenn ihre tatsächliche Prämisse nicht zutrifft (hier: behaupteter faktischer Entzug der Geschäftsführerposition).

3. NV: Mit der Rüge der Unordnung der Akten oder der ungebührlichen Verfahrensbeschleunigung wird keine Verletzung des rechtlichen Gehörs dargelegt.

4. NV: Zu Rügeverzichten wegen unterlassener Verfahrensaussetzung (§ 74 FGO) und unterlassener Sachverhaltsaufklärung.

Gründe

  1. Die Beschwerde ist nicht begründet. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑) liegen nicht vor.

  2. 1. a) Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Frage,

    ob die für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) erforderliche Veranlassung der Zuwendung durch das Gesellschaftsverhältnis zu bejahen ist, wenn der Minderheitsgesellschafter als Geschäftsführer durch den Mehrheitsgesellschafter faktisch abgesetzt wurde, der Mehrheitsgesellschafter als Liquidator fungiert und der Minderheitsgesellschafter danach Forderungen der Gesellschaft vereinnahmt,

    ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung.

  3. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO hat eine Rechtssache, wenn eine Frage zu entscheiden ist, an deren Beantwortung ein allgemeines Interesse besteht, weil ihre Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der Entwicklung und Handhabung des Rechts betrifft (ständige Rechtsprechung, s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 23 ff., m.w.N.; Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 27. April 2007 VIII B 250/05, BFH/NV 2007, 1675). Es muss sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame und auch für die einheitliche Rechtsanwendung wichtige Frage handeln. Die vom Kläger aufgeworfene Frage genügt diesen Anforderungen nicht, weil sie auf mehrere Umstände abhebt, die ersichtlich nur den konkreten Einzelfall betreffen und zudem von tatsächlichen Prämissen ausgeht, die das Finanzgericht (FG) so nicht festgestellt hat (insbesondere: faktische Absetzung des Klägers als Geschäftsführer).

  4. Mit der in diesem Zusammenhang erhobenen Rüge, das FG habe den Sachverhalt fehlerhaft gewürdigt, macht der Kläger falsche materielle Rechtsanwendung geltend, die grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision führt (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289).

  5. b) Zum anderen hat der Kläger die von ihm für grundsätzlich bedeutsam erachtete Rechtsfrage aufgeworfen,

    ob Veruntreuungen durch den Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer der GmbH deshalb nicht zu vGA führen, weil es an einer Zuwendung durch die Kapitalgesellschaft mangelt, mit anderen Worten: ob der Geschäftsführer, der sich eigenmächtig unter Verletzung seiner Pflichten zu Lasten der GmbH bereichert, aus diesen Aktivitäten selbst Einkünfte erzielt.

  6. Diese Frage ist nicht klärungsbedürftig.

  7. Gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen auch vGA. Eine vGA i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG liegt vor, wenn die Kapitalgesellschaft ihrem Gesellschafter außerhalb der gesellschaftsrechtlichen Gewinnverteilung einen Vermögensvorteil zuwendet und diese Zuwendung ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis hat. Im Rahmen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist die vGA beim Gesellschafter zu erfassen, wenn ihm der Vermögensvorteil zufließt (§ 8, § 11 Abs. 1 EStG).

  8. In seinem Urteil vom 25. Mai 2004 VIII R 4/01 (BFHE 207, 103, BFH/NV 2005, 105) hat der Senat bereits ‑‑gegen eine in der Literatur geäußerte Ansicht‑‑ erkannt, dass es an einer gesellschaftlichen Veranlassung nicht schon deshalb fehlt, weil der Empfänger des Vermögensvorteils nur Geschäftsführer und Minderheitsgesellschafter der GmbH war. Zwar begründet die Handlung eines die Gesellschaft nicht beherrschenden Gesellschafters regelmäßig keine vGA, wenn weder der oder die Geschäftsführer noch der oder die übrige(n) Gesellschafter zugestimmt haben. Dies gilt aber nicht für einen zum Geschäftsführer bestimmten Minderheitsgesellschafter; seine Handlungen sind der Kapitalgesellschaft zuzurechnen und zwar selbst dann, wenn er durch diese Handlungen die Gesellschaft in strafbarer Weise schädigt (BFH-Urteil in BFHE 207, 103, BFH/NV 2005, 105, m.w.N.).

  9. Eine Klärungsbedürftigkeit folgt auch nicht aus der Behauptung des Entzugs der Geschäftsführerfunktion. Der Kläger hatte seine Rechtsmacht als Organ der GmbH durch das Verhalten des anderen Gesellschafters nicht verloren, wie durch die Entscheidung des Amtsgerichts festgestellt, und er konnte diese Rechtsmacht gerade in Bezug auf die streitbefangenen Zahlungsbeträge auch tatsächlich ausüben, indem er die Forderungen gegenüber den Schuldnern der GmbH erfolgreich geltend machte.

  10. 2. Aus den in diesem Beschluss unter 1.b) dargelegten Gründen kommt auch keine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zur Fortbildung des Rechts in Betracht.

  11. 3. Die vom Kläger gerügten Verfahrensmängel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO sind nicht feststellbar.

  12. a) Mit der Rüge nicht erfolgter Verfahrensaussetzung nach § 74 FGO kann der Kläger schon deshalb nicht mehr gehört werden, weil er sie ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung dort und auch danach nicht mehr erhoben hat. Soweit der Senat in seinem Urteil vom 6. Juli 1999 VIII R 12/98, BFHE 189, 148, BStBl II 1999, 731 in der ermessenswidrigen Unterlassung der Verfahrensaussetzung einen ‑‑jedenfalls zu beachtenden‑‑ Verstoß gegen die Grundordnung des Verfahrens gesehen hat, kommt diese Entscheidung im Streitfall nicht zum Tragen, weil ein derartiger Ermessensfehler nicht ersichtlich ist. Das FG war nicht gehalten, das Klageverfahren nach § 74 FGO bis zur Entscheidung eines vor dem 13. Senat des FG anhängigen Verfahrens wegen Einkommensteuer für den Veranlagungszeitraum 1997 auszusetzen. Ob der Kläger in jenem Verfahren obsiegen und sich daraus gegebenenfalls ein rücktragsfähiger negativer Gesamtbetrag der Einkünfte ergeben könnte, ist keine im vorliegenden Streitfall vorgreifliche Frage; gegebenenfalls hätte eine Änderung der Steuerfestsetzungen der Streitjahre nach § 10d Abs. 4 EStG a.F. zu erfolgen, ohne dass das Urteil des FG im vorliegenden Rechtsstreit dem entgegenstünde. Dies hat im Übrigen auch der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt.

  13. b) Mit der Rüge, das FG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt wegen der Nichtbeiziehung von Akten und eines unterlassenen Zeugenbeweises kann der Kläger nicht durchdringen. Ein Prozessbeteiligter kann auf die Einhaltung des § 76 FGO ‑‑ausdrücklich oder durch Unterlassen der Rüge‑‑ verzichten (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung). Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem FG ergibt sich nicht, dass der Kläger eine diesbezügliche Rüge erhoben hätte. Auch die Beschwerdebegründung enthält keine Aussage zu einer etwa erhobenen Rüge. Es ist deshalb von einem wirksamen Rügeverzicht auszugehen.

  14. c) Die Voraussetzungen einer Verletzung des rechtlichen Gehörs sind den Ausführungen in der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen. Dies gilt für die Beanstandung einer als unzureichend erachteten Ordnung der gerichtlichen Aktenlage ebenso wie für die offenbar als ungebührlich empfundene Verfahrensbeschleunigung nach jahrelanger Verfahrensdauer.

  15. Soweit der Kläger ein verfahrensfehlerhaftes Übergehen seines Tatsachenvortrags rügt, kann dem nicht gefolgt werden. Das FG hat sich mit der Frage, ob der Kläger offene Gehaltsforderungen gegen die GmbH in bestimmter Höhe hatte, im Urteil auseinander gesetzt. Dass es diesbezügliche Zahlungsrückstände der GmbH für nicht ansatzweise substantiiert hielt, ist Teil seiner Tatbestands- und Beweiswürdigung. Darin, dass der Kläger diese Würdigung für unzutreffend hält, liegt nicht die Geltendmachung eines Verfahrensfehlers, sondern falscher materieller Rechtsanwendung (vgl. BFH-Beschlüsse vom 3. Februar 2000 I B 40/99, BFH/NV 2000, 874; vom 30. Oktober 2007 VIII B 153/06, BFH/NV 2008, 389). Im Übrigen konnte das FG nach Maßgabe der ihm vorliegenden Unterlagen offenbar nicht von der Richtigkeit der Behauptung des Klägers zu offenen Gehaltsforderungen ausgehen, denn der Kläger führt in der Beschwerdebegründung selbst aus, dass die Nichtleistung von Gehaltszahlungen an ihn nur durch Zeugenvernehmung des Steuerberaters geführt werden könne, dessen Nichtvernehmung er im Klageverfahren jedoch nicht gerügt hat (s. hierzu unter 3.b dieses Beschlusses).

  16. d) Eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht und eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Zusammenhang mit dem begehrten Verlustrücktrag aus dem Veranlagungszeitraum 1997 ist nicht schlüssig dargetan. Da der hierfür zuständige Senat des FG im Zeitpunkt des Ergehens des angefochtenen Urteils noch nicht über die Klage des Klägers wegen Einkommensteuer 1997 befunden hatte und die Entstehung eines rücktragsfähigen Verlustes nicht feststand, kam ein Vorgriff hierauf im angefochtenen Urteil nicht in Betracht.

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