BFH XI. Senat
AO § 118, FGO § 44, FGO § 115 Abs 2 Nr 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 1, FGO § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2, UStG § 13b Abs 1 S 1 Nr 2, UStG § 13b Abs 2 S 1
vorgehend FG Düsseldorf, 12. März 2009, Az: 1 K 420/06 U
Leitsätze
1. NV: Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und des Erfordernisses einer Rechtsfortbildung setzt u. a. voraus, dass die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsbedürftig und klärbar ist.
2. NV: Der BFH hat bereits geklärt, dass die Voraussetzungen für die Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger i. S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG nicht erfüllt sind, wenn der Gläubiger das Sicherungsgut vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Schuldner abgeholt und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst verwertet hat.
3. NV: Die Rechtsfrage, ob während des Insolvenzverfahrens ein Umsatzsteuerbescheid ergehen darf, der auch ein Leistungsgebot enthält, obwohl zu Beginn des Insolvenzverfahrens bereits Masseunzulänglichkeit angezeigt war, war im Streitfall nicht klärungsfähig, weil insoweit kein Vorverfahren i.S. von § 44 FGO durchgeführt war und die Voraussetzungen für eine Sprungklage gleichfalls nicht vorlagen. Die Klage war daher insoweit unzulässig.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers und Beschwerdeführers (Kläger) hat keinen Erfolg.
1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) oder des Erfordernisses einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO oder wegen einer Divergenz nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO liegen nicht vor.
Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und des Erfordernisses einer Rechtsfortbildung setzt u.a. voraus, dass die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsbedürftig und klärbar ist (z.B. BFH-Beschluss vom 21. April 2008 IV B 105/07, BFH/NV 2008, 1470).
a) Der Kläger hält die Rechtsfrage für klärungsbedürftig, ob nach § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 13b Abs. 2 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) eine Verlagerung der Steuerschuld auf den Leistungsempfänger stattfindet, wenn der Gläubiger das Sicherungsgut noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Schuldner abgeholt und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst verwertet hat.
Diese Frage ist bereits durch die Rechtsprechung des BFH geklärt (vgl. zuletzt Beschluss vom 19. Juli 2007 V B 222/06, BFHE 217, 310, BStBl II 2008, 163, m.w.N.). Danach führt die Veräußerung eines sicherungsübereigneten Gegenstands durch den Sicherungsnehmer an einen Dritten zu einem sog. Doppelumsatz, nämlich zu einer Lieferung des Sicherungsnehmers an den Erwerber (Dritten) und zugleich zu einer Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer. Hat der Sicherungsnehmer einen sicherungsübereigneten Gegenstand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Besitz genommen, aber ‑‑wie im Streitfall‑‑ erst nach Eröffnung verwertet, liegt keine "Lieferung eines sicherungsübereigneten Gegenstands durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens" i.S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG vor. Auch eine analoge Anwendung von § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG kommt hiernach nicht in Betracht.
Der Kläger hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen könnten. Der Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ (vgl. Urteil vom 29. März 2007 IX ZR 27/06, BFH/NV Beilage 2007, 471) zur analogen Anwendung von § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG ist nicht geeignet, einen weiteren Klärungsbedarf bzw. eine Divergenz als weiteren Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO zu begründen. Denn der BGH hat ebenfalls eine Verwertung außerhalb des Insolvenzverfahrens i.S. des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UStG verneint, wenn die Verwertung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt (vgl. die Urteilsgründe unter II.1.c). Er hat die Umsatzsteuer für die Lieferung des Sicherungsgutes an den Sicherungsnehmer als Masseverbindlichkeit angesehen, sodass der Insolvenzverwalter die Umsatzsteuer abzuführen hatte (vgl. die Urteilsgründe unter II.1.). Allein diese Frage ist im Streitfall entscheidungserheblich. Auf die vom BGH entschiedene Frage, ob der Sicherungsnehmer einen Betrag in Höhe der Umsatzsteuer an die Masse abzuführen hat, kam es nur deshalb an, weil die Umsatzsteuer eine Masseverbindlichkeit war.
Soweit der Kläger ausführt, der BFH habe zu dieser Rechtsfrage bislang lediglich in Beschwerdeverfahren Stellung genommen, nicht jedoch in einem Revisionsverfahren, führt dies nicht zur Zulassung der Revision. Denn angesichts der übereinstimmenden Rechtsauffassung des BGH und BFH zum Vorliegen einer Masseverbindlichkeit ist ein weiterer Klärungsbedarf weder dargetan noch ersichtlich. Die vom Kläger angeführten Auffassungen in der Literatur (Ganter in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl. 2007, § 95 Sicherungsübereignung Rz 187, und Ries, Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht 2005, 230) vermögen zu der aufgeworfenen Rechtsfrage keinen weiteren Klärungsbedarf zu begründen. Denn daraus ergeben sich keine neuen Gesichtspunkte, die der BFH in seiner erst später ergangenen Entscheidung in BFHE 217, 310, BStBl II 2008, 163 erkennbar nicht berücksichtigt haben könnte.
Soweit der Kläger im Einzelnen insbesondere unter Hinweis auf das Insolvenzrecht vorträgt, weshalb die Rechtsauffassung des Finanzgerichts (FG) zu der aufgeworfenen Rechtsfrage seines Erachtens unrichtig ist, wendet er sich gegen die materielle Rechtmäßigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Dies vermag die Zulassung der Revision aber nicht zu rechtfertigen (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24).
b) Ferner hält der Kläger die Rechtsfrage für klärungsbedürftig, ob während des Insolvenzverfahrens ein Umsatzsteuerbescheid ergehen darf, der auch ein Leistungsgebot enthält, obwohl er zu Beginn des Insolvenzverfahrens bereits die Masseunzulänglichkeit angezeigt habe.
Diese Rechtsfrage ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung, weil sie in einem anschließenden Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre. Denn die Klage war unzulässig, soweit sie das Leistungsgebot betraf, weil insoweit das Vorverfahren (§ 44 Abs. 1 FGO) nicht durchgeführt war. Im Falle eines anschließenden Revisionsverfahrens könnte der BFH nicht über die vom Kläger insoweit aufgeworfene Rechtsfrage befinden.
aa) Das Leistungsgebot ist ein eigenständiger Verwaltungsakt i.S. des § 118 der Abgabenordnung (vgl. BFH-Beschluss vom 16. März 1995 VII S 39/92, BFH/NV 1995, 950). Als solcher kann es nach Einführung des einheitlichen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens ab dem 1. Januar 1996 nicht mehr mit der Beschwerde, sondern mit dem Einspruch (§ 347 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO) angefochten werden, aber nur mit Gründen, die sich gegen seine Zulässigkeit richten, nicht mit Einwendungen gegen die Steuerfestsetzung (vgl. BFH-Urteil vom 24. April 1990 VII R 55/89, BFH/NV 1991, 350; vgl. auch Klein/Brockmeyer, AO, 10. Aufl., § 254 Rz 4; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 254 AO Rz 31, jeweils m.w.N.).
Im Streitfall war der angefochtene Steuerfestsetzungsbescheid zwar auch mit einem Leistungsgebot in Gestalt einer Zahlungsaufforderung in einem Dokument verbunden. Der Kläger hat aber nur "gegen den Festsetzungsbescheid vom 23.09.05" Einspruch eingelegt und insoweit die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Der Hinweis des Klägers in der Einspruchsbegründung auf die Unzulänglichkeit der Masse bezieht sich ausdrücklich nur auf die begehrte Vermeidung von Vollstreckungsmaßnahmen und nicht auf die mit der Steuerfestsetzung verbundene Zahlungsaufforderung.
Im Klageverfahren hat der Kläger keinen auf das Leistungsgebot bezogenen Klageantrag gestellt. Es kann offenbleiben, ob das Vorbringen zum Leistungsgebot in der Klageschrift als Einspruch zu werten sein könnte und dieser wegen der fehlenden Rechtsbehelfsbelehrung bezüglich des Leistungsgebots noch rechtzeitig eingelegt worden wäre. Denn selbst wenn dies der Fall wäre, wäre insoweit ein Vorverfahren nicht durchgeführt worden und die Klage insoweit unzulässig (§ 44 Abs. 1 FGO). Daran könnte der Umstand, dass das FG in den Entscheidungsgründen auf das Vorbringen des Klägers zum Leistungsgebot sachlich eingegangen ist, nichts ändern.
Soweit das Vorbringen in der Klageschrift als Sprungklage (§ 45 FGO) zu deuten sein könnte, wäre diese verspätet und deshalb ebenfalls unzulässig. Denn die einmonatige Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO gilt auch für eine Sprungklage und beginnt in diesem Fall mit der Bekanntgabe des Verwaltungsakts (vgl. BFH-Urteil vom 16. November 1984 VI R 176/82, BFHE 143, 27, BStBl II 1985, 266; vgl. auch Gräber/von Groll, a.a.O., § 45 Rz 7).
2. Soweit der Kläger die Verletzung der dem FG obliegenden Sachaufklärungspflicht i.S. von § 76 Abs. 1 FGO als Verfahrensfehler nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO rügt, hat die Beschwerde ebenfalls keinen Erfolg.
Denn eine schlüssige Rüge der Verletzung der Sachaufklärungspflicht erfordert die Darlegung, zu welchen konkreten Tatsachen weitere Ermittlungen geboten waren, welche Beweise das FG zu welchem Beweisthema hätte erheben müssen, wo Tatsachen vorgetragen waren, aus denen sich dem FG die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen auch ohne einen entsprechenden Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, welches Ergebnis die zusätzliche Erhebung von Beweisen aller Voraussicht nach gehabt hätte und inwieweit die unterlassene Beweiserhebung oder Ermittlungsmaßnahme zu einer anderen Entscheidung hätte führen können. Außerdem muss vorgetragen werden, dass der Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde oder weshalb eine derartige Rüge nicht möglich war (z.B. BFH-Beschluss vom 31. Juli 2009 IV B 96/08, nicht veröffentlicht).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht.
Der Kläger führt in diesem Zusammenhang aus, die entscheidungserhebliche Annahme des FG, ein Steueranspruch werde als Masseverbindlichkeit "in den weit überwiegenden Fällen" voll befriedigt, sei unzutreffend. Vielmehr seien Masseansprüche "vielfältig unsicher". Dabei gehe die Deckung der Verfahrenskosten allen anderen Masseverbindlichkeiten absolut im Rang vor. Diesem Vorbringen lässt sich nicht entnehmen, zu welchen Tatsachen das FG welche Ermittlungsmaßnahmen hätte ergreifen sollen. Auch ist nicht vorgetragen, dass ein etwaiger Verstoß in der Vorinstanz gerügt wurde, oder weshalb dies nicht möglich war.