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Urteil vom 21. April 2010, VI R 26/09

Unterhalten eines eigenen Hausstands bei doppelter Haushaltsführung

BFH VI. Senat

EStG § 9 Abs 1 S 3 Nr 5

vorgehend FG München, 03. September 2008, Az: 15 K 456/08

Leitsätze

Die Frage, ob ein alleinstehender Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG unterhält, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung. Dabei ist der Umstand, ob der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt, zwar ein besonders gewichtiges Indiz, aber keine zwingende Voraussetzung im Sinne einer conditio sine qua non .

Tatbestand

  1. I. Streitig ist die Berücksichtigung von Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung bei einem ledigen Steuerpflichtigen, der geltend macht, seinen Haupthausstand am Wohnsitz seiner Eltern zu unterhalten.

  2. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist ledig und in O bei M nichtselbständig tätig. Er machte mit seinen Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre (2003 bis 2005) geltend, in M eine Dreizimmerwohnung mit einer Wohnfläche von 64 qm als Wohnung am Beschäftigungsort zu nutzen und seinen Haupthausstand in dem in seinem Eigentum stehenden Gebäude in S, an dem seinen Eltern ein dinglich gesichertes Nießbrauchsrecht zusteht, zu unterhalten. Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) hatte der Kläger in S im Dachgeschoss einen Schlafraum und einen Wohnraum mit einer Fläche von insgesamt 45 qm für sich allein zur Verfügung und benutzte Küche, Bad und WC gemeinsam mit seinen Eltern.

  3. Soweit der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) im Rahmen der Einkommensteuerveranlagungen der Streitjahre 2003 bis 2005 die geltend gemachten Kosten unberücksichtigt ließ, blieb die dagegen erhobene Klage erfolglos. Das FG ließ die Kosten der doppelten Haushaltsführung unberücksichtigt, weil nach seiner Überzeugung der Kläger in S keinen eigenen Hausstand unterhalten habe. Der Kläger habe keine Beweismittel dafür benannt, dass er sich auch finanziell an der Führung eines Hausstands in S beteiligt habe. Der insoweit feststellungsbelastete Kläger habe damit nicht nachweisen können, dass er sich finanziell an dem Unterhalt eines Hausstands in S beteiligt habe, was jedoch Voraussetzung für die Annahme eines eigenen Hausstands sei.

  4. Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung des FG komme es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) hinsichtlich der Frage des Unterhaltens eines eigenen Hausstands nicht darauf an, ob der Hausstand entgeltlich oder unentgeltlich zur Verfügung stehe.

  5. Der Kläger beantragt sinngemäß,

    das Urteil des FG München vom 4. September 2008 und die Einspruchsentscheidung des FA vom 4. Januar 2008 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2003 vom 6. April 2004, den Einkommensteuerbescheid 2004 vom 11. Mai 2005 sowie den Einkommensteuerbescheid 2005 vom 19. Mai 2006 dahingehend abzuändern, dass über die bereits anerkannten Aufwendungen hinaus weitere Aufwendungen für die Unterkunft am Arbeitsort in Höhe von 10.458 € im Jahr 2003, in Höhe von 10.120 € im Jahr 2004 sowie in Höhe von 9.885 € im Jahr 2005 als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden.

  6. Das FA beantragt,

    die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

  1. II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

  2. 1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Dies gilt grundsätzlich auch für einen alleinstehenden Arbeitnehmer; auch er kann einen doppelten Haushalt führen (ständige Rechtsprechung des Senats, zuletzt BFH-Urteile vom 14. Juni 2007 VI R 60/05, BFHE 218, 229, BStBl II 2007, 890; vom 9. August 2007 VI R 10/06, BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820; vom 5. März 2009 VI R 23/07, BFHE 224, 420, BStBl II 2009, 1016).

  3. a) Hausstand i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer ist entscheidend, dass er sich in dem Haushalt, im Wesentlichen nur unterbrochen durch die arbeits- und urlaubsbedingte Abwesenheit, aufhält; denn allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu bewerten. Ebenfalls wird ein eigener Hausstand nicht unterhalten, wenn der Arbeitnehmer die Haushaltsführung nicht zumindest mitbestimmt, sondern in einen fremden Haushalt ‑‑etwa in den der Eltern oder als Gast‑‑ eingegliedert ist. Dann liegt keine eigene Haushaltsführung vor (BFH-Urteil in 218, 229, BStBl II 2007, 890).

  4. b) Insbesondere dann, wenn dem Arbeitnehmer die Wohnung unentgeltlich überlassen wird, stellt sich die Frage, ob er einen eigenen Hausstand unterhält oder in einen fremden eingegliedert ist. Die entgeltliche Einräumung einer Rechtsposition ist zwar nicht Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung bei Alleinstehenden. Nutzt aber der Arbeitnehmer eine Wohnung unentgeltlich, ist stets sorgfältig zu prüfen, ob die Wohnung eine eigene oder die des Überlassenden, z.B. der Eltern, darstellt. Dabei ist das Merkmal der Entgeltlichkeit ein Indiz, das im Zusammenhang mit einer Gesamtwürdigung aller Umstände zu einer zutreffenden Beurteilung führen kann, nicht jedoch eine unerlässliche Voraussetzung (conditio sine qua non). Dies gilt nach Auffassung des Senats auch hinsichtlich der Frage, ob der Steuerpflichtige im Übrigen für die Kosten des Haushalts aufkommt. Denn ungeachtet der Frage, ob die Wohnung entgeltlich oder unentgeltlich überlassen wird, ist der Umstand, ob der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts im Übrigen aufkommt, zwar ein besonders gewichtiges Indiz für das Unterhalten eines eigenen Haushalts i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG, aber keine zwingende Voraussetzung im Sinne einer conditio sine qua non. Damit wird es weiterhin auf die finanzielle Beteiligung des auswärts Beschäftigten an der Haushaltsführung als gewichtiges Indiz einer eigenen Haushaltsführung regelmäßig ankommen. Lässt sich indessen diese finanzielle Beteiligung nicht feststellen, ist damit eine eigene Haushaltsführung des auswärts Beschäftigten nicht zwingend ausgeschlossen, wie auch umgekehrt aus einem finanziellen Beitrag allein nicht zwingend auf das Unterhalten eines eigenen Haushalts zu schließen ist. Insoweit gilt der Grundsatz fort, dass allein das Vorhalten einer Wohnung für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte noch nicht als Unterhalten eines Hausstands zu werten ist. Entsprechendes gilt für die finanzielle Beteiligung des auswärts Beschäftigten bei einem Familienhaushalt. Auch hier kommt es auf die finanzielle Beteiligung an der "Haushaltsführung" im Sinne eines gewichtigen Indizmerkmals an.

  5. 2. Gemessen daran hält die Entscheidung der Vorinstanz revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.

  6. a) Die Frage, ob der alleinstehende Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand unterhält oder aber nur in einen fremden eingegliedert ist, entscheidet sich unter Einbeziehung und Gewichtung aller tatsächlichen Verhältnisse im Rahmen einer den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung. Innerhalb derer ist das Merkmal der finanziellen Beteiligung an der Haushaltsführung zwar ein besonders gewichtiges Indiz, aber nicht unerlässliche Voraussetzung dafür, dass der Arbeitnehmer einen eigenen Hausstand als Haupthausstand unterhält. Wenn daher die Vorentscheidung ausführt, dass der die Feststellungslast tragende Kläger nicht hatte nachweisen können, dass er sich finanziell an dem Unterhalt eines Hausstands in S beteiligte, dies jedoch Voraussetzung für die Annahme eines eigenen Hausstands sei, erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das FG bei Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze zu einer anderen Würdigung gekommen wäre.

  7. b) Das FG wird daher im zweiten Rechtsgang unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze den Sachverhalt erneut zu würdigen haben. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass bei alleinstehenden Arbeitnehmern mit zunehmender Dauer der Auswärtstätigkeit grundsätzlich immer mehr dafür spricht, dass die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen am Beschäftigungsort liegen oder dorthin verlegt wurden. Indizien dafür, wo der Lebensmittelpunkt liegt, können sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen, die Zahl der Heimfahrten sowie insbesondere auch der Umstand, zu welchem Wohnort die engeren persönlichen Beziehungen bestehen (BFH-Urteil in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820,).

  8. 3. Sollte das FG im zweiten Rechtsgang zu der Würdigung gelangen, dass der Kläger in S doch den eigenen Haupthausstand unterhalten hatte und dass auch die übrigen Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung gegeben waren, wäre der Mietaufwand allerdings auf das Notwendige zu begrenzen. Denn angesichts des Umstands, dass der Kläger Mietaufwendungen für eine 64 qm große Wohnung als Werbungskosten geltend gemacht hat, wird zu beachten sein, dass Unterkunftskosten am Beschäftigungsort nur insoweit notwendig i.S. von § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 1 EStG sind, wie sie den durchschnittlichen Mietzins einer 60 qm-Wohnung am Beschäftigungsort nicht überschreiten (BFH-Urteile in BFHE 218, 380, BStBl II 2007, 820, m.w.N.; vom 9. August 2007 VI R 23/05, BFHE 218, 376, BStBl II 2009, 722).

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