BFH VII. Senat
ErbStG § 33, FGO § 40, BGB § 2039, BGB § 242, AO § 91, AO § 364, AO § 78
vorgehend Hessisches Finanzgericht , 14. Januar 2008, Az: 1 K 1448/07
Leitsätze
1. Einen Anspruch auf Überlassung von Kopien der von Kreditinstituten gemäß § 33 ErbStG eingereichten Anzeigen haben Erben nicht, wenn das Finanzamt die Akte mit dem Vermerk "steuerfrei" geschlossen hat, ohne die Erben an dem Verfahren zu beteiligen .
2. Auch aus Treu und Glauben ergibt sich kein Informationsanspruch gegen das Finanzamt, wenn die Auskunft nicht der Wahrnehmung von Rechten im Besteuerungsverfahren dienen kann .
Tatbestand
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) und ihre beiden Brüder sind Miterben nach ihrem im Februar 2002 verstorbenen Vater. Erbschaftsteuerbescheide ergingen nicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ‑‑FA‑‑) sah nach Prüfung von Amts wegen von der Festsetzung von Erbschaftsteuer ab, da die Steuerfreibeträge nicht überschritten waren. Zu dem Erbfall sind Anzeigen von Kreditinstituten nach § 33 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) eingereicht worden.
Ende 2006 bat die Klägerin das FA, ihr Kopien der von den Kreditinstituten eingereichten Anzeigen zu überlassen, die sie im Erbschaftsstreit mit ihren Brüdern benötige. Das FA lehnte das mehrfach, zuletzt mit Schreiben vom 16. Februar 2007, ab und berief sich dabei auf das Steuergeheimnis, das im Interesse der beiden Brüder zu schützen sei. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Klägerin die Überlassung der Kopien an die drei Geschwister beantragte, blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hielt die Klage insoweit für unzulässig, als die Überlassung der Kopien auch an die beiden Brüder beantragt worden war, und im Übrigen deshalb für unbegründet, weil es an einem Überlassungsanspruch fehle. Solch ein Anspruch ergebe sich außerhalb eines Besteuerungsverfahrens mangels der erforderlichen "Sonderverbindung" auch nicht aus Treu und Glauben.
Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, sie habe nach Treu und Glauben einen Anspruch auf Überlassung der erbetenen Kopien der Mitteilungen, die Kreditinstitute dem FA nach § 33 ErbStG eingereicht hätten. Da sie Mitglied einer Erbengemeinschaft sei, habe sie die Überlassung nicht nur an sich selbst, sondern an alle Mitglieder der Erbengemeinschaft beantragt. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses scheide deshalb entgegen der Ansicht des FA von vornherein aus. Für das FA sei es ein Leichtes, dem Antrag zu entsprechen, während es für sie, die Klägerin, ohne diese Hilfestellung kaum möglich sei, festzustellen, ob ihr Vater über die ihr bekannten Konten hinaus noch weitere Bankverbindungen unterhalten habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das Urteil des FG entspricht dem Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 FGO).
1. Soweit die Klägerin mit der Klage den Antrag auf Überlassung von Kopien an ihre Brüder gestellt hat, hat das FG die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen. Die Klägerin ist insoweit nicht klagebefugt i.S. des § 40 Abs. 2 FGO. Auch aus ihrer Stellung als Mitglied der Erbengemeinschaft ergibt sich die Klagebefugnis nicht.
Zwar kann gemäß § 2039 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) jeder Miterbe die Leistung auf einen zum Nachlass gehörenden Anspruch nur an alle Erben fordern. Bei der klageweisen Durchsetzung eines solchen Anspruchs muss der Antrag auf Leistung an alle Erben lauten. Der klagende Miterbe handelt in gesetzlicher Prozessstandschaft, nicht als Vertreter der übrigen Erben (Urteil des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 5. April 2006 IV ZR 139/05, BGHZ 167, 150).
Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Überlassung der Kopien der Anzeigen handelt es sich aber nicht um einen zum Nachlass gehörenden Anspruch. Die Anzeigen sind dem FA von Kreditinstituten gemäß § 33 ErbStG eingereicht worden. Danach hat, wer sich geschäftsmäßig mit der Verwahrung oder Verwaltung fremden Vermögens befasst, diejenigen in seinem Gewahrsam befindlichen Vermögensgegenstände und diejenigen gegen ihn gerichteten Forderungen, die beim Tod eines Erblassers zu dessen Vermögen gehörten oder über die dem Erblasser zur Zeit seines Todes die Verfügungsmacht zustand, in der Regel innerhalb eines Monats, seitdem der Todesfall dem Verwahrer oder Verwalter bekanntgeworden ist, dem für die Verwaltung der Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen. Die Anzeigen dienen der vom FA vorzunehmenden Prüfung von Amts wegen, ob Erbschaftsteuer festzusetzen oder von der Festsetzung wegen Nichterreichens der Freibeträge abzusehen ist. Da Schuldner der Erbschaftsteuer nach § 20 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 und § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG jeder einzelne Erbe für den auf ihn entfallenden Erbteil ist und die Steuer gegen jeden Erben gesondert festgesetzt wird, berührt dieses Besteuerungsverfahren die Rechtsstellung der Erben als Rechtsnachfolger des Erblassers ‑‑anders als bei der Einkommensteuerfestsetzung für den Verstorbenen‑‑ nicht. Einen Anspruch aus dem Nachlass kann es insoweit nicht geben.
2. Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin die Überlassung der Kopien an sich selbst verlangt.
a) Der Anspruch ergibt sich nicht aus § 364 der Abgabenordnung (AO). Danach sind den Beteiligten, soweit es noch nicht geschehen ist, die Unterlagen der Besteuerung auf Antrag oder, wenn die Begründung des Einspruchs dazu Anlass gibt, von Amts wegen mitzuteilen. Die Anzeigen der Kreditinstitute stellen zwar zweifellos Unterlagen für die Erbschaftsbesteuerung dar. Die Klägerin ist aber nicht Beteiligte i.S. von § 364 AO. Wegen der Stellung der Norm im Abschnitt der Verfahrensvorschriften des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens ergibt sich die Begriffsbestimmung des Beteiligten aus § 359 AO. Beteiligte sind danach der oder die Einspruchsführer und die Hinzugezogenen. Die dadurch bedingte Beschränkung der Anspruchsberechtigten gegenüber dem Beteiligtenbegriff des § 78 AO rechtfertigt sich aus der besonderen Funktion der Vorschrift, ein rechtsstaatlich geordnetes Rechtsbehelfsverfahren, insbesondere unter Beachtung des Anspruchs des Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör, sicherzustellen (vgl. Klein/Brockmeyer, AO, 10. Aufl., § 364; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 364 AO Rz 1). Das heißt, die Mitteilung der Unterlagen der Besteuerung soll in der jeweiligen Steuerveranlagung gewährleisten, dass der Verfahrensbeteiligte zu den in den Unterlagen dokumentierten Tatsachen Stellung nehmen und so seine Rechte in dem Besteuerungsverfahren uneingeschränkt wahrnehmen kann. Ist dieses Verfahren abgeschlossen, ohne dass es zu einem Rechtsbehelf gekommen ist, kann die Mitteilung der Besteuerungsunterlagen diese Funktion nicht mehr erfüllen. Für den geltend gemachten Anspruch besteht kein berechtigtes Interesse mehr. So liegt es im Streitfall. Der Anspruch der Klägerin kann nicht auf § 364 AO gestützt werden, da das Besteuerungsverfahren, sofern man gegenüber der Klägerin überhaupt von einem solchen Verfahren sprechen kann, bei Antragstellung ohne Steuerfestsetzung abgeschlossen und die Klägerin nie Beteiligte i.S. des § 364 AO war.
b) Ein Recht auf Auskünfte aus den Verwaltungsakten des FA außerhalb eines Rechtsbehelfsverfahrens kann auch nicht aus einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des FA hergeleitet werden.
Die AO enthält ‑‑anders als andere Verfahrensordnungen wie z.B. § 29 des Verwaltungsverfahrensgesetzes und § 147 der Strafprozessordnung‑‑ keine Regelung, nach der ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger Rechtsprechung geklärt hat, ist ein solches Einsichtsrecht weder aus § 91 Abs. 1 AO und dem hierzu ergangenen Anwendungserlass zur Abgabenordnung (AEAO) noch aus § 364 AO und dem dazu ergangenen AEAO abzuleiten. Allerdings geht der BFH in ständiger Rechtsprechung ‑‑ebenso wie die Finanzverwaltung in Nr. 4 AEAO zu § 91 AO‑‑ davon aus, dass dem während eines Verwaltungsverfahrens um Akteneinsicht nachsuchenden Steuerpflichtigen oder seinem Vertreter ein Anspruch auf eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung der Behörde zusteht (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juni 2003 VII B 138/01, BFHE 202, 231, BStBl II 2003, 790, m.w.N.).
Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Herausgabe der gewünschten Kopien scheitert bereits an der Voraussetzung, dass er nicht während eines Verwaltungsverfahrens geltend gemacht worden ist. Denn das in der Prüfung einer Erbschaftsteuerpflicht liegende Verwaltungsverfahren war jedenfalls mit der Feststellung "steuerfrei" beendet. Ebenso wie beim Anspruch nach § 364 AO geht es auch bei dem hier geprüften Akteneinsichtsrecht um die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs der Verfahrensbeteiligten. Nach Abschluss des Verfahrens fehlt es auch hier an dem für dieses Verfahren erforderlichen Interesse an der Kenntnis der Unterlagen.
c) Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sie sich auch nicht auf einen sich aus Treu und Glauben ergebenden Auskunftsanspruch berufen.
aa) Die Pflicht, Treu und Glauben zu genügen (§ 242 BGB), erstreckt sich, weil auf einem allgemeinen Rechtsgedanken beruhend, auch auf das öffentliche Recht (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Januar 1993 8 C 46/91, BVerwGE 92, 8, m.w.N.). Sie ist dementsprechend auch im Steuerrecht als allgemeiner Rechtsgrundsatz uneingeschränkt anerkannt (vgl. BFH-Urteile vom 8. Februar 1996 V R 54/94, BFH/NV 1996, 733; vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990, unter II.1., und vom 8. Februar 1995 I R 127/93, BFHE 177, 332, BStBl II 1995, 764, unter II.C.4., jeweils m.w.N.) und verlangt die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des anderen Beteiligten im Steuerrechts-(Steuerpflicht-, Steuerschuld-)Verhältnis. Der Grundsatz von Treu und Glauben ist unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee ableitbar und aus sich heraus Rechtsquelle (BFH-Urteil in BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990).
Ein Steuerrechtsverhältnis zwischen FA und Erbschaftsteuerpflichtigen besteht aber nach Abschluss des Besteuerungsverfahrens nicht mehr. Doch selbst wenn man in Nachwirkung eines abgeschlossenen Verfahrens gewisse Verpflichtungen des FA aus Treu und Glauben gegenüber den ehemals Verfahrensbeteiligten anerkennen könnte, ergäbe sich daraus im Streitfall kein Anspruch der Klägerin. Denn ein ‑‑auf Festsetzung von Erbschaftsteuer gerichtetes‑‑ Steuerrechtsverhältnis mit der Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt bestanden. Das Verwaltungsverfahren befand sich im Zeitpunkt der mit Stempelaufdruck auf der "Mitteilung über Sterbefall" intern getroffenen Feststellung "steuerfrei" noch im Stadium der Vorprüfung, ob überhaupt ein Besteuerungsverfahren einzuleiten war. Das FA hat dementsprechend auch keine Steuererklärung von einem der am Erbfall Beteiligten gemäß § 31 ErbStG verlangt.
bb) Etwas anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Klägerin auch nicht aus der Rechtsprechung des BGH. Danach gebieten es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Ungewissheit erforderliche Auskunft zu erteilen (BGH-Urteil vom 6. Februar 2007 X ZR 117/04, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2007, 1806, m.w.N.).
Der BGH hatte, wie schon das Reichsgericht in der Grundsatzentscheidung vom 4. Mai 1923 II 310/22 (RGZ 108, 1), über Auskunftsansprüche gegen einen auf Schadenersatz Verklagten im Hinblick auf das Bestehen und den Umfang des Schadenersatzanspruchs zu entscheiden. Die rechtliche Sonderverbindung zwischen Auskunftsberechtigtem und -verpflichtetem, aus der dem Auskunftsberechtigten Ansprüche zustehen könnten, sah der BGH in dem den Schadenersatzanspruch begründenden Rechtsverhältnis, wenn die Auskunft Voraussetzung für die schlüssige Darlegung des Schadenersatzanspruchs ist.
Übertragen auf den Streitfall setzte ein auf Treu und Glauben gründender Auskunftsanspruch der Klägerin gegenüber dem FA eine rechtliche Sonderverbindung zwischen ihnen voraus, in deren Rahmen die Klägerin zur Wahrung ihrer Rechte auf die Auskunft angewiesen ist. Eine solche Sonderverbindung bestand im Zeitpunkt der Geltendmachung des Auskunftsanspruchs nicht. Wie bereits erörtert, begründete die Prüfung der Erbschaftsteuerpflicht durch das FA nach dem Tod des Vaters der Klägerin keinerlei Rechtsbeziehung zwischen FA und der Klägerin, die als Sonderverbindung im Sinne der BGH-Rechtsprechung angesehen werden könnte.
Außerdem benötigt die Klägerin die gewünschten Unterlagen nicht zur Wahrung von Rechten gegenüber dem FA, sondern im Erbschaftsstreit mit ihren Brüdern. Es liegt auf der Hand, dass selbst aus einer bestehenden abgabenrechtlichen "Sonderverbindung" keine Treuepflicht zur Unterstützung verfahrensfremder Zwecke abzuleiten ist.
cc) Nach alledem kommt es nicht darauf an, dass sich die Klägerin die erforderlichen Informationen möglicherweise nicht selbst auf zumutbare Weise beschaffen kann (vgl. Palandt/ Heinrichs, Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Aufl., § 261 Rz 12, MünchKommBGB/Krüger, 5. Aufl., § 260 Rz 18 f.) und dass die Auskunft vom FA "unschwer" erteilt werden könnte (BGH-Urteil in NJW 2007, 1806, m.w.N.).
Auch die Frage, ob das FA der Klägerin möglicherweise ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse, etwa das Steuergeheimnis gemäß § 30 AO bezüglich der steuerlichen Verhältnisse des Erblassers auch über dessen Tod hinaus entgegenhalten könnte, bedarf hiernach keiner Erörterung.